Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 21. April 1941

den 20.4.41

den 21.4.41

Lieber Mann!

Aus dem Brief, den ich gestern abend schreiben wollte, ist nichts geworden. Oder vielmehr, ich habe einen angefangen und dann nicht weitergemacht. Erstens wurde ich immer wieder gestört, und dann findet man nicht immer die richtigen Worte, um auszudrücken, wie es einem ums Herz ist und was man alles denkt, wenn man sehr froh ist. Aber Du kannst vielleicht nachfühlen und ein klein bisschen in meiner Seele lesen.

Heute abend, denn es ist schon wieder zehn Uhr, wird der Brief nicht lang. Ich bin den gan-zen Tag über sehr müde. Gestern abend konnte ich vor Erregung und Herzklopfen nicht einschlafen, und als ich dann endlich gegen halb 12 Uhr so weit war, kam der Tommy und hat uns bis gegen fünf mit einer kurzen Pause in Angst gehalten.

Wenn ich auch mit den Gedanken mutig bin und ruhig scheine, im Herzen sitzt doch ein Kloß, und man wartet auf das Geheul der Bomben. Die waren ja nun in Friesdorf und Dottendorf runtergekommen bei stockdunkler Nacht, also wirklich plan-und wahllos, ohne Leuchtschirm. Also können die Kerle doch gar nicht wissen, wo sie sie hinpfeffern.

Weil ich nun ziemlich gehandicapt bin, habe ich nicht allzu viel getan, wenigstens, was das Treppenlaufen betrifft, und das hätte ich in vollem Maße haben können, weil die Gören oben wieder sehr munter sind. Aber mir wars heute egal, und ich habe als Vorarbeit zum Hausputz unserer Wohnzimmer die Bücherregale gesäubert und neu eingeordnet. Und dann habe ich unsere Briefe, die ja an Masse zunehmen, geordnet in sehr nüchternen Soennecken-Schnellheftern. Ich konnten den Stoss nicht mehr bändigen und bünndel mit rotem Band wäre auch eine halbe Sache gewesen. Ich hätte alles aufbündeln und jeden Brief auseinanderfalten müssen. Und so kann man alles lesen wie ein Buch. (Das Komma ist mir dazwischengerutscht, ich habe es mitgegriffen. Ich kann die Zeichensetzung. Und das schreibe ich so scön deutsch, weil ich im Augenblick nicht auf das Fremdwort komme. Ist es Orthografie? Aber so heisst es nicht. Ich habbe das Grammatische immer gehasst.)

Heidi war gestern als einzige im Kindergottesdienst, weil Helga noch krank ist. Sie haben die Geschichte von den Jüngern in Emmaus gehabt. „Und da gingen die Jünger spazieren, und weil sie so lange laufen mussten, gingen sie in ein Cafe.“

Weißt Du, ich mache Schluss und gehe ins Bett. Du bist nicht böse, aber ich bin heute abend so müde, dass mir alles egal ist, so richtig schön müde. Es ist nun mittlerweile auch halb zehn Uhr, und alle Kinder wollen noch ihr Hustensäftchen, und meine Haare wollen ihre Lockenwickel und sonst lasse ich das Letztere und das willst du ja auch nicht haben.

Und morgen abend gehe ich in einen herrlichen, schönen, bestimmt Kitschfilm: Zwischen Hamburg und Haiti. Und darauf freue ich mich jetzt schon. Weißt Du, so richtig allerlei

an Sensationen, Pracht-Villen und Luxusdampfern sehen, ist auch manchmal schön.

 

den 22.4.41

Ich wollte den Brief um neun in den Kasten stecken. Daraus wurde nichts, weil ich etwas länger liegengeblieben war. Ich bin körperlich etwas durcheinandergeraten und eine Woche zu früh dran. Nun ist es halb Zehn, also eine sehr günstige Zeit, Dir noch etwas zu erzählen, weil Jürgen erst später drankommt und die Zimmer Anneliese allein macht. Ursel ist wieder aufgestanden, und das Gespann Ursel-Klaus macht alles unsicher. Helga ist auch fieberfrei, da sie aber noch hustet, lasse ich sie im Bett. Jürgen hat einen gründlichen Husten, ist aber sonst sehr fidel. Ich habe für die ganze Bande Thymodrosin besorgt. Das nehmen sie sehr gerne.

Und vorhin, gerade, als ich mich anzog, kam Dein schöner, langer Brief. Man hat doch die tägliche Post sehr nötig! Sie beeinflusst einen doch irgendwie. Und gerade ich. Ich habe die meisten Menschen gar nicht nötig. Ich kann sehr schön einspännig werden, aber einen, auf den ich mich konzentriere, muss ich haben. Du weißt, wie gerne ich ausgegangen bin. Das kommt auch wieder, wenn Du da bist. Jetzt, mit den anderen mache ich mir gar nichts draus, weder mit den Müttern, noch mit dem Kränzchen und ins Kino gehe ich am liebsten auch allein. Und früher hatte ich keine Lust, hinzugehen, wenn Du nicht da warst.

Ich schicke mit diesem Brief auch den alten Schäffer-Band. Ich habe den umschlag schon vor Tagen daür geschrieben. Und da ich mit einem Auge in Deinen Brief gucke: Von Zarah Leander habe ich nichts gehört.

Hier liegen ein paar Zigarillos. Anneliese hat sie mir angebracht, wahrscheinlich von ihrem Freund, der keine raucht. Hat es Zweck, sie zu schicken?

Godesberg ist grün. Der Frühling ist voll und ganz da. Jetzt, während ich schreibe, freue ich mich immer wieder an dem zartgrünen Schleier, der vor allen Fenstern ist. Der Steingarten sieht auch schon hübsch aus. Er hat zwar noch Lücken. Ganz stark wuchert die Pflanze links in der Ecke unter dem Erkerfenster, und dann haben wir ein kleines Pflänzchen eingesetzt, das kleine Blätter in Rosettenform hat, ganz glänzende, an einem dunkelroten Stiel. Eine Art Fettpflanze. Soviel ich weiss, hast Du damals eine Pflanze davon eingepflanzt. Die kommt jetzt überall, scheinbar durch Wurzelvermehrung, raus. Das Winterheidekraut war nicht angegangen, das hole ich noch mal. Jetzt blüht auch ein lila Blümchen. Und dann, Herr Endemann, wird der Garten immer sehr schön geharkt. Nicht heute, wo es so regnet.

Mutters hessische Reise liegt wohl noch in der Ferne, sie spielt erst mit dem Gedanken, im Laufe des Sommers Tante Lina ein paar Wochen nach hier einzuladen und dann anschließend mit ihr zu fahren.

Heute Nachmittag ist bei mir Kränzchen. Es ist jetzt Dienstags. Ich muss noch einen Tortenboden backen. Ich küsse Dich herzlich. Deine Lotti.