Anna Schmitz an ihren Sohn Rudolf, 23. Mai 1940

Köln-Dellbrück, 23. Mai 40

Mein lieber Rudolf!

Nun sind es acht Tage her, daß ich Dir nicht schrieb. So lange hast Du auch nicht zu warten brauchen. Es war aber auch eine ereignisreiche Woche. Wir haben manche bange Stunde des Nachts im Keller zugebracht! In der Waschküche haben wir uns einen Luftschutzraum hergerichtet. Wenn aber Großalarm ist, laufen wir zur Schule! Gebe Gott, daß es bald zu Ende ist. Das macht nervös.

Dann habe ich Dir noch eine traurige Mitteilung zu machen. Heute früh um 10 Uhr, am Fronleichnamstag ist unser Onkel Johann gestorben. Vor acht Tagen hat er noch gearbeitet! Er starb an derselben Krankheit wie sein Bruder vor 40 Jahren, Blinddarm + Brustfellentzündung. Am Dienstag kam er nach Mülheim ins Krankenhaus, es nützte keine Operation mehr. Der Herr gebe ihm die ewige Ruhe! Er hat noch schön gespart, sodaß sie ihn ohne andere Hilfe beerdigen können. Montag früh um 9 Uhr ist Exequien + um 3 Uhr Beerdigung. – Dann habe ich noch eine Sorge. Ich habe die Miete noch nicht ganz bezahlt. Wir haben jetzt nicht mehr so viel Arbeit, Du kannst es Dir ja denken. Und dann, man kann jetzt nicht so inständig arbeiten. Immer lebt man in Unruhe. Und wenn man wenig schläft,

ist man am Tage müde! Es scheint ja also mit Deinem Gehalt nichts zu werden. Wir sind auch überall Pechvögel. Von Vater habe ich auch noch nichts gehört. Das scheint Schluß zu sein. Wer weiß, was da los ist! Ob es doch Deine Angabe schuld ist? Weil es doch direkt danach ausblieb! Wer weiß? Na, ich muß jetzt jede Woche 10 Mk. zurücklegen. Da hört das Anschaffen auf. Auch egal, man hat jetzt ja doch keine Lust! –

Ich erhielt zum Muttertag Deinen lieben Brief vom 15.5. mit so vielen guten Wünschen! Ich danke Dir recht, recht herzlich für Deine lieben Worte! Heute kam Dein Brief vom 19. an. Auch dafür schönen Dank! Hier ist das Wetter seit ein paar Tagen schön warm. Es müßte regnen. Dann könnten wir auch mal richtig schlafen. Ich bin froh, daß Du noch da oben bist. Du wirst auch noch dran kommen. Wenn es jetzt gegen England los geht, brauchen sie noch manchen. Unsere Erfolge sind ja wunderbar. Möge der Herrgott uns weiter helfen! Man denkt ja nun, es dauert nicht mehr allzu lange. Hoffentlich bleiben wir am leben! Wir müssen beten + hoffen. Inzwischen wirst Du ja meine Briefe von Pfingsten erhalten haben. Sonst ist noch alles in Ordnung. Überhaupt im Vergleich zu andern Städten ist Köln noch immer

gnädig abgekommen. Gerade, weil die Engländer so schlechte Bombenschützen sind, darum ist es für uns gefährlich. Wenn sie besser zielen würden auf wichtige Objekte, und nicht so wahllos werfen, dann brauchte man nicht so Angst zu haben. Wir stehen in Gottes Hand! – Berta hat auch ordentlich Angst. Sie ist jetzt zu bedauern in Köln! Ich bin immer froh, wenn ich aus dem Geschäft wieder zu Hause bin. – Herr Lisch. hat mir auch aus Hameln geschrieben! Den beiden Kleinen geht es noch gut! Oma + Elli schlafen seit einer Woche hier. Ich bin froh, dann bin ich nicht allein! Herr Jansen hat auch keine Courage! Nun aber genug! – Dir mein Kind wünsche ich alles Gute, für alles, was kommen mag! Bete für mich, ich tue es auch für Dich! Das allein kann uns aufrecht halten!

Herzliche Grüße + einen festen Kuß
in Liebe
Deine Mutter!