Die Familie - „Den Nazis passte das fremde Aussehen nicht.“

Johannes Ließem wurde 1909 in Bad Godesberg geboren, wo er mit drei Geschwistern in einem katholischen Elternhaus aufwuchs. Er war in der katholischen Jugendbewegung seiner Pfarrgemeinde aktiv, wo er auch seine 1914 geborene spätere Ehefrau Elsbeth Becker kennenlernte, die damals als Büroangestellte in der Stadtverwaltung arbeitete, während er als Buchhalter und Abteilungsleiter in einem Versicherungsunternehmen tätig war.

Dazu, dass aus der Bekanntschaft mehr werden konnte, bedurfte es eines erheblichen Beharrungsvermögens der Liebenden. Familie Becker hatte nämlich während der NS-Zeit einen schweren Stand – nicht nur wegen ihrer NS-kritischen Einstellung, sondern insbesondere auch deshalb, weil ihre Angehörigen in den Augen der Machthaber „fremdländisch“ aussahen. „Den Nazis passte das fremde Aussehen Elsbeths nicht in ihr ‚rein arisches‘ Menschenbild“, fasst Dorothea Hölzer die damalige schwierige Lage ihrer künftigen Eltern zusammen. Daher sei ihnen eine Heirat zunächst verboten worden.

Stattdessen wurde die gesamte neunköpfige Familie Becker auf ein Amt nach Bonn zitiert, wo sich die einzelnen Familienmitglieder überaus zweifelhaften Untersuchungen unterziehen mussten. Die Familie durfte Godesberg nicht verlassen, sondern hatte sich für weitere rassenideologisch motivierte Untersuchungen bereitzuhalten. Weil Elsbeth Becker, so hieß es in einem später geschriebenen amtlichen „Gutachten“, „weiche Haare“ habe, galt sie den „Experten“ nun plötzlich als „rein arisch“. Damit stand einer Heirat von Hannes und Elsbeth nichts mehr im Wege, die dann im September 1937 erfolgte. Als beide zum Fest wie selbstverständlich auch ihre jüdischen Nachbarn einladen wollten, war das nur unter konspirativen Bedingungen möglich.

 

Man habe in jenen Jahren, so gibt Dorothea Hölzer die Familienüberlieferung wieder, offenbar in steter Angst gelebt. Ihre Mutter habe ihre Anstellung bei der Stadtverwaltung verloren, „weil sie eine Rede des ‚Führers‘ nicht gehört“ habe. Sie war im Ort zudem als Führerin einer katholischen Mädchengruppe bekannt und den lokalen NS-Größen auch deshalb sicherlich mehr als suspekt.

Auch die Familie ihres Vaters, so ergänzt Frau Hölzer, habe damals unter ständiger Beobachtung gestanden, gehörte doch niemand der ausgeprägt katholischen Ließems der NSDAP an. Dass Johannes‘ jüngerer Bruder Klaus zudem einem Orden beitrat und sich auf den Priesterberuf vorbereitete, bis er Mitte 1940 zur Wehrmacht eingezogen wurde, dürfte das Vertrauen des NS-Regimes in die Familienangehörigen nicht eben gesteigert haben. Im November 1943 kam Klaus an der Ostfront ums Leben.

Insbesondere die Kontakte zwischen den Familien Becker und Ließem seien argwöhnisch beobachtet worden, berichtet Dorothea Hölzer in der Einleitung ihrer Brief-Edition: „Man wirft mit Steinen nach Elsbeth, ruft ihr Gehässigkeiten zu. Elsbeth und Hannes leben in ständiger Furcht vor der Gestapo.“