Der 1928 in Köln geborene Heribert Suntrop war vom 21. November 1941 bis zum 25. Mai 1942 nach Feldberg in Mecklenburg verschickt. Die dort entstandenen Bilder fügte er offenbar später zu einem Album zusammen.
Über seine KLV-Erfahrungen verfasste er im Jahr 1999 folgenden Bericht:
„Im September des Jahres 1940 kam ich zur Erholung nach Württemberg. Für diese Kindertransporte wurden im Bahnhof Deutz-Tief Sonderzüge bereitgestellt.
Ich wurde als Letzter auf einem schönen Bauernhof westlich von Meckenbeuren abgeliefert. Auf dem Hof waren drei Brüder, von denen der Jüngste den Betrieb führte. Alles war vor kurzem renoviert worden: Ein Musterbetrieb. Wahrscheinlich handelte es sich um einen "Erbhof" im Sinne der damaligen Blut- und Bodenideologie der Nazis. Sozusagen als Gegenleistung wurden auch dort wieder Kinder aus luftgefährdeten Gebieten des Reiches aufgenommen. Die "Volksgemeinschaft" funktionierte ...
Zu dieser Zeit war mein Vater als Soldat in Brüssel. Eines Tages erhielt ich ein Paket aus Belgien mit wunderschönen Sachen. Besonders ist mir die gute belgische Schokolade noch in Erinnerung. Eine Kostbarkeit in dieser Kriegszeit.
Mutter schrieb mir von zu Hause u.a., dass zurzeit bei den Luftangriffen auf Köln nur wenige Bomben fielen. Das war für mich in der Ferne natürlich eine große Beruhigung. Mutter war ja mit meinem Bruder, der bei Siemens & Schuckert auf der Amsterdamer Straße in der Lehre war, ganz alleine.
In diesen Wochen fielen auf Köln bei drei Angriffen "nur" ca. 52 Sprengbomben und ca. 60 Stabbrandbomben. Unser Viertel blieb, "Gott sei Dank", verschont.
Diese Ferien auf dem Bauernhof waren herrlich. Von den 20 Kühen durfte ich eine (harmlose) jeden Tag alleine melken. Meine Aufgabe war es, die Herde auf die Weiden zu bringen. Damals gab es noch keine Elektrozäune, und so musste auch immer jemand bei den Viechern bleiben. Auch die beiden Pferde wurden von mir versorgt.
Eines Tages erhielt ich den Auftrag, zu einer bestimmten Zeit mit dem großen Leiterwagen an einem bestimmten Feld zu sein. Ich mußte also alleine (alle waren auf dem Feld) die Pferde aus dem Stall holen, sie aufzäumen, einspannen und den großen Wagen über die engen Wege lenken. Ich war pünktlich zur Stelle. Eine tolle Sache für einen 12jährigen Stadtjungen!
Im April 1941 kam ich in das 7. Schuljahr. In den Monaten des Winters gingen wir regelmäßig mit unserem Musiklehrer im Eisstadion an der Lentstraße Schlittschuhlaufen. Die heute überdachte westliche Bahn lag damals noch im Freien, und der Rundlauf ging noch über alle beiden Bahnen.
Ende Sommer 1941 überredeten mich einige Schulfreunde, mit in die Kinderlandverschickung (KLV) zu fahren. Das war ein Programm der NSDAP, Kinder aus luftkriegsbedrohten Städten in ländliche und ruhige Gebiete zu bringen. Die Zeit eines solchen Aufenthaltes war zeitlich nicht begrenzt, d.h., man wusste vorher nicht, wie lange man von zu Hause weg war.
Ich fuhr mit meinen beiden Schulfreunden am 21. Oktober nach Mecklenburg. In Feldberg (Mecklenburg) kamen wir in ein kleines Lager. Es lag wunderschön auf einer Halbinsel im Haussee und war wohl ein Ausweichlager; denn wir waren nur zu 23 Jungen aus Köln. Im Ort bestanden noch drei oder vier größere Lager, in denen wesentlich mehr Kinder untergebracht wurden.
In unserem Lager war bei Ankunft überhaupt nichts vorbereitet, weder was die Ausstattung unserer Stuben noch das Essen betraf. Erst in der zweiten Nacht wurden Holzbetten und das Stroh für unsere Strohsäcke angefahren. Unser Lagerleiter war ein Lehrer aus einer Kölner Schule. Der Lagermannschaftsführer (in der Gesamtzeit hatten wir davon drei) war ein etwa 17jähriger HJ-Führer.
Die Post wurde in solchen Lagern zensiert. Wir durften in der Woche nur jeweils zwei Karten und einen Brief schreiben. Briefumschlag und Karten wurden mit dem Stempel des Lagers versehen. Nicht gestempelte Post wurde vom Postamt zurückgegeben. Vor dem Abgang wurde vom Lagerleiter alles gelesen. Die ankommende Post war, wenn wir sie erhielten, bereits geöffnet und auch gelesen worden. Mein Vater schrieb mir immer sehr ausführlich, was in Köln bei Luftangriffen passiert war. Der Brief wurde dann zunächst allen vorgelesen, ehe ich ihn erhielt.
Es dauerte drei oder vier Wochen, bis wir unsere Uniformen bekamen. Das Material war von sehr schlechter Qualität. Wir haben in dem besonders kalten Winter 1941/42 in dieser primitiven Kleidung sehr gefroren, zumal zur Ausstattung kein Mantel gehörte. Unser privates Schuhwerk war miserabel.
Schulunterricht wurde im einzigen ständig geheizten Raum, unserem Aufenthalts- und Essraum gehalten. Jeden Nachmittag ging es raus in die Wälder zu Sport, Spiel und vormilitärischer Ausbildung. Wenn wir durchgefroren nach Hause kamen, ging es auf die eiskalten Stuben, in denen es monatelang Temperaturen unter Null Grad gab. Die auf den Stuben befindlichen großen Kachelöfen waren außer Betrieb, man hatte uns Kanonenöfchen aufgesetzt. Für diese Öfchen gab es pro Tag und Stube nur sechs Briketts, die natürlich nicht ausreichten.
In der Küche wirkten zwei Reichsarbeitsdienstmaiden, die ihr Kriegshilfsjahr ableisteten. Im Hause war, außer in der Küche, die Wasserleitung zugefroren. Wir holten unser Wasser zum Waschen usw. aus einem mit einem Beil offen geschlagenen Loch im Eis des Sees. Das konnten wir allerdings nur morgens machen: Wasser, das stand, war in kurzer Zeit gefroren.
Da das Wasser nur mit einem kleinen Becher aus dem Eisloch geschöpft werden konnte, und die anderen Stubendienste auch heran wollten, waren die Wassermengen, die uns für die Körperreinigung zur Verfügung standen, sehr klein. Ich wundere mich noch heute, dass niemand von uns krank wurde. Wir schliefen in Doppelstockbetten auf Stroh und hatten nur zwei Decken zum Zudecken. Unser WC stand zwischen Haus und See in einem Holzhäuschen: Eine kleine Kiste mit abnehmbarem Deckel, aus dem man ein rundes Loch geschnitten hatte. Die zwei Mann vom Küchendienst mussten auch diese Kiste leeren. Eine sinnvolle Einrichtung ...
Haben wir die ersten Frühlingssonnenstrahlen genossen!
Das Essen im Lager war mehr als schlecht. Es reichte auch quantitätsmäßig nicht. In einem benachbarten weiblichen Reichsarbeitsdienstlager (RADwJ) wurden wir mit durchgefüttert. Während des gesamten Aufenthalts in solchen Lagern gab es keinen Urlaub.
Am 24. April 1942 wurde die Stadt Rostock von den Engländern angegriffen. Einige Zeit danach kam im Lager das Gerücht auf, wir müssten für Rostocker Kinder Platz machen. Und so kam es auch: Am 25. Mai fuhren wir - nach einem siebenmonatigen Aufenthalt - wieder nach Köln zurück.
In einer wunderbaren hellen Vollmondnacht kamen wir in Köln an und standen, ohne jegliche vorherige Mitteilung, wieder vor der elterlichen Wohnung. Wir waren damals erst 13 Jahre alt ....."