Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 27. April 1941

den 27.4.41

Mein lieber Mann,

neben mir das Radio, vor mir das Ställchen mit Jürgen, der heute zum ersten Mal drin sitzt und Keks knabbert. Dein Junge wird gross und in paar Tagen schon ein Jahr. — Eine Sondermeldung — Heute ist ja wieder mal der Tag der Sondermeldungen, Athen, Isthmus, Peloponnes. Sag mal, was mögen so manche junge Soldaten denken, die in der griechischen Stunde diese ganzen Stätten durchgeackert haben und was mögen sie gedacht haben, als sie die Akropolis, die doch immerhin ein Begriff aus der frühesten Jugend ist, oben gegen den leuchtenden Himmel stehen sahen?

Sag mal, und wieviele haben die Schlacht bei Thermopylä gelernt, und wer von ihnen hat wohl im Traume daran gedacht, noch einmal und dann selber eine Schlacht dort zu erleben?

Siehst du, und von Deinem Jungen bin ich nun abgeschweift. Höchstwahrscheinlich wärest Du schon wieder erstaunt über seine Wandlung. Er sitzt und spielt mit einer kleinen Ente und untersucht ihre Räder. Stehen kann er auch schon. Und was er will, kann er einem sehr deutlich machen. Z .B. wenn ich das Radio anstellen soll oder wenn er Atta gehen will. Wenn er etwas nicht will, schüttelt er sehr energisch den Kopf Er hat nun fast sieben Zähnchen und isst auch schon Butterbrot. Im übrigen tyrannisiert er mich nach Noten. Er kann furchtbar und gellend schreien, wenn ihm etwas nicht passt. In dieser Beziehung war wohl keiner von den anderen so tyrannisch. – Jetzt hat sich unser Riesenbaby, die Heidi, zu ihm gesetzt, und ich werde noch einige Zeit von ihm verschont. Er kann einen wirklich in Atem halten wie ein einziges Kind und weil er nun mal der Jüngste ist, wird immer wieder nachgegeben. Falsch, aber wahr.

Omi Hechte wird nachher zum ersten Mal wieder aufstehen. Helga lasse ich noch ein paar Tage im Bett.

Jetzt ist auch Ursel erschienen, und ich habe die ganze Bande gleich zusammen im Ställchen. Es ist eben noch was Neues, in ein paar Tagen werden sie nicht mehr zu bewegen sein, dem Brüderchen da Gesellschaft zu leisten.

Jetzt habew ich wieder die ganze Zeit mich mit anderen dingen als mit Deinem Brief beschäftigt, eigentlich mit garnichts. In der Hauptsache habe ich Deinem Sohn zugesehen, der am Gitter die ersten Gehversuche macht.

Vorhin wurde im Heeresbericht gesagt, dass die Küste der besetzten Gebiete und die friesi-schen Inseln angegriffen wurden. Ich habe dann sofort Sorge.

Heute abend gehe ich zu Frau Hillenbrand, geb. Ortsiefer.

(Übrigens haben meine Schuhe auch die Grösse 5. Damit kann vielleicht ein Schuhhändler etwas anfangen.)

Ich grüsse und küsse Dich herzlich. Ich muss jetzt daran denken, die Kinder zu versorgen, denn ich habe Anneliese freigeegeben. Sie hat einen Soldaen und ich weiss nicht viel mit meinem freien Sonntag heute anzufangen. Deshalb habe ich ihn ihr abgetreten.

Deine Lotti.

Schreibe bitte Deiner Mutter. Sie glaubt, sie sei für Dich überflüssig, weil Du nicht schreibst, denn Briefe an mich gelten nicht. Omi Bechtle läßt grüßen. Sie sitzt hier und hat Zigaretten für Dich, wenn Du sie gebrauchen kannst. Aber ich glauben, die habt Ihr selber.