Charlotte Endemann an ihren Mann Harald,10. Januar 1941

Bad Godesberg, den 10.1.41

Lieber, liebster Mann!

Ich habe mit Dir in den letzten acht Tagen so viel gesprochen, und ich habe Dich so lieb und habe so Sehnsucht nach Dir, aber zu einem Brief ist es nicht gekommen. Ich war einfach nicht ganz in Form und hatte deshalb keine Lust. Für all das Liebe, das ich empfand, fehlten mir die Worte, und deshalb ließ ich es ganz. Ich hab aber sehr viel an Dich gedacht, nun macht es mich unruhig und bedrückt, dass ich nicht weiß, wo Du bist. Das Warten auf Post wird immer scheußlicher. Wenn Du noch in Holland bist, müsstest Du doch eigentlich die Möglichkeit gehabt haben, eine kurze Nachricht zu schicken und länger wie zwei Tage brauchte die Post doch auch niemals. Oder bist du krank?

Heute sind es nun vierzehn Tage, dass Du gekommen bist, und ich durchlebe die Zeit immer noch. Immer wieder sage ich mir: Heute vor soundsoviel Tagen taten wir dies und das, und ich kann mir jeden der fünf Tage in beinahe jeder Einzelheit wieder ins Gedächtnis rufen. Dass einem solche Alltäglichkeiten ein solches Geschenk werden können! Jetzt krieg keinen Schreck, bei Alltäglichkeiten dachte ich an die Gänge zu den Behörden und derartige Sachen. Ach Pappi!

Bei uns ist der Tagesablauf der Übliche, und abends krieche ich fast in den Ofen. Und wenn ich dann so richtig durchgeschmort bin, fühle ich mich am behaglichsten. Und ich kann auch sehr lange im Sessel abends sitzen und denken. Nur gehen meine Gedanken andere Wege. Da ich nicht mehr mit Sorgen belastet bin und alles seinen geordneten Gang geht, kann ich mich mit meinen früheren Interessengebieten befassen, und es ist sehr schön, wie einem manche Erkenntnis aufgeht und wie man, durch Bücher angeregt, dann von einem ins andere kommt.

Gestern hatten wir dann wieder unser Kränzchen, das jetzt endlich in Gang kommt. Liebe Lenni ist ja nun nicht dabei, denn sie ist in Köln, aber Anita Stein, Frau Schubert und Frau Holtmann, die sehr glücklich darüber ist. Sie ist ja reizend, nächste Woche sind wir bei ihr. Jürgen hat den ganzen Nachmittag auf ihrem Arm gesessen und war vorbildlich artig. Das Kränzchen war gestern nämlich bei mir. Erst haben wir wunderschön im Biedermeierzimmer Kaffee getrunken und dann haben wir uns alle um den Ofen herum gesetzt und haben feste erzählt. Auch über Bücher und Frau Holtmann sagte sehr niedlich: Wenn man nicht hat der grosse Liebe, dann muss man in Büchern lesen.

Vor ein paar Tagen war ich bei Frau Wolfram. Sie liegt mir ja nin nicht so und irgendwie passt zu ihr, dass

sie an einem Abend, den sie gegeben hatten und an dem nach ihrer Meinung eine junge Dame sich mit ihrem etwas angeheiterten Mann zu sehr beschäftigt hatte, sie besagter junger Dame rechts und links ein paar reingehauen hat. Wonach ich innerlich die Akten über Frau Wolframm schloss. Dies nur zu Deiner Erheiterung. Dienstag bin ich nun dort eingeladen.

Mittwoch bekommt Heidi im Markusstift die Rachenmandeln gekappt. Ich hätte die Sache ja lieber im Viktoriahospital machen lassen, aber Dr. Jäger arbeitet im Markusstift und da ich einen Kassenschein hatte und ich merkte, dass es ihm nicht sehr bequem war, extra Heidis wegen zum Viktoriahospital zu kommen, liess ich es dabei. . Das arme Mauselchen tut mir jetzt schon leid. Ich habe ihr heute ein Paar Schuhe gekauft. Halbschuhe, 10,90 Mk. Und für Jürgen muss ein neuer Klappwagen beschafft werden. Der alte fällt auseinander. Ich war bei Nietgen. 46,- und 37.- Mk., und dann ganz leichte Dinger. Das ist doch ausgeschlossen. Nun muss ich sehen, ob ich irgendeinen alten erwischen kann. Und für Klaus habe ich auch schon ein Geburtstagsgeschenk. Anita Stein hat mir das alte Schaukelpferd von Dirk geschenkt. Was wird er wohl dazu sagen? Und für Heidi bekomme ich von Frau Holthusen den alten Schulranzen ihres Jungen. Er ist zwar schon fünf Jahre getragen, aber das geniert mich bei Heidi durchaus nicht. Nun wurde allerdings gestern abend im Radio mitgeteilt, dass das neue Schuljahr von jetzt ab erst nach den großen Herbstferien anfängt. Also hat Heidi noch eine Galgenfrist von einem halben Jahr. Und die Verlobungsanzeige zu Silvester war wirklich Fräulein Bennewitz.

Sieh mal, nun wollte ich heute abend gar keinen Brief schreiben, weil ich dachte, ich wüsste nicht, was ich Dir erzählen sollte. Der Brief trieft ja auch nicht gerade von Geist, ach, und zu allem, was ich Dir eigentlich an Liebem erzählen möchte, fehlen mir die Worte. Ich kann Dir nun wieder sagen, dass diese fünf Tage ein ganz großes Geschenk für mich waren und mich bis an mein Lebensende begleiten werden.

Ich habe eben wieder eine ganze Zeit geträumt und in die Kerze gesehen, die neben mir auf dem langen Messingleuchter steht. Ich sitze nämlich wieder am Ofen auf dem kleinen Hocker und brauche die Kerze als Beleuchtung. Am kleinen Tisch sitzen die Omis. Und dann trinke ich, weil Samstag abend ist, ein Glas Eierkognak.