Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 5. April 1941

den 5.4.41

Mein lieber Mann

Nun ist der Samstagabendbrief schon wieder fällig. Eins, zwei, drei im Sauseschritt… Ich bin noch richtig erledigt von all der Hetze. Seitdem ich mich um alles kümmere, meine ich, ich werde überhaupt nicht mehr ertig. Aber es ist wunderschön. Früher meinte ich, die Büroarbeit wäre am schönsten, jetzt möchte ich am liebsten den Haushalt nicht mehr aus der Hand geben. Es ist mir jetzt auch undenkbar, daß ich, als Du 14 Tage da warst, überhaupt nichts im Haus getan habe. Die Arbeit hat mich jetzt so, daß sogar das Kino heute abend ins Wasser gefallen ist. Das ärgert mich. Aber ich würde mit dem pensum einfach nicht fertig. Und dabei habe ich heute garkeine Lust zu einem „gemütlichen“ Familienabend.

Hoffentlich klingt der Brief von heute morgen nicht so, als ob ich Dir abraten wolle, den Doktor zu machen. Garnicht. Ich wollte nur die Geldfrage ganz klar sehen. Ich persönlich habe Träume, aber das sind eben nur Träume, wie eine Frau sie hat. Das ist ein auskömmliches Gehalt, dass man nicht nur unter Sorgen lebt. Ich habe doch gemerkt, wieviel seelische Kraft gerade durch die letzten Jahre kaputt gehen kann. Jetzt kommt sie wieder zum Vorschein. Und dann wünsche ich mir einen getrennten Haushalt von den Omis. Stell Dir vor, wenn ich noch 10 Jahre lang immer unter Kuratel stehe. Dann bin ich eine

ältere Dame und habe eigentlich nie alles so machen können, wie ich wollte. Heute hat sich z.B. ein dreifaches Strafgericht über den armen Klaus ergossen. Er war in den Sandkasten ausgerissen, trotzdem er, weil er nass war, drinnen bleiben sollte. Da habe ich ihn erst gescholten, dann hat Omi Hechtle ihn verhauen, und zum Schluss kam Omi Endemann mit dem Spazierstock und hat ihn damit noch einmal feste vertrimmt. Gehorchen soll er ja, aber das war etwas viel für so ein kleines Vergehen. Aber da war nix zu machen. Jeder fühlte sich verantwortlich, den Jungen zu erziehen.

 

Ach Pappi, jetzt wo ich mir damals alles von der Seele runtergeredet hatte, mußt Du mich sehr lieb haben. Früher, in den verzweifelten Momenten, wenn ich mit mir garnicht mehr weiter wujßte, dachte ich, daß das Schicksal als Ausgleich für soviel verlorene Jahre noch was Schönes für mmich aufhebt. Und wenn ich mich nach dem Ausgleich frage, dann ist es immer wieder dasselbe: Ein arbeitsreiches Leben ohne zu große Sorgen mmit Dir, damit meine Seelenkräfte nicht nur davon aufgefressen werden. Die kann ich für Euch alle besser verwenden.Aber dann kann ich Bäume ausreissen. Und jetzt verstehst Du vielleicht auch, womit oft meine trübe Stimmung zusammenhing. Es war wirklich nie Launenhaftigkeit. Ich merke jetzt ganz deutlich, daß ich Launen überhaupt nicht kenne. Geradezu langweilig bin ich in der Beziehung. Ich freue mich eigentlich dauernd. Und ich freue mich so auf die Zukunft. Du mußt mich schrecklich lieb haben. Dienstag bekomme ich meine Schreibmaschine wieder. Dann kannst du auch die Briefe besser lesen. -

Beitin hat heute den Liguster gesetzt. Den Vorgarten bezahlen wir doch? Montag kommt der Hausputz im Schlafzimmer dran. Morgen hat Anneliese Dienst. Ich weiß nicht recht, was ich mit meinem nachmittag anfangen soll. Mit Edith habe ich keine Lust. Zu viel.

Kuß, Kuß, Kuß.             Deine Lotti.