Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 20. Januar 1941

Was mache ich mit der Umsatzsteuererklärung? Die Sache Krefting müsste doch wohl noch auf Dein Buch gehen? Ich warte am besten damit, bis Du kommst. Einliegend noch ein Brief von Wiel.

den 20.1.41

Liebster Harald,

neben mir spielt das Radio, und wir essen eine Schachtel von Onkel Emils Nürnberger Leb-kuchen. Sie sind aber bestimmt vom vorigen Weihnachtsfest, denn wir beißen uns die Zähne dran aus.

Heute nachmittag war es wunderschön. Eine ganz laue, warme Luft wehte, in allen Dach-rinnen platschte und träufelte es, und es war wie Märzluft. Ich war so vergnügt, als ich in die Stadt ging und voller Stimmung. Ich dachte an den Frühling, an Timmermannsbücher und viele schöne Sachen. Und wenn Du dagewesen wärest, wären wir bestimmt heute abend noch ausgegangen.

Ich hatte das Gefühl, als wenn man sich an diesem schönen Tag etwas Besonderes gönnen müsste. Aber es ist Krieg, Du bist nicht da, und draußen ist wohl die dunkelste Nacht in diesem Winter. Ich habe vorhin minutenlang am dunklen Fenster gestanden, und auch dann konnte man noch nicht die Ahnung eines Schimmers vom Himmel erkennen. Es war rundherum schwarz wie in einem Sack.

Jürgen sitzt jetzt im Wagen. Er kommt zwar nicht allein hoch, aber er sitzt stramm und fest, wenn man ihn hinsetzt.

Der eigentliche Grund, warum ich Dir schreibe, ist der, dass Onkel Emil meint, er werde wohl nicht mehr lange leben, und die Mutter lässt Dich fragen, wo die aufgeschriebenen Sachen sind, die Du hast? Du hattest mir damals nur die Liste mit den Namen gegeben. Weißt Du etwas Näheres über seine Versicherungen oder so? Denn Du kannst vielleicht nicht so schnell kommen, und dieser Hanno ist ja auch eingezogen, und wir haben keine Adresse. Dann müssten im Notfall Mutter und ich handeln. Aber wir wissen überhaupt nichts Näheres.

Ich habe meine Schreibmaschine auf den Knien, höre mit dem linken Ohr Zarah Leander zu, mit dem rechten der Unterhaltung der Omis und bin dösig im Kopf vom vielen Lesen. Also musst Du Dich schon mit diesem kurzen Brief zufrieden geben,

Deine Lotti.

Schreibe mir doch bitte eine Vollmacht für das Konto 4140 Rau und Mathieu. Das Heft ist so ziemlich am Ende und eine Vollmacht dass ich mit verfügen kann, genügt. Und dann bekam ich heute eine Aufforderung von der Stadtverwaltung (Bahn) dass ich mit dem Geschäftsbuch und den Handakten kommen soll. Ich habe am Telefon gesagt, dass sie warten sollen, bis Du Urlaub bekommst. Was sind Handakten?

wenden

Lieber Harald! Durch Lotti höre ich von Deiner guten Position und freue mich darüber. Lotti schrieb Dir von Onkel Emil. Ich fand ihn heute sehr elend, so dass man mit allem rechnen muss. Ich las ihm Deine Briefe vor und log ihm Grüße von Dir hinzu. Er lässt Dir sagen, dass Du ihn lieb behalten möchtest auch übers Grab hinaus, wie er Dich auch stets geliebt hat. Du siehst daraus, dass er sehr ans Sterben denkt, was ich bei seinem Zustand begreiflich finde. Wenn der Fall nun eintreten sollte, wissen wir über nichts Bescheid. Er sagte, Du hättest alles in Händen, Lotti suchte nach, fand aber weiter nichts als aufgeschriebene Adressen seiner Bekannten. Sagtest Du mir nicht mal, dass Hanno Platz (einer seiner Stiefsöhne) derjenige sei, der alles regeln soll? Nun ist der aber auch eingezogen, wie wird das nun werden? Ich weiß keine einzige Anschrift seiner nächsten Angehörigen noch etwas über seine Versicherungs-und Geldangelegenheiten. Sieh doch bitte zu, dass Du, was Du darüber weißt, baldigst mitteilst, sonst sind wir gänzlich ratlos. Am besten wäre es ja, wenn Du kommen könntest, aber dafür wirst Du wohl keinen Urlaub bekommen. Vielleicht erholt sich Onkel nochmal, man kann es nicht wissen.

In Treue Deine Mutter.

(Ich hatte auch wieder mal einseitigen Herzgalopp und habe drei Tage zu Bett gelegen, was mir gut getan hat.)