"Volk ohne Raum"

In diesen drei Worten konzentrieren sich zentrale Ideen der nationalsozialistischen Weltanschauung, die eine Expansion nach Osten rechtfertigten und geradezu zwangsläufig in den Zweiten Weltkrieg führten.

Die Vorstellung, dass das deutsche Volk durch seine geographische Lage eingezwängt und mangels Raum und Ressourcen bei stark wachsender Bevölkerung in seinem Überleben bedroht sei, gehörte zu dem „Ideenschutt“1, der sich seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in völkisch-rassistischen Kreisen und Parteien angehäuft hatte, durch Weltkrieg und Versailler Vertrag noch erheblich anwuchs und auf dem später der Nationalsozialismus aufbauen konnte.

So trafen der Titel „Volk ohne Raum“ des 1926 erschienen Romans von Hans Grimm (1875-1959) wie auch sein Inhalt auf rege Zustimmung: mit etwa 200.000 verkauften Exemplaren bis zur Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 wurde er einer der größten Bucherfolge der Weimarer Zeit. Grimm beschreibt die schwierige Suche eines Bauernsohns aus dem Weserbergland nach seinem Platz im Leben, sie führt ihn durch Militärdienst, Burenkrieg und bis auf eine Farm in Südafrika, zum Kampf im Ersten Weltkrieg in den Kolonien gegen die Engländer, in Gefangenschaft und Tod durch den Steinwurf eines deutschen Arbeiters. Wie ein roter Faden ziehen sich die hohe Wertschätzung des Bauerntums im Gegensatz zur Industriearbeit und die Forderung nach mehr Raum zum Leben für den deutschen Menschen durch das Buch.

Die Nationalsozialisten führten es als Pflichtlektüre an den Schulen ein und nutzten das eingängige Schlagwort „Volk ohne Raum“ für die massive propagandistische Vorbereitung ihrer kriegerisch-expansiven Geopolitik auf allen Ebenen, in Reden, Filmen und Schriften, auf HJ-Heimabenden, politischen Schulungen, Kinderlandverschickungen bis hin zu Grenzlandfahrten. Ein mystifizierender, biologistischer Begriff von „Volk“ wurde verbunden mit der Vorstellung, dass sich die Menschheit in einem ewigen Überlebenskampf zwischen minderwertigen und höherwertigen Rassen befand, wobei letztere das Recht zugesprochen wurde, sich ihrem Selbsterhaltungstrieb gehorchend neuen „Lebensraum“ zu erobern. Anders als bei der Kolonisation, wo unterworfene Völker zwar entrechtet, ausgebeutet und versklavt wurden, aber weiter in ihrem angestammten Siedlungsgebiet blieben, zielte die NS-Politik dahin, die eroberten Gebiete im Osten zu „entleeren“, d.h. letztendlich die einheimische Bevölkerung auszulöschen. Dadurch sollte eine biologische Neuordnung des Territoriums erzwungen werden, sodass ein rassisch homogener „Lebensraum“ für das deutsche Volk entstand.