Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 6. Januar 1942

den 6.1.42

Liebster Mann!

Unsere Anneliese packt oben ihre Sachen. Es ist wie immer. Sie hat toll geheult, ist außer sich über ihre Fehler, weiß angeblich selber nicht, wie sie dazu kommt, immer wieder unehrlich zu sein, denn sie hat mich sehr lieb, wie sie versichert, und schiebt die ganze Schuld auf ihre verpfuschte Jugend, wobei sie ja nicht ganz unrecht hat. Denn sie hat diese leichtsinnige Veranlagung nun mal mitgekriegt und wird ihr immer wieder verfallen.

Dass ich sie rausschmeiße, sieht sie völlig ein. Ich habe ihr vorhin erklärt, dass ich nach der damaligen Unterredung es nochmal mit ihr versucht habe, aber dass ich schließlich keine Anstalt für leichtsinnige Mädchen sei und auch nicht so reich sei, um mich langsam von ihr ausplündern zu lassen. Dass es also völlig zwecklos sei, diesmal wieder an mein gutes Herz zu appellieren. Nun will sie selber nicht mehr in einen Haushalt, denn sie meint, dass sie, wo ihr Gelegenheit gegeben wird, sofort wieder in ihre Unarten verfällt. Sie will in die Fabrik. Das blüht ihr sowieso, denn das Fräulein auf dem Arbeitsamt sagte mir, dass sie schon etwas für sie in Aussicht habe, wo ihr der Spaß vergehe. Sie wird auch vom Arbeitsamt aus nie wieder in einem Haushalt eingesetzt.

Wie ich nun noch mit ihr wegen des Ersatzes einiger Sachen auseinander komme, weiß ich noch nicht, aber schenken werde ich ihr nichts. Ich glaube, Du wärst auf den Rücken gefallen, wenn Du diese Unterredung gestern mitgemacht hättest. Ich kann wunderbar harte Dinge in einer Ruhe sagen, für die ich früher nie den Mut gehabt hätte. Ich höre mir förmlich selber dabei zu und wundere mich, wie ich das kann. Aber trotzdem bin ich nett zu ihr, denn ich weiß ja, dass sie im Grunde nur für ein böses Erbteil büßen muss.

Soeben kommt ein Soldat und meldet, dass ich heute abend höchstwahrscheinlich Einquartierung bekomme. Annelieses Zimmer ist also wieder belegt.

Abends

Anneliese hat den Tag über geschuftet wie ein Pferd und ist dann laut heulend abgezogen, um heute abend nochmal laut heulend wiederzukommen und mich zu fragen, ob ich ihr nicht böse bin. Darüber habe ich sie dann beruhigt, denn das bin ich ja auch nicht mehr, und ich musste ihr versprechen, dass sie mich immer besuchen darf, was ich ihr auch erlaubte.

Ich selber bin eigentlich sehr vergnügt und hole nun nach, was alles liegengeblieben war. Ich habe so den Aufräumkoller gekriegt, dass ich mich an Keller und Speicher mache. Und Omi Endemann, die ja nun eigentlich nicht viel betroffen ist, wird immer gemütlicher und vergnügter. Höchstwahrscheinlich wiegt sie sich in dem beruhigenden Gefühl, dass ich doch was im Haushalt kann, denn ihre Stimmung ist eitel Sonnenschein, und sie ist so gut gelaunt, dass sie irgendwelchen Vorschlägen meinerseits schon zustimmt, ehe ich sie noch ganz ausgesprochen habe.

----Ach du lieber Gott, unsere Einquartierung ist da. Ich hatte gedacht für kurze Zeit, aber nun zeigt es sich, dass das mindestens für ein halbes Jahr ist, denn die Schule der Nachrichtenhelferinnen ist seit heute nach Godesberg übergesiedelt mit 500 Mädchen und den Ausbildern, und einen davon haben wir.

Nett ist, dass nun wieder Deine Uniform im Hause ist, denn er ist Gefreiter der Luftwaffe und als Funker ausgebildet. Häuslich scheint er sich auch einzurichten, denn er hat bis halb zwölf hier gesessen und festgestellt, dass er wohl sehr häuslich werden wird. Angenehm ist, dass er und die beiden Kameraden, die mit ihm kamen, gebildete Menschen sind mit guten Umgangformen. Weniger angenehm ist, dass er darum bat, sich im Waschraum waschen zu dürfen. Nun muss ich den morgens mit ihm teilen. Das hatte zwar der gute Herr Schüler stillschweigend auch getan(alles wegen des schönen warmen Wassers), aber der machte sich um sechs fertig, während dieser erst um halb neun in der Berufsschule gegenüber sein muss, also mir morgens sehr in die Quere kommt. Aber nein konnte ich schließlich auch nicht sagen.

Na ja, wenn ich ein neues Mädchen bekommen sollte, muss er sowieso wandern. (…)

Als ich Jürgen heute was sagte, machte er bäh und streckte die Zunge raus, der Krott. Deine Lotti