In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten überall in Deutschland die Synagogen, jüdische Geschäfte wurden zerstört und geplündert, zahlreiche Männer und Frauen getötet, misshandelt oder in Konzentrationslager verschleppt. Bis heute gedenken wir dem Novemberpogrom als einem Tag, der schon von vielen Zeitgenossen in und außerhalb Deutschlands als endgültiger Zivilisationsbruch angesehen wurde und der dennoch für die jüdische Bevölkerung erst den Beginn des systematischen Terrors darstellen sollte. Die Schülerinnen und Schüler erhalten in dieser Unterrichtssequenz die Gelegenheit, sich mit Hilfe eines Berichts eines aktiv am Pogrom Beteiligten die Ereignisse in der Nacht vom 9. November zu erarbeiten. Es folgt eine Auseinandersetzung mit einem Zeitzeugenbericht von Günther Roos, der seine Erinnerungen eines damals 12-Jährigen darstellt.
Über eine Aussage von Günther Roos zu den Ereignissen am Vormittag des 10. November 1938 entwickelte sich nach Erscheinen des Buches eine Diskussion mit dem Sohn des dort erwähnten „Studienrat L.“.
Im Buch heißt es:
„Dann kam am 9. November die Reichskristallnacht“, schrieb Günther Roos in seinen Lebenserinnerungen, um daran anschließend seine – mit den oben bereits wiedergegebenen Berichten Brühler Zeitzeugen weitgehend übereinstimmenden – Erlebnisse am Morgen des 10. November zu schildern: „Unser Klassenzimmer im Gymnasium ging zur Friedrichstraße. Da hörten wir während des Unterrichts von der gegenüberliegenden Synagoge her einen Tumult, und etwas später quoll Rauch hoch. Die Synagoge brannte! Wir wurden unruhig, aber der Unterricht ging weiter, als sei nichts Wichtiges geschehen.“ Als die Klasse dann später am Vormittag Sportunterricht gehabt habe, sei sie „wie üblich“ in Kolonne zum Stadion an der Vochemer Straße marschiert. Als die Gruppe dabei die brennende Synagoge passierte, habe der vorweg marschierende Studienrat L. ein Lied angestimmt. (…) Allein schon die erschreckende Tatsache, dass Günther Roos zufolge die gesamte Klasse dieses (in Brühl offenbar in antisemitischem Sinne nochmals verschärfte) Lied kannte und mitsingen konnte, ist als deutlicher Beleg dafür zu werten, wie stark solche Inhalte nicht nur in HJ und Jungvolk, sondern offenbar auch im schulischen Alltag vermittelt wurden. Der Englisch, Erdkunde und Sport unterrichtende Studienrat, der den diskriminierenden Schmähgesang angestimmt hatte, sollte in der letzten Schulphase Günthers Klassenlehrer werden.“
Diese Passage ist weitgehend identisch mit einer Aussagen in einem Film über diese Ereignisse von Heribert Blondiau aus dem Jahr 1988, während Günther Roos gegenüber Barbara Becker-Jákli (1988) und Wolfgang Drösser (1991) äußerte, „wir“, also die Schüler selbst, hätten das Lied angestimmt.
Herr Prof. Dr. Hans-Heinrich Limbach legt Wert auf die Feststellung, dass er zu diesem Vorfall auch eine anderslautende Erinnerung eines Zeitzeugen ermittelt habe. Herr Dr. Hermann von Mallinckrodt, damals ein Klassenkamerad von Günther Roos, gab Herrn Prof Limbach gegenüber im Februar 2018 folgende Erklärung ab:
„Am 10. November 1938 ging unsere Klasse morgens mit Studienrat Limbach vom Gymnasium zum Sportplatz am Schwimmbad. An der Synagoge war nichts Besonderes los. Als wir später wieder zum Gymnasium zurückgingen, brannte die Synagoge. Direktor Bartel stand hohnlächelnd vor der Synagoge. Dann gab Studienrat Limbach das Kommando ‚Im Laufschritt, Marsch, Marsch‘, um an der Synagoge schnell vorbeizukommen. Ein Lied wurde nicht gesungen. Herr Limbach hatte mit den Nazis nichts am Hut.“
Damit stehen sich zwei Zeitzeugenaussagen diametral entgegen - ein Phänomen und Problem, mit dem sich die Oral History häufiger konfrontiert sieht. Es gilt dann, sich durch Zusatzrecherche, Erfahrungen und Kontextualisierung zu einem Urteil durchzuringen, das aber auch dann noch nicht unbedingt eindeutig ausfallen muss. Die Urteilsbildung muss daher jeder Leserin und jedem Leser selbst überlassen bleiben.
In einem Punkt jedoch irrte Günther Roos. Heinrich Limbach kann sich im Rahmen eines Sonderlehrgangs am Brühler Gymnasium im Jahr 1946 definitiv nicht als „Antifaschisten“ bezeichnet haben, weil er sich bis 1948 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft befand.
Zu Heinrich Limbach hat dessen Sohn Prof. Hans-Heinrich Limbach, zwischenzeitlich eine biografische Skizze verfasst, die in der Nr. 1/2019 der Brühler Heimatblätter agedruckt ist. Sie ist hier einsehbar und soll unkommentiert bleiben. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass die Bemerkung, die Aussagen von Günther Roos seien "nicht auf unabhängige Weise überprüft" worden, unzutreffend ist. Sie wurden so überprüft, wie Zeitzeugenaussagen - etwa auch die von Dr. Hermann von Mallinckrodt - überprüft werden können. Das man dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann, liegt - wie oben bereits erwähnt - in der Natur dieser Quellengattung und kann durchaus unterschiedlich ausfallen.