Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 6. Dezember 1940

den 6.12.40

Mein liebster Harald!

Eben komme ich nach Hause, und da liegen auf dem Tisch Dein Brief und das Paket, ich habe mich doll gefreut. Es ist furchtbar lieb, dass Du an mich gedacht hast. Über die Strümpfe freue ich mich sehr, aber Du sollst keine 3,50 Mk. dafür ausgeben. Du sollst auch für Dich etwas haben, oder soll ich Dir Geld schicken? An die Schokolade möchte ich am liebsten sofort rangehen, aber ich hebe die bis Weihnachten auf. Die Post geht schön schnell von dort. Der Brief ist gestern erst abgestempelt worden. Hoffentlich bekommst Du meine Briefe auch so schnell.

Ich bin so ruhig, dass Du noch in Amsterdam bist. Heute nacht fiel mir ein, dass Du vielleicht nach Norwegen kommen könntest oder so weit weg, dass an Urlaub vorläufig nicht zu denken ist. Da habe ich mich grässlich aufgeregt. Was würde ich in dem Fall mit den beiden Verwaltungen machen? An die Gestapo habe ich in der Zwischenzeit telefoniert. Beschlagnahme gilt für alles, also auch für Steuer und unbezahlte Rechnungen. Die werden dann von dort aus geregelt. Nun habe ich die bis jetzt eingegangene Miete garnicht auf das Konto gebracht, sondern verwahre sie zu Hause auf, damit ich nur nichts falsch mache.

Heute war der dritte Vortrag im Buchführungskursus und damit das Ende. Ich habe fast nichts verstanden und das regt mich auch wieder auf. Wie machen wir es dann? Es müssen so unzählige Konten geführt werden, auch ein Privatentnahmekonto, auf dem alles verbucht wird, was man nicht im Geschäft braucht. Ist das nicht schrecklich umständlich? Dann muss ein Kontenrahmen für Hausverwaltungen und einer für Versicheerungen geführt werden und ein Gewinn und –Verlustkonto und alles muss zwei bis viermal gebucht werden. Mann kann es sich auch von diesem Dr. Malzkorn jeden Monat in Ordnung bringen lassen, das kostet aber monatlich 18.- Mk. Und dann müssen Abschreibungen gemacht werden und Tod und Teufel. Da komme ich im Leben nicht durch. Und müsste dieser Kontenrahmen schon jetzt im Januar geführt werden? Und wie müsste ich ihn einrichten. Und kann mir die Steuer den verdienst nicht am Familienunterhalt abziehen? Und da ich ja immer sofort die Flinte ins Korn werfe, meine ich, ich könnte Dir nie wieder im Geschäft helfen.

Glaubst du, dass Du zu Weihnachten kommst? Viele sagen, wenn Du erst so kurz eingezogen bisst, ist an Urlaub nicht zu denken.

Sind irgendwelche Steuern Engels fällig? Nicht, dass er erst wieder gemahnt wird.

Ich schicke Dir hier einen Brief, den Helga an das Christkind geschrieben hat. Ist er nicht niedlich? Und bescheiden ist sie doch auch.

Omi Endemann ist sehr böse, dass Du keinen Gruss an sie geschrieben hast und dass Du in den anderen Briefen nur Grüsse an sie bestellt hast Du müsstest höflicher schreiben und nicht nur „viele Grüsse“.

Hoffentlich bekomme ich nun morgen wieder Post. Ich warte jeden Tag genau wie Du drauf. Morgen will ich auch sehen, ob ich ein Wörterbuch bekommen kann. Soll ich Dir den Schlafanzug schicken oder ist es zu riskant? Und soll ich Dir Geld schicken?

Hier ist eine Rundfrage in den Schulen, ob man sein Kind wegschicken will. Es kommt Danzig, Warthegau oder Sudetenland in Frage. Tulita geht. Aber man muss einen Revers unterschreiben, dass man sie nicht auf eigene Faust zurückholen darf. Auf ein Jahr vorläufig ist die Verschickung gedacht. Helga will natürlich nicht und ich lasse sie auch nicht fort.

Viele, viele Küsse, auch ganz dicke, Deine Lotti.

Morgen schreibe ich wieder. Du bekommst jetzt wieder jeden Tag Post.