Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 23. Januar 1941

den 23.1.41

Sag mal, liebster Mann, Din Fru bekommt wohl überhaupt keine Post mehr von Dir? Ich renne jeden Tag zweimal an den Briefkasten, aber Essig. Soll ich mich revanchieren und auch so wenig schreiben?

Pappi, ich mache ja nur Spaß. Ich weiß ja, dass Du nicht schreiben kannst und dass es Dir an Zeit fehlt. Aber wenn so eine Woche rum ist, dann ist es wirklich allerhöchste Zeit, dass ich wieder Post bekomme. Mir wird sonst ganz jämmerlich zumute. Ich habe dann einfach zu nichts mehr Lust, und abends gehe ich früher ins Bett, damit schneller der Morgen da ist und der Briefträger kommt. Es ist toll, dass ich plötzlich wieder in Brautallüren verfalle.

Heute nachmittag war der Rex mit Fräulein Herweg zum Kaffee hier. Er ist doch reizend und dabei so gepflegt. Das macht alte Herren schon allein sympathisch. Und wie er in der neuesten Literatur Bescheid weiß!

Ich habe nun im Anschluss an den Bismarckfilm in seinen Gedanken und Erinnerungen ge-lesen und in seinen Briefen und ein Buch aus der Bibliothek über seine Frau (das aber in der Hauptsache von ihm handelt) geholt. Seine Briefe sind ja entzückend, und man liest sie mit solchem Genuss, weil man sich persönlich angesprochen fühlt. Er hat genau die richtige Art, mit einer Frau umzugehen, und ich glaube gerne, dass fast alle Frauen, auch die in Frankreich, die mit ihm zusammenkamen, von ihm entzückt waren. Er streichelt und erzieht in einem, und dann ist er richtig charmant. Bei der Hochzeit liegt neben Johanna das Brauttaschentuch, das ihre Freundin symbolhafterweise mit einer großen weißen Rose bestickt hatte. Er sieht es da liegen, nimmt seine Zigarre und brennt die Rose aus. Also, auf jeden Fall, ich finde ihn, privat, auch ganz entzückend, und habe einen richtigen kleinen Schwarm für ihn. Aber da er ja schon vor hundert Jahren gelebt hat, stört Dich das ja nicht weiter.

Eben kommt der Alarm, nachdem wir doch fast vier volle Wochen Pause gehabt haben. Omi Endemann sitzt wie gelähmt vor Schreck in ihrem Stuhl, und auch mir ist der Schrecken in die Glieder gefahren. Ob wir nicht doch zum Frühjahr hin die Kinder im Parterre schlafen lassen?

Sie arbeiten doch immer mehr mit Brandbomben, und Liebe Lenni sagte, dass im Augenblick des Fallens der Bomben riesige Flammen aus den Dächern schlagen, Und im vorderen Kinderzimmer liegt doch das Dach fast mit dem Zimmer zusammen.

Ach, wärst Du doch manchmal hier. Ich habe es manchmal so nötig, gehuschelt zu werden, und wären es auch nur ein paar Augenblicke. Sorgen und Angst habe ich ja keine mehr, seit-

dem Du da warst, denn ich weiß, dass ich wirklich keine mehr zu haben brauche. Ich habe Dich darum jetzt so lieb, der alte und abgegriffene Vergleich von dem Strom, von dem eine Eisdecke genommen worden ist, passt genau, ich wüsste keinen besseren und kann mich jetzt ganz meiner Liebe zu Dir hingeben ohne Nebengedanken oder inneres Widerstreben (nicht aus dem Gefühl heraus, sondern aus den Gedanken). Ich habe Dich so lieb hatte es ja immer, aber jetzt ist alles neu.

Jetzt erzähle ich Dir wieder vom Alltäglichen, aber ich musste Dir schnell etwas von meinem vollen Herzen erzählen und musste Dir ein bisschen schildern, wie es in mir aussieht, denn ich kann schließlich nicht nur immer den einen Satz schreiben: Ich habe Dich lieb. Im Übrigen ist es gut, dass ich meine Briefe niemals wieder durchlese, denn sonst würde ich sie meistens nicht abschicken vonwegen Satzbau oder sonstwie. Es geht mir da wie bei meinen Tagebüchern. Wenn ich heute wieder darin lese, geniere ich mich grässlich, d.h., bei den 20 Jahre alten geht es schon wieder, denn da habe ich gar nicht das Gefühl, dass ich sie geschrieben habe. Und wie ist es mit den Briefen aus Beuthen. Ich habe sie wiedergefunden, soll ich sie wegwerfen. Sie sind ja doch nicht mehr aktuell.

Und soll ich Dir nun von den Kindern erzählen? Ursula reitet auf dem Pferd bedeutend besser als Klaus. Übrigens glaube ich, dass ich Dir das schon mal erzählt habe. Da siehst Du also, wieviel Geist Deine Frau hat. Din Frau.

Und jetzt mache ich Schluss, aber in den Umschlag kommt der Brief noch nicht. Ich muss morgen früh erst sehen, ob Post von Dir kommt. Und dann bekommst Du erst Deinen Kuss.

Ach, Pappi, im Radio ist Tanzmusik, ich habe zwei Kognaks getrunken (weil ich Zahnschmerzen hatte) und wollte nun mit der Mu tanzen. Aber beide Omis mussten so schrecklich lachen und haben sich jetzt ganz erschöpft auf die Couch gesetzt. Jetzt muss ich mich also wieder an Dich wenden. Und weil ich so vergnügt bin, bekommst Du den Kuss jetzt schon. Der Punkt ist er. Länger ist er nicht, aus Strafe, weil Du nicht schreibst. Und jetzt spielt das Radio: 'Kann denn Liebe Sünde sein'. Das bringt meine ganzen Vorsätze ins Wanken, und Du bekommst einen etwas längeren ---.(Ein ganz reizendes, zärtliches Schlagerpotpourri ist jetzt im Radio) Meine Grundsätze!! Und dabei weiß ich noch gar nicht, ob Du morgen schreibst. Ich habe das Gefühl, als ob Du jetzt bei mir bist, und lache und spreche mit Dir. Ach, Harald…

Guten Morgen, lieber Mann! Post ist zwar keine da, aber ein paar Worte bekommst Du doch. Die Nacht habe ich bis gegen fünf überhaupt nicht geschlafen. Omi Endemann hat einen derartigen Bohnenkaffee gekocht, dass wir alle kein Auge zugetan haben. Deshalb bin ich ziemlich verkatert.

[Rest fehlt]

Von Harald mit grünem Stift an den Rand geschrieben: Nicht!!!