Margret Polzin (später verehelichte Tschuck), die dieses Album zur Verfügung stellte, wurde am 27. Oktober 1928 in Essen geboren. Dort besuchte sie die Mittelschule Essen-Altstadt, anschließend jene in Essen-Borbeck. Über ihre lange KLV-Zeit verfasste Frau Tschuck im Jahr 2000 folgenden Bericht:
„Vom 20. September 1942 bis zum 16. März 1945 war ich in der Kinderlandverschickung. Die Lager waren Prodiebrad - Teplitz an der Betschwa und Padubitz - Hochwald bei Prerov - Tabor.
Die erste Verschickung war freiwillig und sollte ein halbes Jahr dauern. Als am 5. März 1943 der erste große Fliegerangriff auf Essen stattgefunden hatte, wurde der Aufenthalt auf unbestimmte Dauer verlängert. Die Schüler wurden mit denen anderer Essener Schulen zusammengelegt. Man konnte aber auf Antrag der Eltern wieder in die Heimat zurück. Dort gab es aber nur private Schulen.
Die meisten Kinder in meiner Umgebung waren gerne im KLV-Lager. Von morgens bis abends gab es einen abwechslungsreichen Tagesablauf, der mit dem Schulunterricht begann und der ständig unter Aufsicht stand. Jeder Tag verlief abwechslungsreich. Ich erinnere mich an Heimabende, an denen viel gesungen wurde. Es wurden Theaterspiele eingeübt, gewandert und Besichtigungsfahrten, z.B. nach Prag oder Königgrätz, gemacht. Wir gingen schwimmen und nahmen an großen Sportfesten teil.
Der Kontakt zu den Eltern wurde ausschließlich brieflich aufrecht erhalten. Hierzu waren Schreibstunden festgelegt. Im ersten Jahr wurden Briefe stichprobenartig kontrolliert, - später nicht mehr.
Unsere Lehrerinnen, unverheiratet, waren uns vertraute Personen. Die Lehrer gehörten älteren Jahrgängen an. Im Mädchenlager gab es eine BDM-Führerin. Diese war die Lagerführerin. Es gab Unterführerinnen. Die Lehrer waren für den schulischen Bereich zuständig. Der außerschulische Bereich lag in der Verantwortung der Führerinnen. Unstimmigkeiten in den Kompetenzen sind nicht bekannt geworden (Im Lager Milca in Teplitz wohnte die alte Mutter einer Lehrerin bei uns.).
Am 15. März 1945 fuhren die Mädchen der letzten Klasse mit einer bestandenen Prüfung zurück ins Reich. Wir waren zwischen 16 und 17 Jahre alt. Wir durften alle Sachen mitnehmen, die wir tragen konnten. Der Zug fuhr von Tabor nach Prag. In einem Sammellager wurde übernachtet. Am nächsten Tag fuhren wir getrennt und eilten selbständig in alle Windrichtungen.
Nach Essen wurde niemand entlassen. Dort waren schon die Engländer. Wer keine Verwandten oder Bekannte nennen konnte, die in noch nicht besetzten Gebieten wohnten, musste im Lager bleiben. Einige Tage später wurde ein Sammeltransport mit den Lehrern auf die Bahn gebracht. Die Fahrt sollte in Richtung Bayern gehen. Es wurde eine Odyssee über mehrere Tage daraus. Aus Erzählungen weiß ich, dass die Tschechen den Zug mehrfach anhielten, in den Waggons plünderten und insbesondere die Erwachsenen bedrohten. Ich selbst konnte als Reiseziel Trossingen angeben, das damals noch nicht besetzt war.
Reise- und Abenteuerlust hat mir als 13jährigem Mädchen die Fahrt in die Kinderlandverschickung leicht gemacht. Der Zusammenhalt in der Gemeinschaft und die Kameradschaft waren das große Erlebnis.
Kamen Nachrichten von gefallenen Vätern oder Brüdern, auch von Bombenopfern, wurde mitgetrauert und liebevoll getröstet. Das fremde Land mit der schönen Landschaft, die vielen Sehenswürdigkeiten blieben bis heute eindrucksvoll. Schwierigkeiten von tschechischer Seite gab es damals nicht, - oder wir sahen diese nicht. Wir waren aber gehalten, stets zu mehreren Kindern in die Umgebung oder in die Stadt zu gehen. Heute weiß ich, dass in der Nähe unserer Lager immer Soldaten stationiert waren. Wenn die Möglichkeit zum Kirchgang bestand, hatte die Lagerleitung nichts dagegen.
Der Schulunterricht war vermutlich nicht so effektiv, wie er daheim gewesen wäre, aber es waren eben keine normalen Verhältnisse, - und manchem war es recht. Französisch und Englisch fielen letztlich aus. Man wollte glauben, dass nach dem Krieg alle Welt Deutsch sprechen würde.
Nach dem Kriege haben alle Mädchen weiterführende Schulen besucht und viele das Abitur gemacht. Der Kontakt der Ehemaligen aus der KLV untereinander und mit zwei Lehrerinnen hat noch viele Jahre angedauert."