Es handelt sich hier um die KLV-relevanten Teile der nach 1945 von dem 1899 geborenen Kölner Lehrer Harry Heindrichs zu Papier gebrachten Lebenserinnerungen „Stationen meines Lebens“. Er war mit der 1901 geborenen Walburga Heindrichs verheiratet. Das Ehepaar hatte zwei Kinder: den 1939 geborenen Sohn Heinz –Albert und die 1935 geborene Tochter Hildegard.
Hildegard Moos-Heindrichs, wie sie seit ihrer Heirat heißt, war es auch, die dem NS-Dokumentationszentrum die Erinnerungen ihres Vaters 1999 zur Verfügung stellte.
Sie war selbst an drei KLV-Verschickungen beteiligt, dabei auch jene, über die ihr Vater im folgenden Dokument ausführlich berichtet.
Frau Moos-Heindrichs selbst trug noch folgende Erinnerungen bei:
„An drei KLV-Maßnahmen war ich beteiligt:
1.2. - 15.10.1941 KLV in Niederschlesien, Sagan bei Glogau, in einer Jugendherberge (Wand an Wand mit der Tuberkulosestation), in Neuhammer (umgeben von einem Truppenübungsplatz) und in Altwasser an der Oder im "Hindenburgheim";
20.10.1943 - 13.9.1944 KLV in Nideggen / Eifel (in der Jugendherberge) und
13.9.1944 - 1.5.1945 KLV in Thammühl am See / Böhmen und in Radschitz bei Kaden an der Eger.
Mein Vater, der Lagerleiter Harry Heindrichs, entschloß sich freiwillig zu seiner Tätigkeit, um nicht Soldat werden und seine Familie verlassen zu müssen.
Ich erinnere mich besonders an den Kampf meiner Mutter Walburga Heindrichs, Krankenpflegerin der Lagerkinder, gegen Läuse, Wanzen und Krätze; - und an die vielen helfenden Hände vor allem in Radschitz / Böhmen und auf der Rückreise.
Brieflicher Kontakt nach Hause bestand. Von Briefkontrollen weiß ich nichts.
Der Lagerleiter bestimmte den Ton. Das Verhältnis zum Lagermannschaftsführer war unterschiedlich, bei gleicher Gesinnung gut und sehr gut (z.B. wenn beide statt Morgenappell unter der Fahne den Besuch des Sonntagsgottesdienstes erlaubten).
Während der KLV-Zeit beeindruckte mich besonders: Das Erlebnis der unberührten Natur in Altwasser an der Oder, in Nideggen / Eifel und in Thammühl am See, da ich mich in der Regel als einziges Mädchen unter 40 Jungen, die etwa vier Jahre älter waren als ich, allein beschäftigen mußte. Meine Eltern waren rund um die Uhr mit den Lagerkindern beschäftigt.
Der Aufbruch in Radschitz / Böhmen begann am 1.5.1945 nach Kriegsschluß und nach dem Abwarten des Russendurchzugs, eines Konzentrationslagers auf der Flucht und unzähliger Flüchtlingstrecks. Es war eine dreimonatige Rückreise zu Fuß, mit Karren, per Laster, manchmal in Eisenwaggons, ohne Lagermannschaftsführer und Lagerpersonal. Meine Eltern trugen allein die Verantwortung für 40 Kölner Kinder.“
1999 bestand leider noch nicht die Möglichkeit, auf schnelle und finanzierbare Art und Weise gute Reproduktionen anzufertigen. Daher liegen hier lediglich herkömmliche schwarz-weiß-Kopien des Lagertagebuchs vor. Die Reproduktionen werden im NS-Dokumentationzentrum der Stadt Köln im Bestand "KLV" aufbewahrt.
(…)
Kölns Lehrerschaft wurde gegen Ende 1940 von der Schulbehörde und der Lehrerorganisation für die Verschickung der Stadtkinder in bombenfreie Landbezirke aufgerufen. Auf einer Zusammenkunft wußte mich Schulrat Seidenfaden für die Idee zu gewinnen. Ich war mir zwar klar, dass die zunehmende Bombengefahr nur der äußere Vorwand war, um die Schuljugend frühzeitig außerhalb des Elternhauses für die Ideen des Nationalsozialismus einzufangen. Zu meinem Schritt, das Wagnis anzutreten, hat Mutter wesentlich beigetragen. Doch war ich entschlossen, meiner Aufgabe so zu dienen, dass ich es vor meinem Gewissen vertreten konnte. So reisten wir am 7. Januar 1941 mit neuen Kabinenkoffer mit einem Extrazug zusammen mit den uns zugeteilten 50 Jungen vom Bahnhof Köln-Deutz nach Osten und zwar nach Sagan in Niederschlesien. Von der Jugendherberge, die wir beziehen sollten, hatten wir uns eine idyllische Vorstellung gemacht. Jenseits der Elbe wurde es hochwinterlich. In Sagan trafen wir auf strenge Kälte und hohen Schnee.
Die Jugendherberge in Sagan, mitten im alten, beengten Stadtinnern überraschte uns sehr. In einem großen ehemaligen Klostergebäude hatte sich die Behörde niedergelassen. Auf dem 1. Stock an einem langen Flur hatte man neben der Tuberkulosestation die Jugendherberge in ein paar Räumen hergerichtet. Das war für mich das erste Signal, die Augen offen zu halten. Die Küche im rings umschlossenen Hof war außerordentlich unwürdig. Hier wurde für uns und russische Gefangene gekocht; im kahlen, ungemütlichen
Nebenraum, einer alten Waschküche, nahmen wir unsere Mahlzeiten ein. Ja, das war weit entfernt von dem, was wir uns erträumt hatten! Der einzige Lichtblick waren die biederen, äußerst frommen Herbergseltern (Gückel), die in einem Hause wohnten, das im Innenhof lag. Hier in einem kleinen, aber durch die nahe Küche erwärmten Zimmer war Mutter mit Hildegard, der noch nicht Fünfjährigen, untergebracht. Mit Heinz-Albert zusammen bezog ich einen Sonderraum der Jugendherberge auf dem 1. Stock. Die große Sehenswürdigkeit Sagans war das große, prächtige Schloß mit seinen Prunkräumen und seinen weiten Parkanlagen im Stil des Brühler Schlosses.
Da ich bei einem Besuch des Kreisamtsleiters die Nachbarschaft der Tuberkulosestation beanstandet hatte, so war mit einer baldigen Veränderung zu rechnen. Nach fünf Wochen Sagan erhielt ich die Nachricht, dass wir einem Lager in Neuhammer a. d. Queis, südlich von Sagan, zugeteilt werden sollten, das mit einem noch eintreffenden Kölner Jungentransport in den nächsten Tagen gebildet werden sollte. Durch Sagan bitter enttäuscht und voller Mißtrauen fuhr ich mit Mutter nach Neuhammer, um uns die angekündigte Unterbringung anzusehen. Was wir hier antrafen, spottete jeder Beschreibung. Vorbei an unendlichen Militärbaracken erreichten wir inmitten von Gefangenen und Munitionslagern ein von hohem Stacheldraht eingefriedigtes, dicht mit Baracken bestandenes Gebäude, das die Deutsche Arbeitsfront zu einem Teil der Kinderlandverschickung zur Verfügung gestellt hatte. Im westlichen Teil des Lagers waren Fremdarbeiter verschiedener Nationalitäten untergebracht. Den Mittelpunkt des Lagers bildete die große Kantine mit Bühne und Restauration, die sehr geräumige Küche mit gewaltigen Kochbottichen für die Fütterung der Menschenmassen. Davor, in Richtung auf den Toreingang,
lag das Büro des Lagerleiters, eines kleinen, sich aber gewaltig fühlenden Arbeitsdienstführers mit echt sächsischem Zungenschlag. Hier stellten wir uns vor, legten den Zweck unseres Kommens dar und wurden durch das Lager geführt. Es war von bewachten Munitionsstapeln umgeben und lief auf der langen Rückseite in ein endloses, von tiefen Schützengräben durchzogenes Truppenübungsgelände aus.
Ohne Scheu und ohne Bedenken äußerte ich meine allergrößten Bedenken sowohl bezüglich der Unterbringung in den Baracken inmitten der Winterzeit, als auch in Bezug auf die vielen Gefahren, von denen unsere Schutzbefohlenen täglich bedroht seien. Der Sachse erklärte, das Lager sei von höchster Stelle besichtigt und als gut geeignet bezeichnet worden. Doch bemerkte ich hierzu, dass ich anderer Auffassung sei und in einem solchen Lager die Verantwortung für die mir Anvertrauten mit dem allerbesten Willen nicht übernehmen könne. Da alles Geschaute in keinem Punkte den uns in Köln gegebenen Zusicherungen entspreche, sei ich nicht bereit, mit meinen Jungen das Lager zu beziehen. Der Lagerführer verständigte sofort den im Ort gerade anwesenden Kreisamtsleiter. Vorher genauestens in Kenntnis gesetzt, trat er hoheitsvoll ein, schritt auf mich zu mit durchbohrenden Blicken und schmetterte mich dann förmlich an: "Wie können Sie sich unterstehen, das Lager so herunterzusetzen! Ich werde gleich nach Köln berichten, dass Sie mit Ihrer Familie wieder in den Bombenhagel nach Köln zurückgeschickt werden." Als ich erklärte, dass hierüber wohl in Köln und nicht hier am Ort entschieden werde, ward mir die strikte Anweisung zuteil, dass auf alle Fälle die Jungens mit dem von Köln zu erwartenden Transport das hiesige Lager zu beziehen hätten. Da ich mich selbst weigerte, mit meiner Familie die ungesunden Baracken zu beziehen,
werde man uns eben im Ort in einem Privathause eine Stube besorgen. Wir waren überzeugt, dass uns eine bitterböse Zeit bevorstehe.
Als wir nach Tagen mit dem Kölner Großtransport auf dem Bahnhof in Neuhammer eintrafen, wurden wir vom dortigen Ortsgruppenamtsleiter in die für unsere Familie tatsächlich besorgte Sonderstube im Ort geleitet. Doch es ist unbeschreiblich, was man uns hier zumutete. Noch bis in den späten Abend suchten wir mit Heinz-Albert und Hildegard im Schneegestöber vergeblich nach einem brauchbaren Quartier. Es war eine bittere, leider vergebliche Herbergssuche! Am Ende streckten wir dann doch unsere müden Glieder aus auf die beiden uns zugewiesenen Lagerstätten, auf denen wir aber keinen Schlaf finden konnten. Erst am Morgen beim Bettenmachen erkannten wir unsere Trostlosigkeit. Als wir die Strohsäcke ein wenig auflockern wollten, ward der kleine Schlafraum von Staub und Strohschmutz so erfüllt, dass uns hier ob unserer Lage die bitteren Tränen aus den Augen kollerten. Es blieb uns keine andere Wahl, als mit unserem Gepäck beim Lagerführer vorzusprechen und ihn trotz allem um Aufnahme in das Barackenlager zu bitten. Dort hatten die Jungen, 250 mit den Unsrigen, mit vier Lehrern und entsprechenden Lagermannschaftsführern die Baracken bezogen. Lehrer Dr. Jansen, als Lagerleiter, Lehrer Thiel, sein mutiger, unentbehrlicher Adjutant, beide Reserveoffizier, von der gleichen Kölner Schule, dazu zwei weitere Lehrer aus der Geilenkirchener Kante, vor Naziunterwürfigkeit ohne eigene Meinung. In einer Eckstube der letzten Baracke fanden wir selbst unsere Unterkunft.
Beim Einräumen fielen uns bereits leere Flaschen mit Wanzenvertilgungsmitteln auf. Mutter, die wie wir alle über ihr eigenes Strohbett verfügte, bekam zu nächtlicher Stunde regelmäßig stillen, hinterhältigen Besuch und fand dafür am Morgen den ganzen Körper voll von Stichen und Schwellungen. Unser Vorstellig-
werden beim "Krochstoppe" - so nannten die Jungen den Lagergewaltigen, führte zu einer Untersuchung durch den Lagerarzt, der jedoch den Fall verharmlosen wollte, indem er die Körperspuren auf die Nahrungsumstellung zurückführte, meinte aber, als wir die Lagermißstände berührten, er könne dazu beitragen, dass wir wieder heimkämen. Da auch die Jungen über gleiche nächtliche Besuche klagten, vielerlei Spuren am Körper vorweisen konnten, erhielt unsere Familie am anderen Ende des Lagers eine ebenfalls unmögliche Barackenstube in unmittelbarster Nachbarschaft der Fremdarbeiter. Vor ihrem Einblick durch die klaffenden Bretterritzen mußten wir uns durch Zustopfen mit Zeitungspapier mühsam schützen. Zu den nächtlichen Besuchern in den Betten der Jungen gesellte sich nun noch ein weiterer Übelstand, angeblich hervorgerufen durch einen Pudding von frappierender Wirkung, der die gesamte Lagerbelegschaft, vor allem nachts auf die draußen liegenden Aborte trieb, die stets überfüllt waren und darum die Nachtwanderer zwangen, die verschneiten Zugangswege und die gesamte Umgebung der Örtlichkeit in eine unmögliche Verfassung zu versetzen. Beide Übelstände, die jeder Hygiene Hohn sprachen, brachten die gesamte Belegschaft, Jungen, Mannschaftsführer und Lehrer, in hellen Aufruhr. Die Post der Jungen, die wir überprüfen sollten, war erfüllt von berechtigten Klagen über unser klägliches Dasein. Der Versuch des zum Appell erscheinenden Kreisleiters, die im Lager einmal vorzeiten vorgekommenen Wanzen mit Urtieren und Elefanten zu vergleichen, und hierdurch die Angelegenheit bei den Jungen lächerlich zu machen, mißlang vollends. Von der Existenz von Wanzen in unseren Tagen könne nur dann die Rede sein, wenn
sie nicht, wie bisher, in mumienhaften, toten Zustand, sondern quicklebendig vorgewiesen werden könnten. Mit diesem Wort hatte der gute Mann erst recht Wasser auf die Mühlen gegossen!
Seit diesem Tage lagen vor allem Lehrer Dr. Jansen und Thiel, die nun unsere erste Wanzenstube belegt hatten, jede Nacht auf der Lauer, ausgerüstet mit Taschenlampe und verschließbarem Reagenzgläschen. In einer Nacht von Samstag auf Sonntag sprang Lehrer Thiel auf Anruf mit Taschenlampe und Verschlußgläschen an das Lager von Dr. Jansen, überraschte bei ihm einen quicklebendigen Blutsauger auf frischer Tat und setzte ihn kurz und bündig hinter Schloß und Riegel. Zur gleichen Stunde berichteten sie von dem Vorgefallenen an den Gau in Breslau und verlangten eine sofortige Auflösung des Lagers Neuhammer.
Am Morgen beim gewohnten Sonntagsappell unter Lehrer Thiel lautete die Tageslosung einmal ganz anders: Lebende Wanze in Gefangenschaft! In seiner offiziellen Ansprache verwies er, von Urtieren und Elefanten ausgehend, auf das kleine gefangene Tierlein, das er zur genauen Veranschaulichung von Mann zu Mann weiterziehen ließ. Der allgewaltige Lagerführer, den Thiel und ich sodann aufsuchten mit unserem Beweismittel, schien nicht groß überrascht und reagierte angesichts des gefangenen Quälgeistes mit den lakonischen Worten: "Dann wird eben vergast!"
Schon längst hatten wir aus Protest gegen die Mißstände den Schulunterricht völlig eingestellt. Da sich auch die Lagermannschaftsführer unserem Streikbeispiel mutig anschlossen und ihren Dienst einstellten, suchten sich die Jungen selbst die Zeit zu vertreiben und wühlten häufig in den
herumliegenden Brandtrümmern nach Munition, scharfer und unscharfer, die sich auf den Tischen der Lehrer als Argumente mehr und mehr anhäuften. Auch konnten wir das Herumtreiben der Jungen in den Schützengräben, die vielerlei Gefahren bargen, nicht verhüten.
Bis dann an einem Morgen eine hohe Kommission vom Gau in Breslau aufkreuzte, um mit Lehrern und Lagermannschaftsführern Abrechnung zu halten. Doch es war herrlich, wie wenig wir uns einschüchtern ließen, da alle Umstände ausnahmlos für uns sprachen, wozu auch maßgebliche Stellen in Köln mit beigetragen hatten. Wir waren uns unseres Rechtes voll und ganz bewußt. Unsere Jungen wurden nun zunächst zweimal für mehrere Tage in die Militärbaracken mit Sack und Pack umgesiedelt. Auch diese Umstände mußten wir wohl oder übel auf uns nehmen. Doch die in unseren Baracken vorgenommene Vergasung blieb jeweils erfolglos. Für die Wanzen war die Bekanntschaft mit dem Gas nichts Neues. Die erfahrenen Tierlein wußten immer, wohin sie sich während der Vergasung in Sicherheit zu bringen hatten. Irgendwo hatten ihre Verfolger ein Loch, eine kleine Öffnung gelassen, wo sie nach draußen entschlüpfen konnten. So blieb auch die zweite Vergasung unserer Baracken erfolglos. Der Lagerführer entzog sich mehr und mehr unseren Blicken, weil er keinen Ausweg mehr wußte. Der einzige Ausweg aus der Sackgasse wäre ein Abbrennen der Baracken gewesen. Ein Brand, der tatsächlich während unserer Abwesenheit dort ausbrach, wurde von den im Lager anwesenden Geilenkirchener Lehrern gelöscht.
Schließlich kam der Tag der Erlösung! Alle Protestschritte, die unsern, die Elternbeschwerden in Köln hatten zum Erfolg geführt,
zur Auflösung des "Straflagers Neuhammer". Was wir bei unserer ersten Vorbesichtigung auf den ersten Blick erkannt und bekannt hatten, wurde nun vollauf bestätigt. Für die Kinderlandverschickung, die in Wort und Bild so allgewaltig gepriesen wurde, stellte Neuhammer eine ungeheure Blamage dar. Für alle hierfür Verantwortlichen blieb der Name ein Schreckenswort. Die hier eingesetzten Lehrer Dr. Jansen, Thiel und ich haben eine erstaunliche Mutprobe bewiesen und haben bewiesen, dass ihnen das Wohl der Jungen eine Herzensangelegenheit war. Hätten nicht Jungen und Eltern ganz hinter uns gestanden, es wäre uns sicherlich sehr böse quittiert worden!
Nun wurden wir uns bewußt, dass ein Massenlager wie Neuhammer, auch unter würdigen Verhältnissen, niemals eine gute Lösung darstellte. Gott sei Dank, dass wir nun wieder unser kleineres, eigenes Lager beziehen konnten. Wir landeten in der Oderniederung weiter ostwärts in der Nähe von Glogau in dem stillen Dörfchen Altwasser, das seinen Namen mit vollem Licht trug, und zwar in einem dem Kyffhäuserbund gehörigen Hause mit dem hochklingenden Namen "Hindenburgheim".
Das Haus, ein altes Fachwerkhaus, war durch einen späteren Anbau ergänzt worden und zwar durch einen Saal mit Bühne und einen Wirtschaftsraum, der uns als Küche diente. Leider hatte das ganze Gebäude, das von feuchten Niederungswiesen umgeben war, noch bis vor kurzem tief im Wasser gestanden, was wir an den feuchten Wänden erkannten. Zum ersten Male beobachteten wir in unmittelbarer Nähe die in den Sumpfwiesen herumwatenden Störche, auf der Suche nach Zappelfröschen. Leider mußte die arme Mutter, die angesichts unserer neuen Unterbringung wenig zuversichtlich war, schon gleich, von einer eitrigen Mandelentzündung
und einer schweren Gelenkerkrankung befallen, für einige Tage nach Gogan ins Krankenhaus. Durch intensives Beheizen der auch hier wie in Sagan prachtvollen schlesischen Kachelöfen erreichten wir in Kürze eine Besserung des Hauszustandes und der Gesundheit der Jungen. Froh waren wir, als Mutter nach Tagen wieder aus dem Krankenhaus zu uns zurückkehrte. Ohne ihre Anwesenheit und Mithilfe wäre es um uns doch kläglich bestellt gewesen!
Die Leute in dem kleinen Dorfe, die unsere Betreuung übernommen hatten, meinten es außerordentlich gut mit uns. Unsere Versorgung erfolgte durch einen biederen, gewissenhaften Mann, der zu seinem Schreinerhandwerk noch die Poststelle leitete, Ortsvorsteher, Ortsgruppenleiter und Führer des Kyffhäuserbundes war, der im Ort die führende Rolle spielte. Er tat für uns alles, was in seiner Macht stand. Seine verheiratete Tochter, deren Mann im Kriege stand, führte mit Frauen des Dorfes die Küche und das Hauswesen nach einfacher schlesischer Art. Am besten verstand sie das Backen. Mit frischen Gemüsen nach rheinischer Art stand es knapp, mit einheimischen Pilzen, meist Pfifferlingen, wurden wir in der Saison förmlich überschüttet.
Im Parterreraum gleich rechts neben dem Hauseingang, den ich mit Heinz-Albert bezogen hatte, hatten wir schon bald neben dem warmen grünen Kachelofen zwei Gänslein und sechs Entlein, vor wenigen Tagen aus dem Ei geschlüpft, untergestellt, die wir so lange mit Brennessel-Quark-Brei fütterten, bis wir sie unserer Wiese und dem vorüberrauschenden Bach anvertrauen konnten. Die beiden Gänse, die sich zusehends herausmachten, wurden zu unseren treuen Hausgenossen, die uns besonders gerne auf dem Wege zur Post ein gutes Stück begleiteten und uns bei der Rückkehr ungemein freudig begrüßten. Die Enten dagegen
beobachteten wir von der kleinen Holzbrücke, wie sie immer ins Wasser tauchend, bachaufwärts schwammen und sich bis in den Dorfbereich hinein selbständig machten. Den Bachlauf hinunter trieben die zahlreichen "Geleitzüge", so waren sie von den Jungen benannt worden, aus der Abortgrube stammend, die unter der Brücke her, oftmals getroffen von den Wurfgeschossen der Jungen, sich eilends auf und davonmachten in der Richtung auf den großen Oderfluß. Bei der Generalreinigung der Kloanlage, die allerdings zumeist während unserer Abwesenheit stattfand, herrschte hier naturgemäß Hochbetrieb zum großen Amüsement der Jungen!
Mutter, die erneut wie schon in Sagan offiziell für den nicht leichten Gesundheitsdienst eingesetzt war, versah diese Aufgabe mit größter Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit. In manchen Fällen hat sie sich geradezu geopfert. Morgens und abends und oftmals auch zu nächtlicher Stunde hatte sie die Hände voll zu tun. Aus freien Stücken nahm sie sich auch des Flickens der Leibwäsche und vor allem des Stopfens der Strümpfe an. Viele Stunden des Tages opferte sie für die unzähligen, oftmals riesengroßen Löcher in den unheimlich vielen Strümpfen der Jungens. Ihre beharrliche Ausdauer verdient allerhöchste Bewunderung. Ich glaube gar, dass sie sich mit diesem guten Werk, das da in der Stille vor sich ging, ein Stück Himmel verdient hat.
Eine besonders anregende Abwechslung brachte uns die Bekanntschaft mit einem Mädchen-Arbeitsdienstlager, das etwas zwei Stunden von Altwasser entfernt, in einem Schloß stationiert war. Die großen, sehr feinen Mädchen aus guten Familien standen auf den Höfen der Umgebung im Arbeitseinsatz. Nach einem Besuch bei uns im Heim wurden wir von ihnen zu einem Fest eingeladen, das sie in Gemeinschaft mit ihren Bauernfamilien draußen
in ihrer großen Parkanlage bei Spiel, Tanz und Kaffee begingen. Unsere Jungen spielten dort unter anderem ein Märchenspiel "Hans im Glück", von unserem Ludwig Koenen verfaßt, mit dem immer wiederkehrenden Reim: "Lasset uns tauschen und lauschen auf Frühlingsrauschen!"
Auf diesem schönen Fest versprachen wir einem aus dem Rheinland übergesiedelten Bauern mit Namen von Wirth, sowie auch seiner Frau, ihnen bei der Feldarbeit, mit der sie nicht beigekommen waren, behilflich zu sein. In Altwasser hatten unsere Jungen, so hatten wir ihnen erzählt, Leuten des Dorfes, die ohne Hilfskräfte waren, gegen Entgelt und zwar in der Hauptsache beim Unkrautjäten beigestanden. Unsere guten rheinischen Landsleute hatten sich riesig über unsere Zusage gefreut. Zum vereinbarten Zeitpunkt machten wir uns auf den Weg und nahmen gar auf einem vierrädrigen kleinen Ziehwagen eine ganze Menge Brote mit. Bei unserer Ankunft wurde uns eine ausgezeichnete Dicke-Bohnen-Suppe vorgesetzt, in der ein ganzer Knochenschinken gekocht und aufgeteilt war. Die Jungen bezogen ihre Schlafstätten im Stroh der Scheune, und wir erhielten ein famoses Schlafzimmer mit guten Federbetten, auf die die Prachtleute unseretwegen verzichteten. Die Arbeit, die man für uns vorgesehen hatte, erforderte schon eine unsägliche Ausdauer und Geduld. Der Bauer von Wirth wollte erstmals nach rheinischem Muster seine Felder mit Möhren und weiterem Gemüse bestellen, doch waren ihm die eingesäten Reihen so verkrautet, dass er nicht mehr Herr darüber werden konnte. Und im Dorf, wo man über ihn verächtlich lachte, fand er keine Hilfskräfte. Die unendlich langen Felder machten die Jungen, die zunächst einen guten Anfang gemacht hatten, lustlos und träge, so dass sie, immer wieder aufgereizt durch den Lagermannschaftsführer, die Arbeit einstellten. Es war eine recht peinliche Situation, den guten
Landsleuten, die schon Ungewöhnliches für die hungrigen Mäuler aufgebracht hatten, erklären zu müssen, dass die Jungen der schweren Aufgabe doch nicht gewachsen seien. Wohl oder über mußten wir sie ihrem Schicksal, und was besonders vom Übel war, dem Gespött der Dorfbewohner überlassen. Wir selbst aber machten uns beschämt auf den Heimweg.
Kurz nach diesem großem Fiasko nahm der Lagermannschaftsführer, der aus dem Kölner Bezirk war und bereits in Sagan und Neuhammer an unserer Seite stand, Abschied von uns. Es wurde allgemein begrüßt, da er die Jungen zu übertriebener Wehrertüchtigung herangezogen und mit Strafmaßnahmen nach alter Kasernenmanier behandelt hatte. Ihn löste ab Hans-Wilhelm Wendel, ein Majorssohn aus Glogau, ein feiner, kameradschaftlicher Lagermannschaftsführer, der eine sehr gute Kinderstube verriet und dies uns und den Jungen gegenüber in jeder Weise kundtat. An seiner Seite war das Lagerleben eine Freude! In seiner Anwesenheit konnte ich auch von meinem mir zustehenden Urlaub Gebrauch machen. Kollege Heinz Plückthum mit Frau Maria war bereit, mich 14 Tage zu vertreten.
Acht Tage lang machte ich während dieser Zeit mit Heinz-Albert eine Großfahrt zum Riesengebirge. Nach der Eisenbahnfahrt bis Hirschberg wanderten wir von Oberschreiberau, wo wir Lehrer Rosenzweig in seinem Jungenheim, seinem Wirkungsbereich, aufsuchten, an Gerhard Hauptmanns Landsitz vorüber, erstiegen den Kamm des Riesengebirges und erlebten bei Sonnenschein und dichtem Schneetreiben das Reich Rübezahls in einem Maße, wie man es sich schöner und interessanter nicht denken kann. In den herrlichen Riesengebirgslanden, erstklassigen Häusern, übernachteten wir einige Male. In einer von ihnen bekam Heinz-Albert, aus dem Schlaf aufschreckend, ein solches Erbrechen, dass er den gesamten Fußboden des feinen Schlafzimmers so zurichtete, dass ich eine volle Stunde brauchte, die
Spuren mit Hilfe des fließenden Wassers mühevoll zu beseitigen. Erstaunlicherweise war mein Erkrankter wieder voll und ganz wanderfähig. Der Höhepunkt unserer Wanderung war zuletzt die Ersteigung der Schneekoppe mit dem nachfolgenden Abstieg über Kirche Wang zum Schikurort Krummhübel. Es war ein unbeschreibliches, unvergeßliches Erlebnis, das in mir den Plan reifen ließ, vor unserer Rückkehr nach unserer rheinischen Heimat nach einer Möglichkeit auszuschauen, mit unseren Jungen insgesamt das unvergleichliche Riesengebirge einmal zu erleben!
An die für unsere finanzielle Betreuung zuständige Stelle stellte ich den Antrag auf Bewilligung der für eine Wanderfahrt nach dem Riesengebirge notwendigen Geldmittel. Leider wurde mein Antrag abgelehnt. Doch setzte ich mir zum Ziel, aus den uns zur Verfügung stehenden Lagermitteln Beträge für eine eintägige Busfahrt zum Riesengebirge laufend abzuzweigen, um die Fahrt unter allen Umständen zu ermöglichen. Wo ein Wille war, fand sich auch ein Weg! 8 - 10 Tage vor unserem frühzeitig angekündigten Rückfahrtstag in die Heimat fuhren wir weit vor Morgengrauen an der Katzbach entlang bis Hirschberg und Krummhübel, von wo wir nach herrlichem Klammanstieg die Schneekoppe erreichten und über Kirche Wang wieder zum Omnibus zurückkehrten.
In Köln stand einige Tage später mein langer Bericht über unsere Fahrt - es war am 28. Sept. 1941, in der Zeitung.
Er lautete: "KLV-Lager Altwasser auf Großfahrt ins Riesengebirge! - Ja, unsere Sonntagsfahrt hinauf zu Rübezahl war ganz groß! Wenn schon unser Lagerleiter, Lehrer Heindrichs aus Köln, allen auftretenden Schwierigkeiten immer wieder hartnäckig entgegentrat, so mußte ihm schon ein besonders lockendes Ziel vor Augen geschwebt
haben. Endlich, am Vortag stand es fest: Am 28. September, morgens 4.30 Uhr starten wir Kölner Jungen aus Altwasser, Kreis Glogau, zur Fahrt nach dem Riesengebirge! Es fiel uns nicht schwer, beim vorverlegten Zapfenstreich um 17.30 Uhr unsere Glieder zur Nachtruhe auszustrecken, da der Weckruf für 3.15 Uhr morgens angesetzt war.
Noch umfängt uns die Dunkelheit zum Beginn unserer flotten Fahrt durch die bewaldeten Höhenzüge des Katzenrückens. Als die Sonne wie ein roter Ball zu unserer Linken auftaucht, nähern wir uns bereits den Hängen des Katzbachtales. Hier war es also, wo Blücher vor 140 Jahren den großen Napoleon schlug! Das Lied vom Feldmarschall "Was blasen die Trompeten" und die Verse vom "Trompeter an der Katzbach" werden in uns wach. Goldberg, Schönau liegen schon hinter uns. - Bald genießen wir den unvergleichlichen Blick auf den Hirschberger Talkessel. Am Rande zeichnen sich die dunklen, von Wolken und Nebeldünsten umdrohten Massen der Riesenberge ab. Über die Boberbrücke, durch die winkligen Straßen des alten Städtchens Kirchberg geht unsere Fahrt immer näher unserem Ziele zu. Schon läßt sich ein Großteil des ganzen Gebirgszuges erkennen. Über der Schneekoppenspitze lagert noch direkter Wolkendunst.
Aussteigen! Wir strecken unsere Glieder und stehen am Ausgangspunkt der Schneekoppenbesteigung, dem sauberen, so herrlichen Wintersportplatz Krummhübel. Noch einmal letzte Überprüfung der durch die Fahrt etwas mitgenommen Kräfte! Und dann ziehen wir auf schmalen Wegen am schmucken Heimathaus vorüber durch Wolfshau langsam bergan. Zur Linken begleiten uns die rauschenden Wasser der kleinen Lomnitz. Mit dem Eintritt in den Malzergrund wird unser Aufstieg steiler und beschwerlicher. Die Sonne blinzelt durch die dichten Tannen, durch die sich der Gebirgsbach zwischen Riesenblöcken sein wildes Bett gegraben hat. Oftmals
müssen wir die Geröllmassen, die unseren Weg versperren, auf Brücken und Stegen überwinden. Ein Glück, dass unser Schuhwerk noch diese Woche besonders gründlich überholt wurde!
Dann haben wir schließlich die Melzergrundbaude an der Waldgrenze erreicht. Nur hier und da steht noch ein zerfetzter Fichtenstumpf. Einen Augenblick halten wir inne und schauen zurück über den Tannengrund hinunter auf die hellen Häuschen des sonnigen Talkessels. Um uns geht kalt und scharf der Gebirgswind. Über uns und vor uns ragen steilauf die Hänge des Koppenplanes. Darüber brodeln die Wolken um den Bergriesen und lassen uns nur ahnen, wo Rübezahls Hochburg steht. Fast wird unser Felssteg so steil wie der Siberstreifen des Sturzbaches. Wir klettern mühselig den Zickzackweg hinauf, halten uns hier und da am Gestein oder am krummen Geäst einer gedrungenen Zwergkiefer fest. Des Lehrers kleine Hildegard klettert, von der starken Hand unseres "Schmeling" (Schwarz) gehalten, wie ein Hündchen leichtfüßig und wacker mit.
Nun haben wir die Höhe mit dem Schlesierhaus und der Riesenbaude gewonnen. Die Verkaufsbuden bekommen Hochbetrieb. Die lang und sorgsam gehegten Spargelder sind nach einer Weile in Andenken für die Lieben in der fernen Heimat umgesetzt. Doch nun lockt uns der Anstieg zur Spitze, die jetzt im Sonnenglanze ganz und unverhüllt vor uns liegt. Vom steinigen Zickzackweg werden uns immer schönere Blicke in den Melzergrund und den Riesengrund auf böhmischer Seite aufgeschlossen.
Oben, in mehr als 1600 Meter Höhe, sind wir immerzu überwältigt von dem Blick auf Berge, Kessel und Gründe. In der ehemaligen tschechischen Baude lassen wir uns unsere Riesenbutterbrote bei einem guten Teller Suppe recht fein schmecken. Und dann flattern die Kar-
tengrüße aus luftiger Höhe weit hinaus in die rheinische Heimat. Auf der Schneekoppenhöhe treten noch einmal unsere "Hof- und Lagerfotografen" in Tätigkeit, dann entläßt uns Rübezahl von seiner Hochburg.
In weitem Feldherrnmantel stiefelt unser Lagermannschaftsführer voraus, am Jubiläumsweg und Schlesierhausweg entlang. Auf dem steinigen Weg zum Seifengrund glauben wir Rübezahls allgewaltige Stimme zu hören. Ein wenig eingeschüchtert schließen wir uns eng zusammen und erreichen über die Seifenlehne und die Hampelbaude die gewaltige Schneegrube an der Teichbaude. Tief im Grunde eingebettet, liegt der kleine Teich, umgeben von hochragenen Felswänden. Fürwahr ein Sammelplatz urgewaltiger Naturschönheiten, den wir nur ungern verlassen! Am Teichausfluß entlang, der großen Lomnitz, erreichen wir die sanftere Umgebung der Schlingelbaude. Hier nimmt uns der Wald mit breiten und angenehmen Wegen auf, die uns ein schnelleres Ausschreiten erlauben. Am Waldausgang grüßt uns das Kleinod des Riesengebirges, die Kirche Wang. Es gelingt uns noch, einen Blick in das Innere dieser norwegischen Holzkirche zu werfen und aus berufenem Munde Geschichte und Bedeutung des Baues zu erfahren.
Schon nehmen wir Abschied von den Bergen und sitzen kurz darauf wieder in unserem Autobus. Wir alle stehen unter den vielen und tiefen Eindrücken unseres herrlichen Hochgebirgstages. Noch einmal blicken wir auf zu den Bergriesen, die in der Abenddämmerung immer mehr unseren Blicken entschwinden. Dann nimmt uns in langer Fahrt mehr und mehr die Dunkelheit auf und entführt uns hinab in die Niederung Schlesiens, in unser Heim. Bis tief in den neuen Tag gönnen wir uns einen erquickenden Schlaf.
Nun umfängt uns wieder der Alltag des Lagerlebens mit seinem geregelten und ausgerichteten Ablauf. Aber durch unser ganzes Dasein klingen die Eindrücke unserer Wanderfahrt freudig nach. Und wenn bis zu unserer Rückkehr in die Heimat noch manche Tage ins Land gehen, so wissen wir heute schon: "Der herrliche Tag in Rübezahls Bergen wird unter allen Erlebnissen unserer Schlesierzeit leuchten bis in späte Tage. Was vergangen, kehrt nicht wieder, - aber ging es leuchtend nieder, leuchtet´s lange noch zurück." - Soweit mein Zeitungsbericht! (…)
Wenige Tage nach der herrlichen Riesengebirgsfahrt rüsteten wir zur Heimfahrt nach Köln.
Unsere schneckenfett gewordenen Enten mußten nun ihr liebes Leben lassen, teils für uns, teils für solche, die uns in Altwasser besonders gewogen waren und damit eine Freude bereiten konnten. Ein oder zwei ließen wir bis zuletzt ihr Dasein; sie sollten uns noch zu Hause in Köln gut munden. Unser Betreuer, Posthalter und Schreiner zimmerte uns zwei feste Holzkastenböden um zwei große, hohe Tragekartons, in denen die groß gewordenen Gänse in lebendem Zustande mitreisen sollten. In Köln-Vingst wurden sie auf dem Gutshof unseres ehemaligen Neunkirchener Klassenkameraden Hundgeburth bis zu dem Zeitpunkt untergebracht, da sie bei uns und bei der Oma in der Kalker Kaplanei je einen Weihnachtsbraten abgeben sollten. Der Aufenthalt in einer großen Gänseschar ist ihnen jedoch nicht besonders zuträglich gewesen. Nach unserem Abschied im Dorf Altwasser und bei den Bewohnern des Schlosses, die uns einige Male eingeladen hatten und sehr nett zu uns waren, ließen wir unserer Freude über
unser baldiges Wiedersehen mit der lieben Heimat freien Lauf. Lieder konnten Mutter und Hildegard laut ausdrücklicher Vorschrift unseren Jungensonderzug nicht benutzen. Sie fuhren daher allein zwei Tage voraus. Auf unserer Busfahrt zum Sonderzug nach Glogau grüßte uns noch von der Höhe die Kirche des Wallfahrtsortes Hochkirch, deren überreiche Pracht wir beim Sonntagsgottesdienst so oft bewundert hatten. Die guten Bewohner von Altwasser standen, als wir zum Dorf hinausfuhren, vor den Türen und winkten uns zum Abschied zu. Sie waren uns immer sehr zugetan. (...)
(…)
Auch für mich selbst bestand erneut die Gefahr, wiederum zum Militär einberufen zu werden. Ja, nachdem ich nochmals zur Musterung gerufen und dort "bedingt k v" befunden worden war, stand mein Abruf in absehbarer Zeit bevor. In dieser bedrohlichen Lage war mir in einem treuen, gleichgesinnten Menschen, dem Arzt Dr. Heinrich Morsches, ein mutiger, wackerer Helfer erstanden. Immer wieder, wenn es hoffnungslos stand, räumte er jede Gefahr für mich aus dem Wege. War mein Gesundheitszustand auch nicht der allerbeste, so hätte man mich längst am Kragen gehabt! Oftmals fürchtete ich, sein wagemutiges Eintreten für mich, den Klassenlehrer seines Ältesten, könnte ihm selbst einmal zum Verhängnis werden. Auch im Schulbetrieb wurde es
durch die meist schlaflosen Nächte für Schüler und Lehrer immer unerträglicher. Ja, wir sollten wieder mit den Schulkindern in weitentfernte Lager verschickt werden! Aber die Eltern zeigten sich vielfach hierzu auf Grund von Erfahrungen nicht mehr bereit, und wir selbst waren auch davor bewahrt. Die noch zuletzt angestrengte Propaganda blieb ohne Erfolg.
Da führte uns meine Zufallsbegegnung mit dem ehemaligen Dirigenten des Kirchenchores von St. Georg in Köln, Studienrat Klein, zu einer neuen Überlegung. Seine Schwester, Lehrerin an einer Ehrenfelder Mittelschule, sei seit einiger Zeit mit ihrer Klasse in der Jugenherberge Nideggen. Sie sei aber im Begriffe, in ein Kurheim in Nideggen überzuwechseln, sobald die Renovierung des Hauses zu Ende geführt sei, womit dann die Jugendherberge frei werde. Ich fuhr allsofort nach Nideggen und erfuhr dort alles Nähere.
In Köln machte ich mich nach entsprechenden Informationen sogleich auf den Weg zu den Eltern der Jungen in unserem und in benachbarten Schulbereichen und legte ihnen nahe, mir ihre Jungen anzuvertrauen in der so nahen, aber geborgenen Eifel. Ich erreichte die erstaunliche Meldung von nahezu achtzig Teilnehmern. Mit meinem Vorschlag trat ich an die zuständige Stelle heran und fand dort Zustimmung. Da meine Zahl zu hoch war, gewann ich Heinz Plückthun, der an der Schule in Köln-Zollstock tätig war, dazu, den überschüssigen Teil meiner Meldungen zu übernehmen. Auch ihm gelang es, mit seinen Schützlingen ausgerechnet in der Jugendburg meines Heimatortes Blankenheim unterzukommen.
Wir setzten uns mit Regine in Bergneustadt, einem noch geborgenen Winkel des Bergischen Landes, in Verbindung. Sie war bereit, einen Großteil unserer Möbel, vor allem unser Studierzimmer, unser Schlafzimmer und das Klavier nach dort zu nehmen. Es war schon ein
kompletter Möbeltransport der Transportfirma Zillken aus Siegburg-Mülldorf, den ich nach Bergneustadt begleitete. Unsere Küchenmöbel mit allem, was dazu gehörte, unsere Sessel und weitere Stücke schafften uns Alex Weißkopf, der Vater unseres Lagerjungen Heinz-Albert Weißkopf, mit seinem Fernlaster nach Nideggen in die Jugendherberge. Ein kleiner Teil Möbel blieb in Köln zurück. Unsere Wohnung in der Agilolfstraße überließen wir einer bekannten Familie Wilhelmi aus dem Pfarrbereich, die kurz zuvor ihre eigene Wohnung verloren hatte.
Mit rund fünfzig Jungen im Alter von 10 bis 13 Jahren bezogen wir, vermutlich nach Ablauf der Sommerferien 1943, die Jugendherberge Nideggen. Frau Jakubiak, die Herbergsmutter, eine prachtvolle, solide, nette Frau aus der Jugendbewegung, (...) stand außerhalb des Lagerbetriebes, war uns aber in vielen Fragen eine kluge Beraterin. Martha Jungbluth als eingesetzte Wirtschafterin leitete die Küche. Das derbe, rauhbeinige Küchenmädchen Irmgard stand ihr zur Seite.
Die Umgebung der Jugendherberge mit ihren steilen, hochragenden Sandsteinfelsen barg vielerlei Gefahren. Schnell hatten wir uns eingelebt. Der Tagesablauf vollzog sich nach einem festen Plan, dem Unterricht am Vormittag, der Aufgabenzeit nach der Mittagsruhe, der Freizeitbeschäftigung und der körperlichen Ertüchtigung durch den Mannschaftsführer. Bald hatte ich für die Freizeitgestaltung mehrere Gruppen geschaffen: Arbeitsdienst im noch ungestalteten Hintergebäude der Jugendherberge, im Garten, Werken und Basteln, Tischtennis und vor allem eine Arbeitsgruppe zur Ausgestaltung unserer Räumlichkeiten. Einige Väter beschafften aus ihren Betrieben große Vorräte an Anstrichmaterial. Es dauerte nicht lange, da hatten wir alle Räume des Hauses, die vielen Fensterrahmen, die Türen, die Treppen, die Decken und Wände von Flur und Treppenhaus in frohen Farben gestrichen. Nun gingen
wir daran, die zahlreichen Blumenkästen mit roten Betunien zu bepflanzen, Türschilder, Spruchbänder, Symbole, Wappen und Wandvasen zu werken. Draußen ebneten unsere Garten- und Landschaftsgestalter mit Hacke und Spaten und mit Hilfe einer Schubkarre den hinter unserem Hause lagernden Erdhügel, noch von der Ausschachtung beim Herbergsbau stammend, in monatelanger, emsiger Arbeit ein und legten von dem Erdreich eine ebene Wiese an. Nach dem steilen Nachtigallental schufen wir einen bequemen Wegabstieg mit Treppenstufen und Ruhepunkten, um das Tal und die zuständige Bahnstation Brück schneller erreichen zu können.
Der monatliche Sonntagsbesuch der Eltern und Angehörigen wurde zu einem frohen, herrlichen Festtag ausgestaltet. Die Feiertage wie Ostern und Pfingsten ließen sich zusammen mit den Eltern kaum schöner begehen. Bei dem von Köln ausgeschriebenen Wettbewerb der Kinderlager waren wir wegen der äußerst intensiven Arbeit für die Verschönerung unseres Heimes für den 1. Preis ausgewählt worden. Leider kam es zur Verleihung des Preises infolge der Kriegslage nicht mehr, so daß wir uns mit der Zusage begnügen mußten. Unser erster Lagermannschaftsführer Schmitz aus Aachen überforderte die Jungen in der Leibeserziehung. Häufig zwang er mich, hier Einhalt zu gebieten. Sein Nachfolger, Jürgen Scherz aus Gummersbach, wurde wegen seiner Techtelmechtel mit Hermine, einer Gesundheitshelferin für einen kurzen Zeitraum auf mein dringendes Vorstelligwerden in Köln abberufen. In der Zeit, da wir ohne Lagermannschaftsführer waren, erreichte unser Dasein in Nideggen seinen Höhepunkt.
Hildegard, die in Nideggen die Volksschule besuchte, hatte leider auf unserem Schlafzimmer einen Unfall. Sie fiel von einem Stuhl und biß sich hierbei mit den Zähnen die Zunge auf. So konnte sie längere Zeit nichts Festes zu sich nehmen. Der Arzt hätte es wohl besser
gleich vernähen sollen, dann wäre es schneller verheilt. Doch die Aufgabe wäre für ihn gewiß nicht leicht gewesen, weshalb er sich davor scheute. - Heinz-Albert hatte es schwer, jeden Morgen in der Frühe zur Bahnstation nach Brücke zu laufen und von dort aus zum Dürener Gymnasium zu fahren, wo er als Fremder einen schwereren Stand hatte. Mutter sagte die Lage der Jugendherberge wie auf einem sturmreichen Riff nicht sonderlich zu, während ich die scharfe Brise, den häufigen frischen Wind, sehr schätzte. Hildegard gewann Nideggen, wie ich selbst, fast wie eine zweite Heimat sehr lieb und bewahrte es tief in ihrem Herzen.
Vom Bezirkskommando in Düren, dem ich mich von Nideggen aus zur Musterung stellen mußte, ging mir eines Tages ein verhängnisvolles Schriftstück zu. Danach unterstand ich von einem bestimmten Zeitpunkt an dem Militär und konnte mit einer baldigen Einberufung mit Sicherheit rechnen. Frau Jakubiak hielt auf Grund dieses Schreibens meine Lage für aussichtslos. Trotzdem gab ich mich nicht völlig auf und reiste schon am nächsten Tag nach Köln. Auf der Marienburg, der Residenz der Kinderlager, konnte ich nichts erreichen. So wandte ich mich an das Schulamt und suchte den für mich zuständigen Schulrat Schröder, einen maßgeblichen politischen Leiter, auf. Er stellte nach Durchsicht seiner Personalliste fest, dass ich mich mit der angekündigten Einberufung abfinden müsse. Mit diesem kurzen, deprimierenden Bescheid sprach ich nochmals im Vorzimmer des Schulrats beim Büroleiter, Amtmann Faber, mit dem ich bekannt war, vor. Er ließ mich auf mein Fragen vertraulich wissen, dass die Liste beim Schulrat über meine politische Einstufung Auskunft gegeben habe. Da in meinem Falle eben keine Ia Einstufung vorliege, so sei mir aus diesem Grunde die negative Auskunft zuteil geworden. Mit diesem Bescheid wollte ich mich nicht zufriedengeben, sondern nun auch das allerletzte versuchen und mich an eine höhere Instanz wenden. Hierzu gab mir
Herr Faber in guter Absicht den rechten Wink. So lenkte ich meinen Schritt zum Appellhofplatz ins Oberlandesgerichtsgebäude zur Regierung und zwar zum Zimmer des mir bezeichneten Herrn, des Bürgermeisters a. D. Peters. Ihm konnte ich meine Situation in Nideggen näher erläutern, da es ein Herr war, dem man Vertrauen schenken konnte. Meine Position in Nideggen würde ich für wesentlich wichtiger und verantwortungsreicher halten, als nun in die Militäruniform gesteckt zu werden , in der ich mich nicht zu Hause fühle. Nach einem kurzen Vorstellen bei Oberreg. Rat Broich, dem zuständigen Dezernenten, gab er sich daran, einen Fragebogen auszufertigen und mit mir unter ein paar ermutigenden Worten zum Wehrbeauftragten zu ziehen. In wenigen Augenblicken kam er, mir zuversichtlich zuwinkend, aus dem Empfangs- und Unterschriftszimmer und gab mir zu verstehen: "So kann Ihnen nichts mehr passieren!" Selten bin ich einmal so überglücklich gewesen, dass ich diesem verständnisvollen Menschen begegnet bin. Hier war schon jemand für mich eingetreten, der die gleiche Gesinnung hagte wie ich. Im Hochgefühl meines Glückes fuhr ich nach Nideggen zurück, wo man mich geradezu anstaunte.
Von einem großen Druck befreit, konnte ich mich nun wieder froh und frei meinen Arbeiten, die mir so viel Freude machten, hingeben. Ich konnte nunmehr auch in Ruhe an einem dreiwöchigen Lehrgang teilnehmen, der in Bad Podiebrad in der Nähe von Prag, der goldenen Stadt, stattfand. Diese schöne Stadt an der Moldau besuchten wir unter sachkundiger Führung einen vollen Tag und besuchten das Schloß, den Dom, den Ring mit dem Wenzelsplatz, die Schlösser und Museen, in denen ich auch das große Ölbild des Prager Ezbischofs entdeckte, der aus dem Blankenheimer Grafengeschlecht stammte. (...) Während meiner Abwesenheit wurde ich durch einen Lehrer aus Refrath vertreten. Er war erstaunt, dass unsere Jungen so zahlreich
am Sonntagsgottesdienst in Nideggen teilnahmen, obwohl die an uns ergangenen Instruktionen ganz anders lauteten.
In Nideggen brachte uns während des Winters der Rodelsport auf der kurvenreichen Straße von der Stadt aus bis ins Rurtal unsägliche Freude. Unser unübertrefflich schneller Schlitten ließ sich bei unseren Wettfahrten, die Hildegard so gerne mitmachte, niemals die Spitze nehmen trotz aller Raffinessen, die Jürgen Scherz, der Mannschaftsführer, gegen uns anwandte. In gewohnter Art lenkte ich auch hier wie in Jugendtagen mit dem linken Schlittenschuh.
Ein Vorspiel zu kommenden ernsten Tagen hat uns einige Zeit vorher die Hitlerjugend beschieden, die auf der nahen Heide vor Rath ein gewaltiges Lager aufgerichtet hatte. Wir hatten uns an einem Abend, da unsere Jungen bereits im tiefen Schlaf lagen, das außerordentliche Vergnügen gemacht, in einheitlichen dunklen Trainingsanzügen in tiefster Dunkelheit das bestens bewachte Lager anzuschleichen. Sogar das weibliche Küchenpersonal hatte sich uns begeistert angeschlossen. Am Zugang zum Lager mußten wir vor der aufmerksam gewordenen Wachmannschaft in Deckung gehen und mehr als eine halbe Stunde mit angehaltenem Atem und völlig bewegungslos auf dem nackten Boden liegen, bis die Gefahr der Entdeckung vorüber war. Die Abenteuerlichkeit des Unternehmens hat wohl mit dazu beigetragen, dass Heinz-Albert mit einigen mutigen Kameraden am hellichten Tage sich versucht fühlte zu dem großen Wagnis, die so scharf bewachte Lagerfahne zu entwenden. Der Versuch mißlang, und Heinz-Albert als Anführer wurde mehrere Tage in Gefangenschaft gehalten. Als ich davon erfuhr, vor allem, dass der Gefangene nicht sonderlich behandelt werde, begab ich mich, hierüber ungehalten, ins Lager, verhandelte mit dem Führer und erreichte mühsam die Freigabe. Das Ganze mag im dortigen Lager
den Anlaß zu einem großen Kriegsspiel gegeben haben. Wir von der Jugendherberge und die beiden weiteren Jungenlager einer Kölner Mittelschule unter Leitung von Lehrer Martens wurden schriftlich aufgefordert, bei dem vorgesehenen Großangriff auf Nideggen die Rolle des Verteidigers der Festung zu übernehmen mit dem Hauptquartier "Hotel Heiliger", dem Standquartier der großen, handfesten Mittelschüler. Wir von der Jugendherberge und die beiden Lager der Mittelschule sollten das Hauptquartier vom rückwärtigen Toreingang und von der Front des Hotelgebäudes aus verteidigen. Die Eroberung Nideggens durch die Übermacht der Hitlerjugend, die unter kriegserprobten Führern stand, vollzog sich zunächst ohne jede Schwierigkeit; wir am rückwärtigen Tor waren gegen sie völlig machtlos und wurden im Nu überrumpelt. Doch vor dem Hotel selbst, von der Straße aus, entwickelte sich um das Hauptquartier ein erbitterter Kampf. Die kräftigen Jungen des Hotels verteidigten das verbarrikardierte Hotel mit aller Zähigkeit. Sie warfen alles Mögliche aus den Fenstern auf die Angreifer, begossen sie eimerweise mit Wasser, so dass es zunächst schien, als ob hier der Siegeszug der Übermacht gebrochen werde. Jedoch die Angreifer nahmen keinerlei Rücksichten und ließen sich durch nichts erschüttern, schlugen kurzerhand die Haustür in Stücke, drangen in das Haus und überwältigten in harten Einzelkämpfen die tapferen Verteidiger. Oftmals haben wir an diesen Tag zurückgedacht, als aus dem Spiel, das auch schon nach bitterem Ernst ausah, später blutiger Ernst geworden war und die liebe Eifelheimat und auch Niedeggen in Flammen stand. Zuletzt saßen wir selbst dort auch mitten im Kriegsgeschehen, als die nach der Invasion weit vorgestoßenen alliierten Truppen im Hürtgenwald und vor dem Rurtal hartnäckigen deutschen Widerstand erfuhren.
Fliegerkämpfe dicht über unseren Köpfen wurden nun zur
Wirklichkeit und Alltäglichkeit. Unsere Jungen wurden beim Brotholen von den Tieffliegern überrascht und mußten gegen die Maschinengewehrsalven Deckung im Straßengraben suchen. Das Geschützfeuer aus den Bergen mahnte uns Tag und Nacht an die Nähe der Front. Wir hatten uns schon eine der Waldhöhlen ausgewählt, wo wir Schutz suchen wollten, wenn der Krieg über uns hinwegbrausen würde. Die Eltern, die sich besorgt einfanden, beschwichtigte ich mit der mir gegebenen Zusage, dass unsere Verlegung ins Bergische Land hinter den schützenden Rhein bevorstehe. Heinz-Albert Weißkopf wurde einzig mitten in der Nacht von seinem Vater abgeholt. Daheim fand der arme Junge zusammen mit seiner Mutter, die so oft in Nideggen zu Besuch geweilt hatte und sich immer so sehr um ihren Einzigen sorgte, den Bombentod in einem kleinen Werkbunker am Bonntor in Köln.
Ganz plötzlich kam dann der Befehl zu unserem Abtransport. Wir hatten schon nicht mehr damit gerechnet! All unser Hab und Gut, unsere Küchenmöbel, angefüllt mit vollen Einmachgläsern, die von Mutters Fleiß zeugten, den guten, so gepflegten, spiegelblanken Herd, alles Geschirr, die Nähmaschine, Heinz-Alberts Rudereiner, den schnellen Schlitten, die prächtigen Sessel aus der Werkstatt Lutz aus Zülpich und noch manches andere setzten wir in den großen Flur in der Erwartung, die Sachen würden nach unserer Abreise durch einen uns zugesicherten Autotransport noch zeitig in Sicherheit gebracht. Über den Bahnhof Düren erreichten wir mit der Bahn den Kölner Hauptbahnhof, wo viele Eltern auf unseren zugesagten telefonischen Anruf ihre Jungen heimlich mit nach Hause nahmen, was wir offiziell verhüten sollten. Hierdurch schmolz unsere Schar fast auf die Hälfte zusammen. Inmitten allergrößter Gefahren durch einen Fliegerangriff wurden wir duch einen Sonderzug entführt. Wir hatten inzwischen erfahren, dass es mit uns in den fernen Osten, in den Sudetengau gehen sollte.
Nicht oft in meinem Leben ward ich von einer solchen Verzagtheit und Traurigkeit befallen wie damals, als uns der Zug aus der geliebten Heimat, der so bedrohten, entführte! Vieles aus vergangener Zeit trat mir wehrmutsvoll vor die Augen, und ich wurde mir bewußt, dass mit dem Abschied von Nideggen meine allerbeste Zeit entschwinden werde. Hier hatte ich alles wiederentdeckt, was seit Jahren in mir brachgelegen hatte, meine außerordentliche Freude am Gestalten, Schmücken, Malen. Hier blieben nicht nur unsere Sachen zurück, sondern vieles andere, wozu ich erst wieder in späteren Jahren mich zurückfinden konnte. Die Erinnerungen an dieses schöne Nideggener Jahr stiegen in mir auf, als ich im Zuge saß, darunter auch der Tag des leider mißglückten Anschlags auf den Schuldigen alles Kriegselendes, Hitler. Ich dachte zurück an die Wochen, da Klaus mit Änni von Düren aus hier in Nideggen Zuflucht gesucht hatten, an die Tage, da Josef mit uns am Beginn seiner Zeichenarbeiten in der Jugendherberge geweilt hatte. Die schöne Zeit war nun dahin! Was würde nun folgen? Mir war es, als uns der Zug gegen Osten entführte, einem düsteren Schicksal entgegen, zum Weinen! Dass so viele unserer Jungen auf und davon gezogen waren, dafür hatte ich vollstes Verständnis. Welchen Weg wir in der Ferne noch vor uns hatten, das mußten wir noch abwarten. Wäre ich für mich allein gewesen, auch ich wäre davongelaufen. In dieser Stunde trat mir vieles vor Augen, was uns tatsächlich noch begegnen sollte! In langer Fahrt durchfuhren wir das deutsche Land.
In Thammühl am See, nach Hirschberg, im landschaftlich schönen Sudetengau, sollte unsere Bleibe sein, tausend Kilometer von der Heimat entfernt. Thammühl war schon ein reizendes, anmutiges Fleckchen Erde, am großen, idyllischen See gelegen. Vor dem Kriege war es der Sommerkurort der reichen jüdischen Geschäftswelt gewesen, meist aus Prag.
In einer kleinen Privatpension "Haus Brunhilde" wurden wir mit der noch verbliebenen Jungenschar stationiert. Das Haus gehörte einer deutschen Familie, einem kinderlosen Ehepaar, das noch die alte Mutter bei sich hatte. Leider hatten die Leute nicht das rechte Verständnis für die Jungen aus dem Rheinland. Die Bewohner des Hauses bereiteten uns ein äußerst schweres Dasein. In der Beengtheit des verhältnismäßig kleinen Hauses, das bald mit neuangekommenen Jungen aufgefüllt worden war, erfuhren wir immerzu die uns bedrückenden Beanstandungen durch die auf der Lauer liegende Besitzersfrau mit ihrer Mutter, Frau Krause, die für uns alle zum "Hausdrachen" wurde. Die neu eingetroffenen Jungen waren vielfach solche, die erzieherisch nicht einfach waren. So ergossen sich über uns tägliche Klagen und Vorwürfe, die dann zu häufigen Eingaben an die uns betreuende Stelle nach Reichenberg führten. Mehrere Besuche von dort bestätigten uns immer wieder, dass das Haus schon bei unseren Vorgängern sich als ungeeignet erwiesen habe, denen auch Schlimmstes widerfahren sei. Man werde uns im Auge behalten und uns mit der Zeit anderweitig unterbringen. Mutter und Hildegard wohnten nicht bei uns im Hause, sondern einige hundert Meter entfernt im Haus "Elfriede" auf eigene Kosten (Doppelzimmer 70,- Mark), in einem Hause, das noch weiteren Lehrpersonen der Kinderlandverschickung als Bleibe diente. Unsere Mahlzeiten nahmen wir mit den großen Jungen aus "Hotel Heiliger" in Nideggen zu uns in einem Cafégebäude. Es war schon keine glückliche Lösung mit der großen Zahl ganz verschiendenen Alters, zusammen mit den anderen Lehrpersonen. Nideggen und Thammühl standen sich gegenüber so kraß wie Tag und Nacht. Ich hatte nicht umsonst so sehr den Kopf hängen lassen. Es war so, als ob wir für unseren hohen Ruf, den wir in Nideggen erworben und erfahren hatten, nun eine gründliche Abfuhr erhalten sollten. Von Tag zu Tag mehr sehnten wir aus
nach der neuen Lösung, die man uns zugesagt hatte. Auch eine andere Gefahr, die mich bedrohte, ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Der örtliche Volkssturm forderte mich immer wieder zu seinen Übungen auf. Wenn ich mich auch niemals zu ihnen einfand, so mußte ich hier trotzdem meine Augen offen halten.
Da erreichte uns aus Köln die betrübliche Nachricht, dass unsere Wohnung durch eine Bombe, die schräg in den Erdgeschoßteil des Hauses eingedrungen war, total zerstört worden sei. Und nun saßen wir hier! Ich raffte mich auf und beantragte 14 Tage Heimaturlaub, ohne dass ich an die Gefahr dachte, in die ich mich hineinbegab. Lehrer Kaufmann, ein fanatischer und feister Nazi, sollte mich vertreten. Ich konnte nicht ahnen, dass Mutter unter seiner Regie so sehr leiden mußte. Wenn ich heute an meine Urlaubsreise denke, bin ich erstaunt, dass ich sie gewagt habe. Es ging doch nur um vergängliche Werte, die wenigen, die wir noch in Köln belassen hatten und um den Verbleib der Nideggener Sachen, über die ich aus zuverlässiger Quelle erfahren, dass sie zum Teil landeinwärts abtransportiert worden seien.
In welchem Zustand ich unsere Wohnung antraf, als ich sie nun zum erstenmal wiedersah, kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Die Bombe war von der Rückseite aus eingeschlagen und hatte die Räume bis zur Unkenntlichkeit in eine Trümmerstätte verwandelt. Vielleicht war es so, dass die eingestürtzte Wohnungstür mit einigen Brettern zugestellt war. An dem für mich so erschütternden Zustand konnte ich in dem gottverlassenen Hause leider nichts ändern. In der Kreissparkasse am Chlodwigplatz hatten wir noch in unserem Tresorfach unsere Silberbestecke untergebracht, die ich in dem bis zum Erdgeschoß demolierten Eckhaus dort unten in dem gesicherten Keller an mich nehmen konnte. Dann fuhr ich aus
dieser Trostlosigkeit weiter noch Troisdorf. Von dort unternahm ich mit dem Fahrrad eine Fahrt nach Gummersbach und seine weitere Umgebung, wohin unsere Sachen von Nideggen aus geschafft worden seien. Da ich den Bestimmungsort leider nicht hatte erfahren können - hernach stellte sich erst heraus, dass die Angaben gar nicht stimmten - so begann für mich hier von Gummersbach aus eine mühsame, vergebliche Suche von einem Ort zum anderen. Aber überall, wohin ich mich wandte, bekam ich eine negative Auskunft. Zuletzt war von Köln die Rede. So hatte ich mich wohl durch die Angaben eines Mannes täuschen lassen. Ich gab mein Fahrrad auf der Bahn auf und fuhr nach der so gefährdeten Domstadt. Die Front lag damals schon zwischen Düren und Köln am Vorgebirgshang entlang. Erste Auskunft glaubte ich im Dombunker zu finden. Tatsächlich traf ich dort jemanden, der mit den Verhältnissen vertraut war und der mir versicherte, dass die Sachen aus der Jugendherberge Nideggen mit weiteren Sachen aus der Eifel in einem alten Fort an der Militärringstraße in Köln-Müngersdorf untergebracht seien. Trotz andauernder Angriffe aus der Luft fuhr ich mit dem Fahrrad durch die zerbombte Stadt, immer wieder Deckung suchend. Schließlich kam ich in dem mir genau bezeichneten Lager gerade noch zur rechten Zeit an. Alle Sachen sollten noch zur Stunde mit Militärlastern weiterverfrachtet werden. Die unseren sollten mit einem Transport nach Troisdorf abgehen. Unser Eigentum hatten wir im einzelnen genau gekennzeichnet und zuverlässig beschildert. Leider waren nur einige leicht transportable Sachen von Nideggen aus mitgekommen. Mit allergrößter Mühe fand ich unseren Teppich und einiges Bettzeug, zwar nicht alles, heraus. Unsere Nähmaschine hatte sich schon ein Hitlerführer, der in der Nähe wohnen sollte, angeeignet. Leider konnte ich ihn nicht ausfindig machen. Das von mir Herausgesuchte luden die Soldaten auf für den Weiter-
transport nach Troisdorf in die dortige Jugendherberge. Das Beste war ja in Nideggen verblieben und dort verlorengegangen. Sehr niedergeschlagen fuhr ich von dannen; doch war es zu gefährlich, die Stadt zu berühren. Mit der Fähre überquerte ich den Rhein und erreichte per Rad mein Ziel in Troisdorf. Die in der Jugendherberge hoch aufgetürmten Sachen konnte ich nur mit allergrößter Mühe durchsuchen. Die Sachen, die ich als die unsrigen ausfindig machen konnte, holte ich mit einem Handwagen ab und stellte sie bei Brubachs und Heinens vorläufig unter. Hierzu hatte ich mir also alle Mühe gegeben! Die arme rheinische Heimat, wie tief war sie schon durch Hitlers Teufelswerk ins Elend geraten! Mit geringem Erfolg, wohl im Besitz der Silberbestecke aus unserem Kölner Sparkassenfach, fuhr ich wieder nach dem Sudetengau zurück. In Dresden hatte ich Zeit, mir die herrliche, damals noch vom Krieg verschonte Stadt, genauer zu besichtigen. In Thammühl traf ich alle gesund an. Da ich einige Tage über meine Urlaubszeit ausgeblieben war, hatten sich bereits alle um mich auf Grund der Berichte aus Köln Sorge gemacht. Mutter allerdings war sehr aufgebracht über das in den letzten Tagen gezeigte pöbelhafte Benehmen von Lehrer Kaufmann. Er hatte sie in aller Öffentlichkeit im Restaurant wegen der Post, auf die sie schmerzlich wartete, angefahren und beleidigt. Es war ein Glück, dass sein Regiment zu Ende ging! Er hatte alles aufgeboten, um die Jungen von der Sonntagsmesse abzuhalten. Wie mag es ihm zumute gewesen sein, als zum Kriegsende seine Rechnung so kläglich ausgegangen war?
In dem schönen Thammühl mit seiner gesunden, klaren Luft hätte man es unter normalen Verhältnissen schon recht gut aushalten können. Im Sommer konnten wir uns häufig am prachtvollen Seestrand im Wasser tummeln, im Herbst trieb es uns in die buntgefärbten Wälder rings um das Seegestade und in die nähere Umgebung. Im
Winter, der uns viel Kälte, Eis und Schnee brachte, lockte es uns auf den völlig zugefrorenen See, wo die Jungen in Ermangelung von Schlittschuhen mich auch oftmals über die spiegelglatte Eisfläche bis auf die Insel oder gar bis ans ferne Ufer zogen. In den besonders kalten Wochen, da es uns an Brennmaterial fehlte, mußten wir uns in den Waldungen selbst um das notwendige Brennholz mühen. Es war für uns eine ungewohnte, schwere Arbeit, angefangen mit dem Fällen der Bäume, dem Zersägen der Stämme, dem Zerkleinern des Holzes bis zum sachgemäßen Auftürmen der Holzstücke im Hof. Das wollte alles gelernt sein!
Es ging dem Januarende zu, da alles tief verschneit war. Mich drängten besondere Umstände und Befürchtungen zu einer telefonischen Anfrage in Reichenberg, zu erkunden, wie es mit der nun so dringlich gewordenen Lagerverlegung stehe. Von Osten her waren die düsteren Wolken immer näher gezogen. Lehrer Martens, der kleine, aber kraftstrotzende Kollege, lief schon seit Tagen aufgeregt und verzweifelt vor uns her und bezeichnete unser Schicksal als schwerstens bedroht. In dumpfer und dynamischer Art entfuhren ihm die Worte: "Uns droht der Tod!" Der Volkssturm hatte auf uns alle ein Auge geworfen. Bald würden die ersten von uns in seinen Reihen stehen. Einer hatte schon gerade eine entsprechende Anweisung erhalten, und dann sollte die Reihe an mir sein. In meinem so dringlichen Anruf in Reichenberg, der die letzte, auf mich zukommende Gefahr verschwieg, versprach man mir auf mein Drängen - ich wollte es kaum glauben - mir sofort einen Fahrschein auszufertigen für eine neue Unterbringung in Radschitz, Kreis Kaden.
Die Nachricht von unserem so unerwarteten Abrücken schlug wie eine Bombe ein! In "Haus Brunhilde" begann nun ein eiliges Packen. Da der Fahrschein per Eilpost noch am gleichen Tage eintraf, wurde die Abreise bereits zum nächsten Tag, dem 27. Januar 1945, mit dem frühesten Morgenzug angesetzt. Mit Schlitten schafften wir unser Gepäck
in der Dunkelheit zum Bahnhof. Unser plötzlicher Aufbruch am frühen Morgen glich einer Flucht. Da wir von verschiedenen Seiten bedroht waren, war es schon eine heillose Flucht! Erst als wir glücklich im Zuge saßen, kam ein Gefühl der Sicherheit über mich. Trotz der Frühe war der Zug überfüllt mit Leuten, die zur täglichen Arbeit fuhren. Es bedurfte aller Anstrengung, allesamt mit dem vielen Gepäck auf den Umsteigestationen mitzubekommen. Es war ein Glück, dass ich von der letzten Umsteigestation, Kaden, den Bürgermeister von Radschitz anrief. Da das Lager noch nicht vorbereitet war, fiel er aus allen Wolken. Doch in Fünfhunden, unserer Zielstation, standen zwei lange Plateauwagen, mit Pferden bespannt, in Begleitung des Bürgermeisters für uns bereit zur Fahrt nach Radschitz, dem kleinen Dörfchen.
Im Gasthaus hatte der Bürgermeister gleich mit unserer Ankunft die Frauen des Dorfes zusammengerufen. Nach seinen Begrüßungsworten stellte er die Herrichtung des nach Reichenberg gemeldeten Lagers für die nächsten Wochen in Aussicht und bat die Frauen, die Jungen bis dahin in den Privathäusern bei sich aufzunehmen. Das war ein wohllöblicher Vorschlag, zu dem sich die Frauen allesamt freudig bereitfanden. Mutter und Hildegard wurden von Frau Rudler ausgewählt, Heinz-Albert und unser Mannschaftsführer, ein recht braver, gefügiger Kölner Junge, wie er uns gerade recht kam, wurden von einem jungen Fräulein auserkoren, dessen Eltern, aus der Frankfurter Gegend stammend, hier einen ehemals tschechischen Bauernbetrieb übernommen hatten. Ich selbst bezog einen leider feuchten Raum neben dem Tanzsaal des Gasthauses Kirsch, das als demnächstiges Lager vorgesehen war. Gegenüber dem Gasthaus Kirsch lag an der Gabelung zweier Straßen noch ein der Gemeinde gehöriges kleineres Haus, in dem schnell noch der straßenwärts gelegene Raum, für uns viel zu klein, als Speise- und Schulraum, der rückwärtige als Küche hergerichtet wurden.
Das kleine Dorf gruppierte sich in der Hauptsache, zwischen zwei Straßenzügen gelagert, um einen langgestreckten Dorfplatz mit einem unordentlichen, tümpelartigen Dorfteich, der von durstigem Vieh und von einer Menge Enten und Gänsen bevölkert war. Hier, wo es keine Straßenbeleuchtung gab, konnte man sich in finsterer Nacht leicht in einem unfreiwilligen Bad wiederfinden. An einem stockdunklen Abend, da ich, von Rudlers kommend, den Heimweg nicht finden konnte, hätte ich leicht hier landen können, da kein Zaun, kein Weg und Steg, kein Haus zu erkennen war. So hatte ich mir ein polnisches Dorf vorgestellt!
Die Jungen wären am liebsten bei ihren guten Gastgebern in den Privathäusern geblieben. Es waren nämlich zumeist prächtige, wohlmeinende Menschen. Auch nach der Umquartierung folgten die meisten der Jungen gerne den regelmäßigen Einladungen zum guten Nachmittagskaffee. Zu den häufigen Schlachtfesten, die bei den Dorfbewohnern zünftig begangen wurden, erhielten die Jungen und auch wir Einladungen; doch die frischgekochten, fettstrotzenden, ungesalzenen Schweinebatzen (Wellfleisch), mit Sellerie und Bier verabreicht, konnten wir mit dem allerbesten Willen nicht verkraften und bereiteten den Jungen hinterher allerlei Beschwerden. Auf den Bauernhöfen, in denen durch Einberufung meist die Männer fehlten, arbeiteten an der Seite der Bäuerin französische Gefangene und russische und polnische Frauen, denen wir, so gut wir konnten, freundlich begegneten.
Radschitz lag inmitten des fruchtbaren Schwarzerdegebietes der Saatzer Mulde, südlich vom Egerlauf, nach Norden abgeschirmt durch den noch einige Stunden entfernt gelegenen hohen Kamm der Sudeten, dem Erzgebirge. Das Dorf entbehrte jeglicher Landschaftsreize und besaß kaum Baumbestand. Auch die nähere Umgebung mit ihren schlechten, meist ausgefahrenen Wegen verlockte wenig zu Ausgän-
gen oder Wanderungen. Lediglich Libotitz, eines der Nachbardörfer, wo Lehrerehepaar Runge mit Kölner Mädchen ein Lager bezog, lernten wir durch unseren allsonntäglichen Kirchgang kennen.
Das Gasthaus Kirsch, in dessen Saal unsere Jungen aus ihren Federn in die Strohbetten umzogen, das von Frau Kirsch mit ihren Kindern nach der Einberufung ihres Mannes der Kinderlandverschickung angeboten worden war, lag direkt an der Kreuzung der beiden Straßen am Zugang des Dorfes. Mit dem Hause war auch ein Landwirtschaftsbetrieb verbunden, der ebenfalls brachlag, mit Wirtschafsgebäuden um den geschlossenen Hof, dem Misthaufen und einer großen Wasserpumpe, an der wir uns morgens allesamt wuschen. Das war schon eine feine, herzerfrischende Sache zur frühen Morgenstunde!
Im Schulunterricht, den wir so weit wie möglich trotz des engen Raumes mit den zwei kleinen Doppelfenstern zur Straße hin bis zum Mittag einhielten, an dem der treue "Papageur", auf meiner Schulter oder Kravatte sitzend, teilnahm, anfangs auch Heinz-Albert, stand mehr und mehr unter dem bedrückenden Eindruck unserer Nachrichten, die uns durch Zeitung und Rundfunk über unsere fast völlig besetzte Heimat zugingen. Heinz-Albert zog sich von unserem Schulunterricht, der ihm zu wenig Neues bieten konnte, zurück und beschäftigte sich mit ersten Gedichten und seiner Musik. Doch an unseren Dorfabenden, die wir im Gasthaus inmitten des Dorfes abhielten, arbeitete er eifrig mit, einmal durch die Abfassung eines äußerst treffenden, humorvollen Gedichtes über den Tagesablauf in unserem Lagerbetrieb.
Für den Gesundheitsdienst hatte man uns aus Chemnitz eine junge, sehr hitlertreue Rotkreuz-Schwester, Doris mit Namen, geschickt, ein feines, gebildetes, aber ein wenig eigenwilliges Mädchen von etwa 20 - 22 Jahren. Die Küche wurde geführt von zwei ebenfalls hitlertreuen
Holländerinnen, die sich dieser Aufgabe zur Verfügung gestellt hatten, die dann später in der Gefahr alles im Stich ließen und das Weite suchten. Auch sie waren nette und zuverlässige Wirtschafterinnen. Es war ein großes Glück, daß wir in weiser Voraussicht alles Überflüssige wie Antreten, Appelle, Flaggenhissen längst zu den Akten gelegt hatten, was uns später sehr zum Vorteil gereichte und zu unserer Rettung wesentlich beigetragen hat. Unser so zurückhaltender Lagermannschaftsführer Schmitz, der in den Reihen der großen Jungen förmlich untertauchte und noch in den letzten Monaten, als schon fast alles Pulver verschossen war, seiner Einberufung folgen mußte, zeigte sich hierfür besonders dankbar.
Mehr und mehr waren unsere Blicke auf die Nachrichten aus der Heimat gerichtet, die mitten im Kriegsgeschehen lag. Meine eigene Situation wurde erneut bedrohlich. Man war auf Grund eines Aufrufs von Himmler über die Lebensmittelkarten - Ausgabestellen dazu übergegangen, die Wehrpflichtigen zu erfassen, vor allem diejenigen, die sich seit ihrer Evakuierung nicht mehr beim Wehrbezirkskommando gemeldet hatten. Durch die schriftliche Aufforderung des zuständigen Bezirkskommandos in Kaden wurde mir aufgetragen, mich unverzüglich dort zu melden. Es war dies meine gefahrvollste Situation, über die ich mir voll und ganz im klaren war. Doch ich machte mich nicht etwa zaghaft auf den Weg in der Hoffnung, Gott werde mir meiner Frau, meiner Familie und meiner Jungen wegen in der großen Gefahr schon zur Seite stehen. Eine sichere Hand führte mich und fügte es, dass in Kaden bei der Meldestelle mir der rechte Feldwebel begegnete und ich die sachten Worte fand, sein Herz zu rühren. Der gute Mann nahm den Wehrpaß zur Hand, erkannte, was ich versäumt hatte, drückte still und ohne Aufsehen den Meldestempel auf und entließ mich mit ein paar warnenden Worten, jedoch mit der Versicherung, er werde meinen Fall im Auge behalten, damit ich auch weiter bei den mir anvertrauten
Jungen bleiben könne. In diesem entscheidenden Augenblick hatte mir in einem echten Menschen Gottes gütiges Antlitz geleuchtet.
Nach diesem glückhaften Tag traf uns bald eine traurige Nachricht, die uns Josef aus Thüringen zusandte: Heribert, unser jüngster Bruder, hatte beim Einfall der Russen in Ostpreußen unweit Allenstein durch Bomben in seinem Artilleriestand den Tod gefunden. Kameraden gruben ihn aus seiner Verschüttung und bestatteten ihn, indem sie ihn mit zurücknahmen, auf einem Friedhof. Heinz-Albert faßte unsere und seine große Trauer um ihn, dem er wie einem großen Freund zugetan war, in seinem Gedicht "Totenklage" zusammen, das er ein halbes Jahr später vertonte.
Das unaufhaltsame Vordringen der Russen in deutsches Land veranlaßte unsere Verantwortlichen, alle Lehrer der Kinderlager im Sudetengau zusammenzurufen und zwar nach Teplitz-Schönau. Nach Darlegung der britischen Kriegslage erhielten wir Instruktionen für den Fall, dass auch unser Gebiet durch die Russen erobert werde. Was hier an Lehrer und Kinder an Zumutungen gestellt wurde, ist nicht zu beschreiben und will ich hier nicht wiedergeben. Wie wäre es uns ergangen, hätten wir nur ein wenig danach gehandelt! Wir wären rettungslos allesamt untergegangen! - Den immer häufiger werdenden Überfliegungen von amerikanisch-englischen Fliegergeschwadern waren wir schutzlos preisgegeben. Die hochgelegenen Keller, die wir aufsuchen mußten, wären wie Kartenhäuser zusammengefallen. Da erfolgte in einer Nacht der ungeheuerliche Luftangriff auf Dresden, das bis dahin noch verschont geblieben war. Mit Entsetzen starrten wir in das grausige Schauspiel, das sich hier über einer Stadt entlud und in einer Nacht einen Großteil seiner Menschen unter Trümmern begrub.
Das Elend des Krieges drang nun auch mehr und mehr in unser so stilles, abgelegenes Dörfchen. Fahrzeugtrecks kamen die Straße
herangezogen, von Süden und Osten mit elendig aussehenden Menschen, jungen und alten, das Entsetzen im Gesicht. Die ersten, aus dem Siebenbürgerland, meist Frauen in ihren Volkstrachten, hatten noch die feste Hoffnung im Herzen, bald wieder heimwärtsziehen zu können. Sie schauten noch meist auf das große Wunder, das einmal kommen sollte, aber schließlich ausblieb. Doch der Strom wurde immer gewaltiger, riß Tag und Nacht nicht ab, das Elend, das sich nun unaufhaltsam über die Straße ergoß, wurde immer drückender. Wer hätte da schon helfen können! Wie sollte das enden?
Und dann folgten die Massen unserer zurückflutenden Soldaten, der Ärmsten, die nun jahrelang nur an einen Sieg geglaubt hatten! Auf Fahrzeugen und zu Fuß passierten sie unser Dorf und gönnten sich nur selten eine Stunde der Rast. Am Straßenrande häuften sich die weggeworfenen Militärsachen, die zum unnützen Ballast geworden waren. Die Unseren waren auf der Flucht nach dem rettenden Westen. Die Taschen unserer Jungen füllten sich mit aufgespürten, teils recht brauchbaren Sachen, die aus den Militäraffen stammten und die sie ihren Eltern als Andenken mit heimbringen wollten. Zahlreichen Soldaten, die uns angingen, hätten wir uns anschließen können. Sie boten uns ihre meist leeren Fahrzeuge an in dem Glauben, dass wir mit ihnen bald unsere Heimat am Rhein wiedesehen würden. Doch ich ließ mich nicht überreden. Ich ahnte, dass ihre Fahrt nicht in der Heimat, sondern in der bitteren Gefangenschaft enden werde. So wagten wir es, allem, was auch kommen werde, entgegenzuschauen.
Das immer näher kommende Kampfgeschehen und die heraufziehenden Gefahren zwangen uns zu dem schweren Entschluß, am Dorfrande einen tiefen Schutzgraben auszuwerfen. Alle, die bei uns waren, gleich welchen Geschlechts, mußten mit Hacke und Schaufel zugreifen. Allenthalben ringsum in Wiesen und Feldern folgten die Dorfbewohner,
vor allem durch ihre Gefangenen, unserem Beispiel. Zuletzt hatten wir einen mindestens zwei Meter tiefen und achtzehn Meter langen, im Zickzack verlaufenden Graben mit dem Aufgebot aller Kräfte ausgehoben. Wir sollten noch Eisenbahnschwellen und schwere Bohlen erhalten, um ihn nach oben abzudecken. Dazu kam es aber nicht mehr!
Während unserer Arbeit spielte sich vor unseren Augen ein damals für uns unfaßbares, entsetzliches Menschendrama ab. Auf der nahen Straße wälzte sich langsam und schwankend ein langer, traurig-elender Zug heran. Wir liefen bis an den Straßenrand und erblickten bejammernswerte, dürre, hochragende Gestalten in schlaff herabhängenden Sträflingsgewändern und in alte Schlafdecken gehüllt. Die in den Reihen daherwankenden lebenden Skelette mit hohlwangigen Köpfen, meist mit Brillen vor den weiten, fragenden Augen, wurden geführt und begleitet von einer uniformierten Wachmannschaft. Sie hielt dort, wo wir am Straßenrande standen, an den ersten Häusern des Dorfes, Rast. Als wir und andere Umstehende den Ärmsten mitleidsvoll näher traten wollten, schwirrte schon die Reitpeitsche einer uniformierten weiblichen Teufelsperson, der Führerin, mit kreischendem Kommandoruf durch die Luft. Die armen Menschen aber achteten nicht mehr auf das, was um sie vorging, ihre weiten Augen blieben ihrem unabwendbaren nahen Schicksal, das sie in sich verspürten, zugewandt. In der Zeit, da die Leute der Wachmannschaft sich selbst in den umliegenden Häusern mit kräftigen Butterbroten ausrüsteten, bückten sich die Todgeweihten über den Straßenrand hinweg und zupften aus dem gerade erwachten Ackerboden kleine, zarte Halme und frische Würmer für ihren ausgedorrten Körper. Mit dem Kommando zum Aufbruch sorgten Fußtritte und Schläge, dass auch die Letzten sich eingliederten in den weiteren Todesmarsch. Am Schluß des traurigen Zuges aber schlotterte vom offenen Gefährt das schon fahle Gebein derer, die
bereits mit dem Tode rangen. Wir standen am Straßenrande, fassungslos, tiefbeschämt, mit gesenkten Blicken. Und als wir still, ohne ein Wort, uns wieder unserer Arbeit zuwandten, erklang noch lange von der Todesstraße her, die nach Norden führte, der Ruf der Todgeweihten an unser Ohr, die Schüsse der Wachmannschaft. Erst am Abend, als wir zur Ruhe kamen, dämmerte in mir eine Ahnung auf, dass sich hier erfüllt habe, was man uns einmal daheim im Luftschutzkeller heimlich zugeraunt hatte vom Grauen und Elend in den sogenannten Konzentrationslagern.
Von daheim waren schon seit geraumer Zeit jegliche Nachrichten ausgeblieben. Nur die Stelle, die uns versorgte, schickte uns eines Tages eine ganze Menge Konserven, Schuhe, Bekleidung und Wäsche. Aus dieser Maßnahme, alle Lagervorräte der Zentralstelle auf die Verbrauchsstellen da draußen aufzuteilen, konnten wir leicht unsere Schlüsse ziehen. Die Amerikaner waren vom Rhein aus, schneller als erwartet, vorgestoßen und mußten nach dem Stand der Dinge in Kürze bei uns sein. Doch auf einer bestimmten Linie, die in unserer Nähe über Karlsbad verlief, stoppten sie ihren Vormarsch. Unsere vor den Russen zurückflutenden Soldaten wähnten sich schon in amerikanischen Händen, doch in Wirklichkeit sahen wir sie später wieder in unendlichen Scharen unter russischer Bewachung auf ihrem bejammernswerten Marsch gegen Rußland und Sibirien, dem bitteren Los einer langen Gefangenschaft entgegen.
Wir waren nun in Radschitz auf uns allein gestellt. Jegliche Betreuung und Versorgung hatte aufgehört. Unsere Lagerküche stellte ihrem Betrieb ein, da unsere beiden Holländerinnen ihr Heil in der Flucht gesucht hatten und uns unserem Schicksal überließen. In der großen Privatküche von Frau Kirsch wurde unsere Versorgung so weit wie möglich weitergeführt unter Mithilfe der
Mutter und der Schwester Doris. Es war rührend, wie alle drei sich abmühten, uns so gut wie möglich zu versorgen. Wir trafen letzte Vorkehrungen, begannen zu packen, verteilten alle Vorräte an Schuhen und Bekleidungsstücken an jeden einzelnen Jungen, ob passend oder auch nicht, vernichteten alles, was uns vielleicht zum Schaden oder gar zum Verhängnis werden konnte, versteckten wohlweislich unsere Silberbestecke im kleinen, altbewährten Lederkoffer unter dem strohtrockenen Misthaufen.
Von Osten und Norden drang der Kampfeslärm, das Donnern der Geschütze immer näher. Bis er eines Tages von ganz nahe herüberdröhnte. Wie war es uns zumute? Wir sahen schweigend dem Geschehen, wie es auf uns zukam, entgegen. Am frühen Morgen verbreitete sich die Kunde durch das Dorf und drang an unser Ohr, die russischen Panzerspitzen würden in Kürze Radschitz erreichen. Wir dachten nicht an unseren Schutzgraben am Dorfeingang, begaben uns zur gewohnten Stunde ins gegenüberliegende Haus in den Unterrichtsraum und schauten unablässig auf die Straße, die weit zu überschauen war. Da in der Ferne tauchten die schweren Kolosse auf! Unweit unseres Hauses am Eingang zum Dorf machten sie halt. Russische und polnische Mädchen und Frauen stürzten aus den Gärten mit mächtigen Fliederbüschen und steckten sie ihren Befreiern auf ihre Fahrzeuge.
Und dann erfolgte unsere erste persönliche Begegnung mit einem der Russen. Ein wild aussehender Soldat, nicht einmal groß von Gestalt, entstieg dem ersten Panzer, dessen Geschütze uns mörderisch anstarrten, mit der Maschinenpistole in der Hand und kam schnurstracks auf unser Haus zu. Im Nu stand er in dem ersten Raum, der Küche. Äußerlich ruhig, aber voller innerer Erregung trat ich auf ihn zu. Er hatte gleich bei seinem Eintritt in einem der Spinde, die unsere geflüchteten Holländerinnen mit einem Vorhängeschloß verriegelt
hatten, eine Weckeruhr ticken hören, auf die er es unbedingt abgesehen hatte. "Ticktack! Ticktack!" so rief er, auf das Signal zeigend und an dem Schloß rüttelnd, immer wieder. Ich versuchte mit allerlei Gesten, ihm verständlich zu machen, dass ich keinen Schlüssel habe und ihm nicht helfen könne. In lauter Steigerung wiederholte er seine Forderung. Schließlich, als er mich wohl verstanden hatte, machte er eine Geste, als ob er die Spindtür einschlagen wolle. Plötzlich aber wandte er sich ab, verließ das Haus und kehrte zu seinen Panzerkameraden zurück. Ich glaubte, er habe ein Beil holen wollen, doch er kam Gott Dank nicht mehr zurück.
Von dieser Stunde begannen für uns die kritischen Tage und Wochen inmitten einer blindwütigen fremden Soldateska. Hier konnten wir nichts anderes tun, als größte Ruhe, Besonnenheit und Gottvertrauen zu bewahren. Frau Kirsch, die gute Seele, an ihrer Seite Mutter und Schwester Doris, alle alt und häßlich gemacht, hatten schon gleich nach Ausfall der Lagerküche mit Hilfe noch vorhandener Vorräte an Kartoffeln, Nährmitteln und Gemüsekonserven von der Restaurationsküche aus unsere gesamte Beköstigung in die Hand genommen. Sobald nun die ersten Formationen der Russen weitergerückt waren, benutzten wir eine kurze Atempause, das Haus mit dem Unterrichtsraum und der Lagerküche preiszugeben und nunmehr ganz in das geräumigere Wirtshaus Kirsch überzusiedeln. Beim Übergang über die ausgestorbene Straße sahen wir an den Häusern die roten Fahnen mit Hammer und Sichel und an den Wegweisern russische Zeichen und Namen. Wir hätten drüben auch eine weißes Bettuch, die zur Genüge vorhanden waren, hissen können -, aber wir ließen es sein, weil ich glaubte, unsere friedliche Gesinnung werde genügen.
Am Abend, als die Jungen im Bett lagen, hielt ich eine kurze Ansprache an sie, Gott eindringlicher zu bitten, er möge uns aus
unserer großen Gefahr wieder glücklich zu unseren besorgten Eltern in die Heimat zurückführen. Nur Gebet und Gottvertrauen könnten uns noch helfen. Ich teilte eine Jungengruppe für eine Nachtwache ein, ohne die wir nicht mehr auskämen. Doch die armen Kerle schliefen in ihrer Zeit oder verschliefen ihre Ablösung gänzlich. Es blieb mir keine andere Lösung, als die Wache allein auszuüben, hier und da in Gesellschaft einiger Jungen, die nicht so sehr dem Schlaf verfallen waren. So kam ich wochenlang, auf unserer Reisekiste mitten im Schlafsaal sitzend, nicht mehr ins Bett. Sobald es in der Nacht an unsere Tür pochte oder rüttelte, stand ich bereit zu öffnen und die auf der Suche Befindlichen, oftmals waren sie im angetrunkenen Zustand, durch den Schlafraum zu führen, im dem, getarnt durch Jungentrainingsanzüge, auch Mutter, Hildegard und Schwester Doris lagen.
Tagsüber machten die durchziehenden russischen Truppen oftmals halt vor unserem Hause, tränkten ihre abgehetzten Pferde, die meist aus deutschen Stallungen entnommen waren, am Wasser unserer Hofpumpe, wobei die Jungen ihnen zur Hand gingen, mit ihnen ins Gespräch kamen und sich manches russische Wort merkten und aufnotierten. Hier offenbarte sich die schnelle Anpassungsfähigkeit unserer rheinischen Jungen! In vielen Häusern wurden die Männer, die teilweise gerade vom deutschen Militär zurück waren, von den Russen oder ihren Helfershelfern, den Partisanen, abgeführt. Die ehemals tschechischen Bauernbetriebe lagen völlig verlassen da von ihren deutschen Bewohnern, die in den Wäldern des Gebirges auf eine baldige Rückkehr warteten. Das verlassene Vieh, das vielfach heimlich, meist über Nacht, z. T. auch durch einige unserer Jungen, versorgt wurde, ward von den Russen mit der Zeit, oftmals in Scharen, weggetrieben und mit den Fahrzeugen
ausnahmslos abgeschleppt. Die Pferde des Dorfes hatten allesamt neue Besitzer gefunden und einen harten, schweren Dienst vor russischen Militärfahrzeugen angetreten. Das Fohlen, das tagelang auf der Suche nach seiner Mutter durch die Dorfstraßen irrte und auch bei uns regelmäßig gefüttert wurde, endete trotz allen Mitgefühls und trotz aller Versorgung eines Tages am Straßenrand.
Als eines Morgens ein zuückgekehrter fremder deutscher Soldat, nun in Zivil, in unserem Nachbarhaus von einem russischen Kommissar nach dem Viehfüttern überrascht und niedergeschossen worden war - einer unserer Jungen hatte es unmittelbar miterlebt - entging ich eine Minute später der gleichen Gefahr durch meine besonnene Ruhe. Der Kommissar eilte nämlich gleich nach seiner Bluttat zu uns herüber, noch wutschnaubend, auf der Suche nach einem zweiten Pferdegeschirr. Ich führte ihn durch unseren leeren Bauernbetrieb, wo er sich selbst überzeugen konnte, dass das Gesuchte nicht vorhanden war. Drüben im Nebenhaus hatte der arme Deutsche seine Ahnungslosigkeit mit dem Tode gebüßt. Von dem Vorhandensein eines Pferdegeschirrs hatte der Ärmste nichts gewußt.
Im Dorf, in den einzelnen Häusern, vollzog sich, vor allem in der Nacht, von Zechgelagen begleitet, das Werk der Plünderung, der Zerstörung und wahllosen Demolierung. Russische Frauen und Mädchen fuhren, fein gekleidet und reichbeladen, ihrer Heimat entgegen, oftmals in herrschaftlichen Bauernkutschen. Die deutschen Frauen und Mädchen, denen man unablässig nachspürte, hatten Ursache, in ständiger Angst zu sein und mußten an den schlimmen Tagen, vor allem über Nacht, in geheimen Verstecken und in den auf dem Dach befindlichen großen Taubenschlägen Zuflucht suchen. Mutter gehörte mit Hildegard auch zu ihnen. Es waren wirklich schlimme Tage, die sie zu überstehen hatten, und oftmals blieben sie wie durch ein Wunder
vor dem Äußersten bewahrt.
Die übrigens anständigen Holländerinnen hatten noch kurz vor ihrer Flucht aus dem von uns gesammelten und dann grob gemahlenen Korn eine Anzahl Vollkornbrote gebacken, da ja jegliche Belieferung auch an Brot ausblieb. Da dies weiterhin die einzige Möglichkeit blieb, an Brot zu kommen, nahmen wir jede Gelegenheit wahr, wegen Korn bei gutgesinnten Menschen vorzusprechen, es auf einer uralten, mordsgroßen Kaffeemühle des Hauses Kirsch zu zermahlen und dann zu Brot zu verbacken. Einmal kamen die Jungen, die mit einem aus Kinderwagenteilen selbstgefertigten Handwagen losgezogen waren, ganz entrüstet mit leeren Händen zurück. Russen hatten ihnen das Säckchen, das man ihnen in der Mühle gefüllt hatte, abgenommen. Oftmals erbarmten sich auch gute Herzen im Dorf mit ein paar Büchsen Fleisch, die naturgemäß immer rarer wurden. Als einmal die Russen das Vieh auf offener Wiese geschlachtet hatten, gaben sie unseren Jungen Füße und Köpfe, die in unserem Suppenkessel noch eine gute Grundlage schafften. Auch die französischen Gefangenen, die sich zusammengeschlossen hatten und zur Abwehr von Übergriffen der herumstreifenden Partisanen im Dorf eine eigene Wachstube unterhielten, schickten uns von ihren Schlachtungen Fleischportionen kostenlos herein. So konnten wir uns wochenlang über Wasser halten. Als es im Dorf ein wenig stiller geworden war, wagten wir es, das gegenüberliegende Haus mit dem Unterrichts- und Küchenraum einmal aufzusuchen. Dort war wie in sämtlichen Häusern wüst gehaust worden. Nichts war heil geblieben. Die nichtetikettierten Gemüsekonserven im Keller waren durch Bajonettstiche sämtlich unbrauchbar gemacht worden. Die Russen hatten sich nur für Fleischkonserven interessiert und bei jeder Dose, die sie durchstachen, eine Enttäuschung erlebt. Ein Glück, dass wir unseren Lagerraum oben im Hause mit
Vorräten an Bettwäsche, Bekleidungsstücken und Schuhwerk vor dem Eindringen der Russen vollständig geräumt hatten. Es waren die Sachen, die wir klugerweise restlos aufgeteilt hatten. Wir im Hause Kirsch waren tatsächlich als einzige im Dorfe von Plünderungen verschont geblieben. Wenn uns rabiate, wüste Soldatenburschen dort aufsuchten und mit der so lose gehaltenen Pistole bedrohten, so blieben wir so ruhig und gelassen, von Mutter läßt sich das nicht sagen, bis sie am Ende zahm und friedlich ihre Bilder von daheim, von Frau und Kindern, hervorkramten. Doch meinten mache von ihnen, man habe im weiten Rußland längst einen Platz für uns Überfällige bestimmt. Ihre Auffassung, dass wir nicht mehr lange zu warten brauchten, bis wir dorthin geschafft würden, bewahrheitete sich Gott sei Dank nicht. Wir standen unter einem mächtigeren Schutz.
Das heißt, übersehen oder gar vergessen hatte man uns nicht! Nach Ablauf von 5 - 6 Wochen nach dem Einrücken der Russen erhielten wir von der tschechischen Behörde in Kaden die schriftliche Aufforderung, entweder bis zu einem kurzfristigen Zeitpunkt den Heimweg anzutreten oder die Jungen einzeln zu Feldarbeiten auf den Höfen abzutreten. Wir verständigten uns mit dem Kölner Mädchenlager im Nachbarort Libotitz, das die gleiche Aufforderung erhalten hatte. Ein tschechischer Gutsbesitzer, der noch die einzige Pferdebespannung in der Umgebung besaß, erbot sich mir gegenüber, unser Gepäck nach dem mehrere Stunden entfernten Görkau, dem Flüchtlingssammellager, unmittelbar am Fuße des Erzgebirges zu transportieren. Zu unserem großen Leidwesen mußten wir außer einer großen Schreinerkiste, meist mit Bettwäsche gefüllt, auch unseren übergroßen zweiten Kabinenkoffer mit viel eigener Kleidung, Wäsche und Schuhwerk unter festem Verschluß im Hause Kirsch zurücklassen. Wir mußten darauf verzichten, wenn wir einigermaßen hoffen wollten, die Heimat
einmal wiederzusehen. Auf unserer Heimreise hat sich das oftmals klar bestätigt. Unsere Lücken an Wolldecken und Zeltplanen konnten wir noch bei den Franzosen auffüllen, die auf ihrem Wachlokal noch eine Sammelstelle für Wehrmachtssachen deutscher Herkunft unterhielten. Dann begannen wir alles aufzuladen, z. T. noch auf die von den Jungen gezimmerten Handfahrzeuge, nahmen Abschied, besonders von Frau Kirsch, die sich für den Schutz, den wir durch unsere Anwesenheit ihr und ihren Kindern geboten hätten, besonders herzlich bedankte. Wir dankten ihr für ihre treue Hilfe und ihr wackeres Verhalten. In Libotitz schloß sich uns die Mädchenklasse an.
Am letzten Abend hatte ich den Jungen, die vorher schon einmal in kleineren Gruppen ausreißen wollten, ein bisher streng behütetes Geheimnis offenbart. Seit Monaten mußte ich regelmäßig die um vierzehn Jahre alt gewordenen, und es waren außer Heinz-Albert nicht wenige von uns, laut Anweisung listenmäßig melden, damit sie in Sonderlagern als Wehrwölfe ausgebildet würden. Doch, nun konnte ich es ihnen verraten. Ich hatte es auf mich genommen, sämtliche Jungen in allen Angaben und Listen um ein Jahr jünger einzutragen. Hierdurch seien die Älteren unter ihnen von der Wehrwolfzeit gerettet worden. Gerade viele von diesen armen Jungen lägen nun am Straßenrande oder irgendwo verscharrt. Auf unserer Heimreise haben wir hierüber ganz Erschreckendes hören müssen. Ich war für Heinz-Albert und die anderen Jungen schon ein schweres Wagnis eingegangen; die meisten in meiner Lage hätten hierzu nicht den Mut besessen. Und niemand dürfte mir verübeln, dass ich hier nicht der Wahrheit entsprach. Hier glaube ich, weit mehr junges Menschenleben gerettet zu haben vor dem Untergang als 25 Jahre zuvor, da ich mich in das eisige Wasser der Wupper wagte und dafür die Rettungsmedaille erhielt!
Schweigend schritten wir hinter dem Gepäckwagen her auf der gleichen Straße, auf der vor zwei Monaten die Todgeweihten, die Ärmsten, die wir je gesehen hatten, ihren wankenden Fuß gesetzt hatten. Wir winkten noch ein letztes Mal, wir warfen nochmals einen Blick auf das Dorf, dessen Mauern uns in so bedrohlichen Tagen Schutz geboten hatten. Drüben lag auch der Graben, den wir zu unserer Sicherheit ausgeworfen hatten, zwar verschüttet, nachdem er zum Grab für die Kriegsopfer des Dorfes geworden war. Durften wir nun ein wenig aufatmen auf dem Wege, den wir nun einschlugen mit dem Ziel, unsere zerschlagene Heimat wiederzusehen?
Noch standen wir auf einem Boden, auf dem nun andere die Herrscher waren. Fremde Namen und Bezeichnungen starten uns nun überall an Straßen und am Wege an, die wir nicht zu enträtseln vermochten. In der Ferne, am Rande der weiten Ebene, in der wir zum ersten Male Hopfenfelder sahen, lag der dunkle Damm des Erzgebirges, den wir noch zu überqueren hatten. Über Komotau hinaus, der Totenstadt, in der so viele ihrem Leben ein Ende bereitet hatten, bevor die Russen kamen, erreichten wir nach vielstündigem Marsch unser erstes Ziel, eine kleine anmutige Stadt am Fuße des Erzgebirges, Görkau.
Hier in Görkau, so war mir von Kaden aus mitgeteilt worden, sollte das Flüchtlingssammellager sein. Wir konnten es jedoch nicht ausfindig machen, so dass ich mich an die tschechische Polizei wenden mußte, die unmittelbar am altdeutschen, idyllischen Marktplatz stationiert war. Hier wurde mir eine am Stadtrand gelegene Schule als Sammellager angegeben. Beim Weggehen sprach mich einer der Polizisten, der drinnen mein Anliegen mit angehört hatte, in reinem Deutsch an, begleitete mich ein Stück und eröffnete mir, er wolle uns als ehemaliger deutscher Soldat helfen und uns am nächsten Morgen mit dem einzigen Lastwagen, über den die Stadt im Augenblick noch verfüge, hinauf
zum Erzgebirge und über die Grenze verhelfen. Es klang mir wie ein Märchen in den Ohren, doch der Mann machte auf mich einen so ehrlichen und überzeugenden Eindruck, dass ich ihm unbedingt vertrauen konnte.
Wir bezogen damals zusammen mit der Libotitzer Mädchenklasse als einzige die große, leerstehende Schule, deren Räume mit Stroh belegt waren und sich als Flüchtlingsbleibe auswiesen durch Hunderte von leeren, sicherlich ausgeplünderten Koffern, die uns bedrohlich und wenig vertrauenerweckend angähnten. Hier verbrachten wir in zwei getrennten Räumen die Nacht. Diejenigen, die mir zunächst nicht hatten glauben wollen, wurden in früher Morgenstunde eines besseren belehrt, als der Lastwagen tatsächlich bei uns vorfuhr. Dem mit unseren nicht Marschfähigen und dem Gepäck beladenen Lastwagen folgte ich mit den Jungen und Mädchen. Beim Aufstieg zum Erzgebirgskamm aber erlebten wir eine böse Überraschung: der Lastwagen mit der gesamten Ladung hatte am Grenzübergang, der am Morgen plötzlich gesperrt worden war, unverrichteter Sache umkehren müssen. Niedergeschlagen kehrten wir wieder zur Schule nach Görkau zurück.
Am ersten Abend, als unsere Jungen längst schliefen auf dem ausgebreiteten Stroh, klopfte es laut und unaufhörlich an die Tür, die ich zur Sicherheit vernagelt hatte. Als ich sie mühevoll geöffnet hatte, standen dort zwei russische Soldaten, die nach Uhren verlangten, Andenken aus Deutschland. Sie folgten mir in den Jungenraum, wo sie angesichts der vielen schlafenden Kinder große Augen machten. Es dauerte eine geraume Zeit, bis ich mich mit ihnen ein wenig verständigt hatte, dass wir auf dem weiten, beschwerlichen Heimweg nach Köln seien, wo die Eltern in Sorge auf ihre Kinder warteten. Auf ihre fragenden Gesten, woher wir denn für die ganze Gesellschaft zu essen hätten, wies
ich auf einen Sack mit einem Rest angebrochener Vollkornbrote, die wir von Radschitz aus mitgenommen hatten. Da vergaßen sie völlig den Grund ihres Kommens. Mittels Stift und Papier konnten sie mir mühsam klarmachen, dass sie mich wegen der Verpflegung der Jungen und Mädchen am Sonntag morgen zehn Uhr im zwei Stunden entfernten Komotau auf der russischen Kommandantur erwarten wollten. Bei dieser Abmachung blieb es. Zur vereinbarten Zeit war ich dort, aber beim hochgewachsenen russischen Kommandanten wartete ich vergeblich und kehrte unverrichteter Sache nach Gürkan zurück. Doch zwei Tage später wurden wir über die tschechische Polizei verständigt, dass eine Werksküche beauftragt sei, uns bis zu unserem Weiterkommen die Verpflegung zu stellen, neben dem Mittagessen auch Brot, Margarine und Wurst. Das konnte nur der abendliche Besuch der beiden verständnisvollen Russen, von denen einer Offizier war, zuwege gebracht haben. Mein Besuch beim Kommandanten in Komotau war also doch von Erfolg gewesen!
Da wir nicht ahnten, wie lange wir wohl in Görkau bleiben mußten, schauten wir nach anderen Möglichkeiten aus, evtl. weiterzukommen. So kamen über unsere Straße oftmals amerkanische Autokolonnen, die aus den Ostländern stammende Gefangene und Arbeitskräfte heimbrachten. Wir versuchten, sie mit allen Mitteln auf ihrer rasenden Fahrt zu stoppen. Aus dem am Schluß folgenden Führerwagen gelang es uns, zwei Sergeanten zum Halten zu bewegen. Sie versprachen uns mit festem Handschlag, uns auf der Rückfahrt unmittelbar bis Köln mitzunehmen. Das Glück war zu groß, nun in Erfüllung zu gehen. Wir haben alle Tage und immer wieder vergeblich nach ihnen Ausschau gehalten.
An einem unserer Görkauer Tage jagten uns die Russen und Tschechen einen Mordsschrecken ein. Sie hatten die Schule ohne unser
Wissen umstellt, drangen plötzlich aus den umgebenden Grünanlagen heraus und betraten die Keller der Schule, um dort nach Tellerminen zu suchen, die man aus deutscher Zeit vermutete. Einige unserer Jungen konnten sich nur schwer von dem Verdacht, solche entwendet zu haben, freimachen.
Nach einer Woche Görkau wurde durch Plakatanschlag die Wiederöffnung der Grenze bekanntgegeben, auch zum kurzfristigen Grenzübergang aufgefordert. Das war auch für uns das Zeichen zum Aufbruch. Meinen Freund von der Polizei erreichte ich auf seinem Wachposten vor einem Werk. Wiederum bot er sich gleich für den nächsten Morgen bereitwilligst an. Auch diesmal verfuhren wir in der gleichen Weise wie das erstemal. Ich selbst führte wieder die Fußgängergruppe an. Die Mädchengruppe folgte, begleitet von einigen Elternpaaren der Mädchen, die auf ihrem Besuch im Lager Libotitz nicht mehr nach Hause zurück konnten. Unterwegs trafen wir auf der Rückfahrt von der Grenze unseren Freund von der Polizei, der unter tschechischer Flagge fahrend, seine Last glücklich über die Grenze gelotst hatte. Für seine beispiellose Liebenswürdigkeit, für die er nichts haben wollte, dankten wir ihm von ganzem Herzen. Die Unsrigen seien mit dem gesamten Gepäck im Grenzübergangsort Raitzenhain und zwar in der Schule, dem deutschen Durchgangslager, untergebracht. Wie gerne hätte ich diesem treuen und edlen Menschen, der nun wieder nach Görkau zurückfuhr, mit einer Gegenleistung unseren Dank zum Ausdruck gebracht! Um so mehr lebt noch heute mein Dankgefühl für ihn in meinem Herzen weiter fort. Ein so herrliches Beispiel selbstloser Hilfsbereitschaft ist mir in meinem Leben nicht mehr begegnet!
Die tschechischen Grenzpolizisten, eine ganze Anzahl, beschäftigten sich bei unserem Erscheinen zunächst ausgiebig mit den
Jungen. Sie mußten alle aus deutschem Heeresgut stammenden Sachen wie Mützen, Brotbeutel, Feldflaschen, Koppel ablegen. Dann kam ich an die Reihe. Meine gut versteckten, allerdings defekten und wertlosen Uhren fanden sie nicht, wohl meinen Brustbeutel mit sechshundert Mark, unserem Wegegeld für die weite Heimreise. Ich protestierte gegen die erfolgte Wegnahme mit dem Argument, das Geld sei nicht mein, sondern das Eigentum aller Jungen, das ich für sie aufbewahre. Einige herbeigeholte Polizeioffiziere akzeptierten meinen erneut vorgebrachten Standpunkt und ließen mir zuletzt meinen für die Heimfahrt so notwendigen Besitz. Man rief uns noch einige abfälligen Bemerkungen nach, bevor man uns weiterziehen ließ. Grüßt Euren Hitler! - Nun habt Ihr Euch bei uns gut sattgefressen! - Weil wir ihre Bemerkungen nicht gutheißen konnten, blieben wir ihnen unsere Antworten nicht schuldig.
In dem Augenblick, da wir die Grenzschranke hinter uns hatten, war es uns, als wenn uns nun endlich die Sonne der Freiheit entgegenleuchte. Aber darin hatten wir uns stark getäuscht! Schon sahen wir einige hundert (jenseits der Grenze) russische Kolonnen mit ihren Fahrzeugen auf der Straße halten. Zwei Soldaten mit typischen Mongolengesichtern, auf ihren Fahrzeugen sitzend, streckten mir die Arme entgegen und riefen herausfordernd: "Du Ticktack!" Im Gefühl unserer gerade erlangten Freiheit kramte ich meine beiden unbrauchbaren Uhren aus meinem "Geheimfach" am Leibe und streckte sie ihnen bereitwillig hin. Sie strahlten förmlich bis über die Ohren. Einige Schritte weiter fanden wir rechts der Straße die Schule, das Durchgangslager, wo wir die Unsrigen mit allem Gepäck antrafen. Mutter berichtete uns von ihrem Grenzübergang mit dem Lastwagen. Vor der Grenzschranke ließen die Grenzpolizisten die obenaufliegenden Gepäckstücke, Schultaschen und Nähbeutel, abladen, kramten enttäuscht darin herum, trafen beim weiteren Abladen zunächst nur auf das gleiche und
ließen darauf, der Dinge überdrüssig, wieder aufladen, ohne die darunterliegenden Koffer und Gepäckaffen zu beachten. Währenddessen hatte eine Leibesvisitation stattgefunden, die aber bei den Unsrigen auch glimpflich verlief. Andere, die zugleich abgefertigt wurden, verloren von dem Wenigen, das sie mit bis an die Grenze bringen konnten, alles, was nur Wert hatte. Ja, die meisten mußten die Kleidungsstücke, die sie am Leibe trugen, in einer alten Kabine gegen minderwertige einlösen. Noch nach Tagen hörten wir unterwegs die Leute immer wieder davon berichten. Das man mit uns anders umgegangen war, hatten wir unserem guten Freund aus Görkau zu verdanken.
Nicht weit von der Schule lag die Eisenbahnstation Raitzenhain. Doch überraschenderweise bot sich hier keine Möglichkeit weiterzukommen. Dort stand groß angekreidet: "Deutsche Schweine werden nicht befördert!" Das konnte ja gut werden auf deutschem Boden! Nach der ersten Nacht in der Schule - das kinderlose Lehrerehepaar Runge hatte sich im Ort beim Lehrer einquartiert! - Mutter und ich in gewohnter Weise bei den schlafenden Kindern auf einer Schulbank sitzend, war ich bestrebt, unter allen Umständen baldigst weiterzukommen. Im zwei Stunden entfernten Talort ermittelte ich einen Bürgermeister, der über den einzigen Lastwagen der Gegend verfügte. Ihn suchte ich auf und ereichte seine feste Zusage für den nächsten Morgen, uns ein Stück weiterzusorgen. Doch als ich mit dieser Freudenbotschaft zurückkehrte, waren die Unsrigen, die Mädchenklasse, auch die Mutter unter Mitnahme des Gepäcks bereits ausgeflogen. Schwester Doris und zwei Jungen waren zurückgeblieben, die mir von der unerwarteten Fahrgelegenheit mit einem Lastwagen bis Annaberg berichteten. Wir machten uns, es ging auf den Abend zu, auf den Weg durch den Wald. Unterwegs kam ein einziges Auto, das wir ohne Bedenken abstoppten. Es war ein russischer Offizier, der uns bereit-
willig mitnahm. Am Eingang von Annaberg, wo wir uns absetzen ließen, sahen wir noch gerade Mutter und einige Jungen, die ihre Gepäckstücke in die von den Bewohnern verlassenen Häuser schafften.
Hier im schön gelegenene Annaberg, einem anmutigen Städtchen, hatten die Eroberer die Bewohner sehr heimgesucht. Wir fühlten uns in den meist ausgeräumten und leer stehenden Wohnungen nicht wohl. Auch hier hatten sich viele Menschen, so erzählte man uns, aus Angst vor den Russen das Leben genommen. Von Annaberg konnten wir nach ein- oder zweitägiger Rast mit Hilfe eines Pferdewagens weiter - ich sehe noch die Straße und die langgestreckte Fußtruppe vor mir daherziehen - und erreichten das im Flöhatal liegende Pockau, der uns besonders bezeichnete Durchgangsverpflegungsort, Eisenbahnstation an der Strecke nach Chemnitz.
In Pockau wandte ich mich an den Bürgermeister, der uns nach einem ersten Pferdefleischgericht aus der Durchgangsverpflegung nach dem anliegenden Görsdorf verwies. Das Dorf lag an einem Einschnitt des Tales, angelehnt an die Höhe. Mit viel Mühe konnten wir bis in den späten Abend hinein die große Schar der Jungen und Mädchen in Heuschuppen und in den Häuern selbst unterbringen. Mutter und ich, die wir uns ganz zuletzt mit einem harten, aber warmen Platz auf der Ofenbank begnügen wollten, nahmen zu später Abendstunde das Anbieten der guten Hausbewohner, ihr eigenes Schlafzimmer, in Anspruch. Anderen Tages bereiteten wir selbst, unterstützt durch einige Frauen, aus den Gaben der Dorfbewohner eine Kartoffel - Gemüsesuppe in einem großen Waschkessel. Die guten Görsdorfer hatten trotz der Schwere ein Herz für uns und taten, was sie konnten, um uns unser Los zu erleichtern. Frau Hieckel, die noch auf die Rückkunft ihres Mannes aus dem Kriege wartete, jedoch leider vergeblich, mit ihrer Tochter Martha in einem kleinen Häuschen wohnend, nahm sich der kleinen Hildegard liebevoll an,
säuberte, badete und pflegte sie so sorgfältig, dass sie kaum wiederzuerkennen war.
Dann, doch ein wenig aufgefrischt, fuhren wir frohen Mutes, begleitet von den guten Wünschen der Görsdorfer, mit dem Zügele eine Etappe weiter aus dem Erzgebirge, das nach Norden nur allmählich abfällt, nach Sachsen hinein und zwar nach Chemnitz. Der große Bahnhof in Chemnitz mit seinen freiliegenden Bahnsteigen war völlig verstopft mit wartenden Flüchtlingen. Hier gab´s, wie wir vielleicht nicht anders erwartet hatten, kein einfaches Weiterfahren gegen Westen. Zunächst verabschiedete sich Schwester Doris von uns, die mit Chemnitz ihren Heimathafen erreicht hatte. Ich mußte mir zunächst, da am Stadtrand von Chemnitz die amerikanische Zone begann, bei den Amerikanern einen Sammelpaß zum Grenzübergang einholen. Zu diesem Zweck war es erforderlich, die weite Stadt zu durchqueren, während die Jungen und Mädchen auf dem Bahnhof zurückblieben. Am Grenzübergang wiesen mich zwei amerikanische Grenzposten sehr rauhbeinig zurück. Eine Dolmetscherin, die ich um Rat anging, riet mir, illegal an einem Getreidefeld, das abseits lag, die Grenze zu überqueren und den amerikanischen Kommandanten aufzusuchen. Doch hier wurde ich zu meinem Erstaunen mit einem bedingungslosen, krassen "No" abgewiesen. Ich sollte einfach wieder zu unserem letzten Aufenthaltsort zurückkehren. Gegen diese Auskunft blieben alle meine Einwendungen zwecklos.
Mit dieser nicht erwarteten Botschaft kehrte ich zum Chemnitzer Bahnhof zurück, wo die Jungen zwischen den Gleisen, dem Beispiel anderer folgend, auf offenen Feuern aus den Würfeln, die sie vor Tagen aus einem Depot erhalten hatten, Suppen bereiteten und mir davon eine Kostprobe reichten. Auch meine Bemühungen um Milch waren fehlgegangen. Was tun? Schon ging es auf den Abend zu.
Ich wandte mich an die Zugleitung. Erst am kommenden Morgen werde der nächste Zug nach Pockau zurückfahren. Zwei Personenwagen standen für diese Fahrt in einem der Gleise bereit. Da sie offen waren, kletterten wir kurzentschlossen hinein und streckten uns auf den Gepäckstücken, auf und unter den Sitzbänken, zusammengepfercht wie die Heringe, zum Schlafen hin. Unsere Handlungsweise erwies sich als richtig; denn am andern Morgen wären wir sonst nicht mitgekommen.
So fanden wir uns wieder in Pockau ein, wo ich mich gleich zum Bürgermeister begab, der, wie alle Gewaltigen im Lande, die rote Binde um den Arm trug. Er war über unsere Rückkehr sehr aufgebracht, bedeutete mir in frecher Art, dass er uns noch bis zum nächsten Tag den Aufenthalt im Ort gestatte, sollten wir aber darüber hinaus bleiben, so werde er uns mit der Polizei heraussetzen. Ein derartiges Verhalten hatte ich auf deutschen Boden nicht für möglich gehalten! Ich brachte, bevor ich mich zur Tür wandte, zum Ausdruck, dass er als deutscher Landsmann in meinen Augen nicht wert sei, vor ihm auszuspucken. Mit den Unsrigen, die draußen auf mich gewartet hatten, suchte ich Zuflucht bei den guten Görsdorfern, deren treuherzige Gesinnung wir kennengelernt hatten und die uns bereitwillig aufnahmen. Irgendwo erfuhren wir im Zusammenhang mit dem häßlichen Benehmen des Pockauer Amtschefs, dass im nicht weit entferntern Reifland ein zwar auch roter Bürgermeister, der aus Hamburg stamme, sicherlich bereit sei, uns dort aufzunehmen. Nach telefonischer Verständigung mit ihm getrauten wir uns in Begleitung zweier Görsdorfer Pferdewagen auf den Weg nach Reifland. In einem ehemaligen Russenlager, das jahrelang mit Gefangenen belegt war, die nun als Arbeitskräfte in der Land- und Viehwirtschaft fehlten, kamen wir unter.
Das mitten in Reifland gelegene Russenlager bestand aus einem alten Fachwerkhaus mit nur zwei mittelgroßen Schlafräumen zur ebenen Erde, deren kleine Fenster noch mit Stachdraht versehen waren. Das Haus bot keinen weiteren Platz, weshalb unsere Jungen unter Führung von Heinz-Albert in dem im Hinterhaus befindlichen hochgelegenen Heuschober untergebracht waren. Es war eine Lösung, auf die man sich nur im alleräußersten Notfall einlassen konnte. Der Bürgermeister, ein netter Mann aus der Großstadt, erklärte mir, seine Frau sei mit den Kindern schon seit geraumer Zeit von Hamburg aus nach hier unterwegs und, vielleicht in ähnlich übler Lage wie wir, auf die Güte fremder Leute angewiesen. Darum wolle er uns gerne helfen, wenn wir bereit seien, den Bauern bei der Heuernte zu helfen. Das Dorf mit seinen zahlreichen Höfen war von weitem Wiesenland umgeben. Mutter und ich, dazu auch Hildegard lagen in buntgemischter Zusammensetzung mit Mädchen und einigen Elternpaaren, sowie einer sehr spröden Kölner Lehrerin ("O, Herr Heindrichs, helfen Sie mir doch!") in einem Raum des Lager. Am Morgen wurden wir durch eine Art Ortspolizei mit roter Armbinde auf die Höfe verteilt. Mutter kam mit Hildegard, einem der Mädchen und einigen Jungen zum Hof der Familie Ullmann, sehr netten Leuten, die ihre Mutter bei sich hatten. Da Herr Ullmann, ein gebildeter, sehr interessierter und naturfroher Mensch, bei den Nazis eine Rolle im Dorf gespielt hatte, stand er wie der Lehrer stets in Gefahr, von den roten Machthabern abgeführt zu werden, wie das im Dorf an der Tagesordnung war. Ich selbst wurde mit Heinz-Albert und weiteren Jungen und Mädchen einem anderen Hof zugeteilt, wo wir wenig Anschluß an die mit Arbeit überhäufte Familie fanden. Die in der umfangreichen Heuernte eingesetzten Jungen und Mädchen, Lehrer und Eltern hatten eine anstrengende Tagesarbeit zu leisten, ja, es wurde
uns durchaus nichts geschenkt. Im Heuwenden konnten wir bald mit den langjährigen Arbeitskräften, mit den wir in Reih und Gleid zusammenwirkten, Schritt halten.
Unsere Mahlzeiten erhielten wir als Entgelt für unsere Arbeit bei den Bauern. Bei uns im Hause saßen etwa ein Dutzend Leute um den großen Tisch. Vom gewaltigen, hohen und breiten Einbau - Kachelherd der Küche wurden die ungeschälten, altgedienten Pellkartoffeln aus großem Kessel in zwei Portionen auf den bloßen, langen Eichentisch ausgeschüttet. Die Kartoffeln angelte sich jeder mit dem Messer einzeln vom Tisch, schob eine durchgeschnittene Hälfte, mit etwas Salz versehen, in den Mund, führte dann mit dem Messer einen Stich von der Butter, die neben dem Kartoffelberg lag, nach und setzte diese schnell erlernte Speisefolge so lange fort, bis der Tisch leer war. Das wiederholte sich nun die ganze Woche hindurch bei allen Mahlzeiten am Morgen, am Mittag und am Abend mit Ausnahme vom Sonntag, wo es zum fetten Fleisch Salzkartoffeln mit Fleischbrühe gab. Wenn es auch Kriegszeit war, so boten die Mahlzeiten keine Abwechslung und wurden uns auf die Dauer zuwider. Es dauerte etliche Wochen, bis die reiche Heuernte in die Scheunen eingebracht war. Zu Ausgängen in die Umgebung bot sich bei der täglichen Inanspruchnahme keine Gelegenheit. An einem Sonntag lernten wir unter Herrn Ullmanns Führung die Wälder der Umgebung kennen, die sehr reich an eßbaren Pilzen waren. Ein anderes Mal, als die Heuernte uns nicht mehr so sehr in Anspruch nahm, machte ich mich frei und unternahm mit einem der Väter der Mädchen eine Wanderung nach Großhainischau, dem Hauptort der Erzgebirgs - Holzschnitzindustrie. Dort waren wir bei der gerade im Aufbau befindlichen weltbekannten "Engel" - Firma, deren Besitzerin uns die noch erhaltenen Kleinodien, die den Krieg überdauert hatten, in einer großen gläserenen Wandvitrine zeigte. Wie glücklich
waren wir, als wir beide die wieder in der Fabrikation stehende Engelmusikkapelle gegen Bezahlung erstehen konnten! Nach Jahren haben wir unseren Kindern und Enkelkindern die Figuren aufgeteilt in der Hoffnung, dass sie auch von ihnen als persönliche Erinnerung an das Erzgebirge in Ehren gehalten werden. Zum gleichen Zeitpunkt war in Reifland in einem kleinen, leerstehenden Geschäftsraum in der Nähe unseres Lagers der erste Verkauf von Erzgebirgsspielzeug eröffnet worden. Unsere Jungen waren die besten Abnehmer, verausgabten sich hier vielfach bis auf den allerletzten Pfennig, um damit zu Hause den Geschwistern eine große Freude zu bereiten, belasteten sich aber zu ihrem reichen Gepäck mit sperrigen Sachen wesentlich für die Weiterreise, tauschten sie jedoch unterwegs wieder gegen Lebensmittel ein.
Als wir einige Zeit in Reifland waren, wollte man die Jungen und Mädchen auch für die Ideen des Kommunismus gewinnen. Man trat vor allem an sie heran, zu den Singstunden der Dorfjugend, die bereits politisch erfaßt war, zu erscheinen. Doch fanden sie an den für sie meist fremden Gesängen keine Freude. Als es am Ende gar über die "Internationale" hergehen sollte, erklärte unser Giesen aus Köln, der auch sonst nicht scheu war: "De Internationale künne se sech sälvs senge!"
Die Amerikaner hatten in der Zeit unseres Aufenthaltes in Reifland einen Teil der bis dahin von ihnen besetzten Zone geräumt und sie an ihre Bundesgenossen, den Russen, abgetreten. (...) Wir selbst waren hierdurch von den Grenzen der amerikanisch - britischen Zone weit abgerückt, die nun bis ins Thüringerland zurückreichten. Und immer eindringlicher hörten wir aus den Rundfunk- und Zeitungsnach-
richten von den ungünstigen Einreiseaussichten nach dem Westen; ja, es wurde täglich ausdrücklich davor gewarnt. Sehr erstaunt waren wir daher, als der Bürgermeister, der uns so freundlich aufgenommen hatte, nun nach Abschluß der Heuernte alle Hebel ansetzte, uns nun auf die Reise zu schicken. Als wir jedoch von den Schwierigkeiten erfuhren, die man ihm höherenorts wegen der zahlreichen Esser in Reifland gemacht hatte, sträubten wir uns nicht länger und rüsteten zum Aufbruch.
Wir hatten schon einen sehr schlechten Start! An dem abseits im Tal gelegenen Bahnhof kamen wir nicht weiter und mußten die ganze Nacht im Wartesaal und im Bahnhofsflur bis zum Morgen herumliegen und auf den Zug warten. Die Reise von dort aus ist mir in ihren Einzelheiten nicht mehr so klar in Erinnerung geblieben. Auf dem Untersatz eines kleinen Xylophons hatten wir die Hauptstationen unserer Fahrt gegen Westen aufnotiert. Leider ging uns dieses Dokument bei einem unserer späteren Umzüge verloren.
Mit Sicherheit, so vermittelt es mir die Landkarte, sind wir zunächst nochmals nach Chemnitz gefahren, dem Endpunkt der Flöhatalbahn. Von dort aus wollten wir in südwestlicher Richtung, auf die Bayrische Grenze zu, Hof ansteuern und dann die beste und schnellste Fahrroute in Richtung Köln wählen. Wir fuhren durch Sachsen, konnten aber auf verschiedenen Umsteigebahnhöfen, zu denen auch Aue gehörte, nicht weiter. Auf einem dieser Bahnhöfe, wo wir eine ganze Nacht verbringen mußten bis zur Weiterfahrt, streckten wir uns auf offenem Bahnsteig auf unseren Koffern zur Nachtruhe hin bis zum kommenden Morgen. Einmal hatten wir auch das Glück, in einer Gemeinschaftsküche eine Mittagsmahlzeit zu erhalten.
Beim Aussteigen auf unserem letzten Umsteigefamilie [!?] trafen wir auf Landsleute aus Köln, die aus der Richtung Hof kommend,
berichteten, dort sei kein Grenzübergang offen. Im Augenblick bestehe nur eine Möglichkeit, bei Arenshausen in Richtung auf Göttingen zu schwarz über die Grenze zu kommen. Hierzu müßten wir zunächst nach Leipzig und von dort über Halle - Sangerhausen - Heiligenstadt fahren. Diese überraschende Auskunft, die uns mehrfach bestätigt wurde, zwang uns, unseren Reiseplan völlig zu ändern.
Wir mußten also zunächst nach Norden in Richtung Leipzig. Das dauernde Umsteigen mit dem schweren Gepäck, in überfüllten Zügen, ohne regelmäßige Verpflegung hatte uns ziemlich mürbe gemacht. In unseren Reihen befanden sich auch mehrere ernstlich Fußkranke, die regelmäßig und sorgfältig behandelt werden mußten. Ich glaube, dass wir die weite Fahrt bis Leipzig verhältnismäßig glatt und reibungslos hinter uns gebracht haben. Jedenfalls sind mir besondere Einzelheiten nicht in Erinnerung geblieben. Vom Leipziger Bahnhof, wo wir einen längeren Aufenthalt hatten, habe ich noch eine klare Vorstellung. Im Wartesaal tranken wir, gegen unser starkes Hungergefühl ankämpfend, was zu bekommen war. Mutter weiß noch, dass sie es hier auf mehrere Glas Bier brachte, gewiß eine Seltenheit! In den Straßen der Stadt, von der wir keinen guten Eindruck gewannen, hingen große Transparente mit der Aufschrift: Wir grüßen die Sowjetunion! Bevor wir allerdings am nächsten Tag weiterfuhren, hatte man uns in unseren Eisenbahnwagen auf ein Abstellgleis aus dem Bahnhof herausgefahren, wo die Russen in ihrer gewohnten Absicht die Abteile absuchten und sich mancher Frauen und Mädchen bemächtigten. Das war die Sowjetunion! Auf der langen Fahrt über Halle befiel uns große Müdigkeit. Irgendwo konnten wir unterwegs nicht weiter. Autobusse brachten uns bis zu einem Städtchen, das Heiligenstadt gewesen sein mag. Hier wurden wir in einem sauberen, modernen Krankenhaus abgesetzt, verpflegt und über Nacht recht
ordentlich und gut untergebracht. Nun mußten wir nicht mehr weit von der Zonengrenze sein!
Doch wir fuhren nochmals ein Stück mit der Eisenbahn bis nach Arenshausen. Von hier aus hatten wir noch einen guten Fußmarsch bis zum Grenzübergang zurückzulegen. Aus diesem Grunde organisierten wir in Arenshausen, jeder für sich diesmal, ein Pferdegespann zum Transport des Gepäcks, der Bein- und Fußkranken. In einem bereits gut ausgerüsteten Haushaltgeschäft kaufte ich mir als Erinnerungsstück ein starkes Pflugseil. Die Mädchenklasse war uns diesmal vorausgekommen und machte früher als wir einen Transportwagen ausfindig. Sie gerieten uns hier bereits aus den Augen, ohne dass wir ahnen konnten, dass wir sie nicht mehr wiedertreffen würden. Auf dem Wege hinter unserem schwerbeladenen Wagen beunruhigten uns oftmals die Schüsse, die von den angrenzenden, von Russen besetzten Höhen herabklangen. Unglücklicherweise brach an unserem Wagen die linke Hinterachse, so dass wir uns nur mühsam weiterschleppen konnten.
Wir waren noch etwa 150 Meter von der Stelle, wo zwei schottische Soldaten mit buntkarierten Faltenröcken auf beiden Seiten der Grenzschranke Wache hielten. Hier trat uns plötzlich ein schottischer Sergeant entgegen und verwehrte uns die Weiterfahrt. Sein drüben im Dorf stationierter Kommandant habe angeordnet, heute niemanden mehr die Grenze passieren zu lassen. Wir sollten, so meinte er, wieder nach Arenshausen zurückkehren. Das wäre aber wegen des Achsenbruches unseres Wagens und in Anbetracht der strengen Polizeistunde auf russischer Seite nicht möglich gewesen! Dann könnten wir uns bis zum nächsten Tage nebenan in der Wiese, die schon feucht war, niederlassen und in Geduld alles abwarten.
Ich wies auf den bereits so schlechten Gesundheitszustand der Jungen hin, die am Ende ihrer Kräfte waren. Manche hatten dazu das Schuhwerk völlig durchgelaufen, hatten wegen starker Entzündungen die Füße und Beine umwickelt und humpelten gänzlich ohne Schuhwerk, auf Strümpfen und Socken, darunter auch Hildegard, die Ärmste. Die Jungen flehten den Schotten weinend an. Doch es half nichts! Er beteuerte vielmehr, der Kommandant werde ihm seine Chargenzeichen von der Uniform reißen, wenn er es wagen sollte, seinem Befehl entgegenzuhandeln. Ich gab aber trotzdem nicht auf, sondern schlug ihm vor, einen unserer Jungen zum Kommandanten ins nahegelegene Dorf mitzunehmen und ihn zu bitten, mit uns eine Ausnahme zu machen. Damit war er einverstanden. Heinz-Albert als der größte erklärte sich bereit mitzugehen. Als die beiden in einer kleinen Wiesenmulde in Richtung Dorf unseren Blicken entschwunden waren, setzte der Bauer seinen Wagen trotz der Schlagseite wieder in Bewegung, die Jungen trotteten hinterher, vorbei an den beiden Grenzsoldaten in ihren lustigen Miniröckchen. Sie gaben den Vorüberziehenden nur einen Wink, nicht dem Dorfe zuzusteuern, sondern in entgegengesetzter Richtung abzurücken. Auch wir anderen konnten ihnen unbehindert nachfolgen. Meinen nicht maßgeblichen Paß, den ich aus der Tasche zog, würdigten sie keines Blickes.
Wie glücklich waren wir, endlich die Russen hinter uns zu haben! Der Bauer brachte uns noch zu einer übergroßen Scheune eines Gutshofes und machte sich dann wieder, gut bezahlt, auf den Heimweg.
Heinz-Albert aber stieß nach einiger Zeit, ein wenig benommen, aber doch guter Laune, wieder zu uns. Auf der Wachstube des Dorfes, zu der man ihn geführt hatte, war er von den Soldaten mit
Hallo empfangen worden. Anstatt den Kommandanten hatten sie ihm Schnaps und Zigaretten dargeboten. Aber als sie sein immer blasser werdendes Gesicht bemerkten, fühlten sie sich veranlaßt, nach seinem Alter zu fragen. Da zögerten sie nicht lange, ihn schnellstens wieder nach "Mama" zurückzuschicken. Inzwischen hatte ich mich bereits zum Bürgermeister - nun nicht mehr mit roter Armbinde - des nahegelegenen Dorfes aufgemacht und mit Hilfe seines Mädchens in einem großen Wäschekorb eine stattliche Menge gutbelegter Butterbrote von Haus zu Haus erbeten. Mit diesen begehrten Gaben tappte ich mich im Dunkeln durch die Scheune zu den einzelnen Jungen, die ich leise weckte und mit ein paar herzhaften Bissen mitten im Schlaf erfreute. Heinz-Albert aber war nicht wachzukriegen. Die ungewohnten Gaben der Soldaten auf der Wachstube hatten ihm zu sehr zugesetzt. Dort in der Scheune blieben wir zwei bis drei Tage, währenddessen die Jungen durch Vermittlung des prachtvollen Bürgermeisters im Dorfe bei den Familien zu Tische sein durften.
Ein Besitzer eines Lastwagens, der jeden Morgen in der Frühe die Milch auch unseres Gehöftes und der Umgebung nach Göttingen zur Molkerei brachte, hatte mir versprochen, uns am nächsten Morgen aufzuladen und in Göttingen abzusetzen. Aber zweimal hatte er seine Zusage nicht gehalten. Bei seiner Heimfahrt am Nachmittag erwischt ich ihn und legte ihn nun für den anderen Morgen damit fest, seinen offenen Anhänger bei uns über Nacht stehenzulassen. Damit kamen wir zu unserem Ziel. Am Abend beluden wir den abgestellten Anhänger mit unserem Gepäck und legten uns, Mutter, Hildegard und ich mit einigen Jungen über Nacht auf den offenen Wagen nieder, ohne Schlaf zu finden. Eine Eule unmittelbar im Baume über uns ließ uns mit ihrem Geschwarre die ganze Nacht nicht zur Ruhe kommen. Die Jungen aber schliefen, tief eingebettet, in einem mächtigen Heu-
stapel des Hofes und träumten von ihrer Heimkehr.
Auf der Lastwagenfahrt am Morgen, auf der wir uns gegenseitig aneinanderklammerten, vermachten sich unsere verwegensten Jungen an den Kannen, die mit frischer Sahne gefüllt waren; sie betrachteten dies als Ausgleich für die nicht eingehaltenen Versprechungen des Wagenführers.
In Göttingen erfreute uns der Molkereidirektor mit einer Kanne frischer Milch, und seine Frau brachte uns einige Brote dazu, die so ausschauten, als stammten sie aus goldenen Zeiten. Wohlgestärkt fuhren wir unser Gepäck in mehreren Ladungen auf einem Handwagen zum nahen Bahnhof. Dort erfuhren wir, dass die Mädchen bereits per Bahn in Richtung Hannover weitergekommen seien. Diese Kunde löste bei allen unendlichen Jubel aus. Nun waren wir sie glücklich los, die bisher von unseren Bemühungen und Anstrengungen so herzlich mitgelebt und mitgezehrt hatten und denen wir meist bei allem den Vortritt lassen mußten!
Leider mißlang es uns, auf dem überfüllten Bahnhof die für uns reservierten Abteile freizuhalten. Der Zug dampfte, vollgepfropft mit Menschen, ohne uns davon. Und bis zum nächsten hatten wir noch viele Stunden Zeit, währenddessen wir auf einer Rote - Kreuz - Station zu einem Mittagessen kamen. Auf dem geräumigen Bahnhofsvorplatz streckten sich die Jungen hin und lieferten mit Mutter den zahlreichen Ausländern gute Fotomotive für ihre Zeitschriften. Ich selbst blieb in der Zeit nicht müßig und machte mich auf zur Stadt zum Rathaus, wo ich meinen Vorrat an Reisemarken weiter auffüllen konnte. Zwar verpaßte ich auf dem Rückweg einen Lastwagen, der gerade als Leerwagen die weite Fahrt ins Rheinland bis Düren angetreten hatte und uns hätte mitnehmen können. Doch dessen ungeachtet und im stolzen Ge-
fühl meines Reichtums an Lebensmittelkarten kaufte ich allen lange Würste, Butter und große, frische Weißbrote und kehrte mit dieser Last auf meinen Armen, unterstützt durch einen Straßenpassanten, ganz ermattet zu den Jungen zurück. Die hatten, als sie mich erblickten, die Lage sofort klar erkannt, als sie sagten: "Wat es dat joot, dat mer die Wiewer loß senn!"
Dann konnten wir doch weiterfahren und zwar in westlicher Richtung nach Minden, auf Kassel zu. Doch kurz vor Minden mußten wir wegen der noch zerstörten Brücke über die Weser oder Werra aussteigen und wiederum mit einem Gepäckfuhrwerk weitertrotten bis zum Bahnhof Minden. Dort erst erfuhren wir, dass die Strecke in Richtung Kassel noch nicht in Betrieb sei. Da es bereits Abend war, blieben wir die Nacht in der Bahnhofsvorhalle und streckten uns auf die dort stehenden Bänke. Am Morgen begab ich mich, die Mutter mit den Jungen alleinlassend, zum altehrwürdigen Rathaus. Beim Bürgermeister der Stadt trug ich in Anwesenheit des protestantischen Pfarrers mein Anliegen vor. Der Pfarrer war bereit, die Jungen in seinem Pfarrheim aufzunehmen, während der Bürgermeister für unsere Beköstigung sorgen wollte.
So konnten wir in Ruhe vom Bahnhof zum nahegelegenen Pfarrheim ziehen, das in Pfarrhausnähe schön im Grünen lag. Ich kaufte als erstes frische Brötchen(!) mit Wurst, was allergrößte Freude auslöste. In Minden deckten wir uns in der Apotheke mit Verbandmaterial und Heilsalben ein, um während der Ruhepause unsere Patienten bestens behandeln zu können. Leider brachten uns die Jungen bei unseren Gastgebern in schlechten Ruf. Sie fielen während meiner Abwesenheit über die noch unreifen Äpfel des Pfarrgartens her, was ihnen sehr verübelt wurde.
Nach Tagen kündigte uns die Stadtverwaltung an, sie
sei weiterhin nicht mehr in der Lage, unsere Verpflegung fortzuführen. Was blieb mir anders übrig, als mich an den amerikanischen Stadtkommandanten zu wenden, entweder für unsere weitere Verpflegung einzutreten oder unseren baldigen Weitertransport zu erwirken. Meine Schritte waren nicht vergeblich! Die Verpflegung wurde weiter fortgesetzt; doch nach einigen Tagen ward uns unser Abtransport mit einem Fernlaster nach Frankfurt a. M. angekündigt.
Morgens, bereits um 5 Uhr, fanden wir uns reisefertig in der Nähe des Rathauses ein. Der Luftzug im großen, offenen Anhänger eines Fernlasters, der in Höchstgeschwindigkeit über die Autobahn fegte, war so stark, dass wir, zusammengekauert wie Heringe im Faß, unter der Wetterdecke des Wagens Schutz suchen mußten. Es war eine verwegene Fahrt! Doch sie wurde glücklich überstanden.
In Frankfurt, der Mainmetropole fanden wir Aufnahme in einer großen Schule, nicht allzuweit vom Bahnhof entfernt. Unsere Hauptmahlzeiten erhielten wir in einem Warteraum des Bahnhofgebäudes durch das Rote Kreuz. Vom ersten Augenblick an bemühte ich mich unablässig bei der Fahrdienstbereitschaft für den Lastverkehr um ein Fahrzeug, das uns möglichst unmittelbar bis Köln transportieren könnte. Die Eisenbahnstrecke nach dorthin war damals noch nicht intakt. Wiederum war es ein Lastzug mit Anhänger, der uns nach einwöchigem Aufenthalt bereitgestellt werden konnte. Leider war es nicht möglich, alle Jungen mit auf die Reise zu nehmen. Zwei von ihnen mußten wir im Frankfurter Krankenhaus zurücklassen, die wegen schwerer Vereiterungen mit höherem Fieber nicht transportfähig waren. Es wurde uns fest zugesagt, die beiden Jungen (Despinen und Weber) wüden nach ihrer Wiedergenesung durch das Rote Kreuz nach Hause geleitet. Diese feste Zusage genügte uns, in Ruhe die Weiterfahrt anzutreten. Die Rote-Kreuz-Oberin im
Hauptbahnhof gab beim Abschied ihrer Freude besonderen Ausdruck, sie sei mit dem Auftreten und Benehmen unserer Jungen so außerordentlich zufrieden gewesen. Das war wohl das Ergebnis unserer vorzüglichen Kameradschaftlichkeit während der schweren Wochen, die hinter uns lagen. Das Urteil der erfahrenen Oberschwester hat mir viel bedeutet; denn manche von den Jungen waren von Hause aus gewiß nicht fein besaitet und hatten in unseren Reihen manches Üble abzulegen.
Von der herrlichen Rheinlandschaft, die wir nun auf offenem Lastzug durchfuhren, waren wir hell begeistert. Von allen deutschen Gebieten, die wir kennenlernten, war das Land am Rhein weitaus am schönsten! Im Rheingau waren es die reichbehangenen Obstbäume, die unsere Bewunderung fanden, an den steilen Hängen die Reben und auf den Bergkuppen die stolzen Burgen. Durch den Anblick wuchs unsere Freude auf das Wiedershen mit der lieben Heimat von Ort zu Ort. Doch bei der Ausfahrt aus dem Stadtgebiet von Koblenz entgingen wir noch gerade einem bösen Unfall. Die Leute an der Straße schrien uns plötzlich zu, da ein Rad unseres Anhängers schwankte und gerade aus der Achse herausspringen wollte. Wir waren glücklich einem schweren Verhängnis entgangen. Doch schnell war der Mangel behoben. Je näher wir nun der Heimat zueilten, umso mehr zeigten sich die vielen tausend Wunden, die der Krieg verursacht hatte. Meist lagen die kühnen Brückenbogen im Strom, und zahlreicher ringsum wurden die Häuserruinen.
Als wir die Domtürme sahen, klang das oft in der Ferne gesungene Ostermannlied auf: "Zo Kölle am Rheng ben ich jeboore!" Dann zog die Trümmerstadt an uns vorüber, und Tränen rannen zugleich in Freude und Trauer. Im Schatten des Domes stiegen wir aus
und schafften unser Gepäck in unser erstes Quartier, dem Dombunker. Hier sollte zunächst unsere Bleibe sein. Nun konnte jeder noch einmal sich auf sich selbst besinnen. Auch ich konnte mich erstmals freimachen von der verschwitzten Baskenmütze und dem völlig zerfetzten Kleppermantel, den Sachen, mit denen ich wochenlang verwachsen war. Und die mir bekannten Fürsorgerinnen kannten mich wieder!
Ein Transport mit Kindern, so kündeten nun einige Plakate von eigener Hand am Hauptbahnhof und am Dombunker, war in der Domstadt, in der Heimat, angekommen! Am nächsten Tag fuhren die Jungen aus der Aachener Gegend unter sicherer Begleitung weiter. Unsere Ankunft hatte sich in Köln wie ein Lauffeuer rundgesprochen. Eltern und Verwandte, die die Jungen abholten, waren außer sich vor Freude und fielen uns danbaren Herzens um den Hals. Immer wieder hörten wir aus ihrem Munde, dass wir in ihrer großen Sorge ihre Hoffnung geblieben waren. Ihr großes Vertrauen zu uns war ihre große, einzige Hoffnung geblieben. Dieses Vertrauen war für uns der schönste Dank für alle unsere Mühe und all unsere Opfer. Vier Jungen, die zunächst niemanden daheim erreichten, wiesen wir nach einigen Tagen dem Waisenhaus in Köln zu. Sie waren aber, so erfuhren wir, nach Wochen wieder in der Obhut der Eltern oder Verwandten.
Wir hatten nun unsere schwere Aufgabe bis zum Ende erfüllt und standen jetzt davor, unserem eigenen Schicksal ins Auge zu schauen. Wo wir nur hinschauten, bot sich uns ein Bild des Grauens. Die Hohe Straße, die Severinstraße, überall Trümmer, Krater, die Straßenzüge völlig zerschunden und aufgewühlt, der Dom schwer angeschlagen.