Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 11. Mai 1941

den 11.Mai 41

Mein lieber Mann!

Heute morgen kam Dein langer Brief. Du glaubst gar nicht, wie gut mir immer ein paar Worte der Sorge und Liebe tun. Ich blühe förmlich auf.

Es ist scheußlich kalt in diesem Frühjahr, und ich musste schon wieder Kohlen bestellen. Das passt mir gar nicht. Aber frieren wollen wir ja auch nicht. Die Kinder, wenigstens die Kleineren, laufen wieder mit herrlichen Hängenasen herum, und dazu gehört jetzt, seit er nicht mehr dauernd im Bettchen liegt, auch Jürgen. Er ist aber doch noch arg quappig. Kein Baby mehr und noch kein Junge. Er sitzt im Ställchen und wiegt seinen Oberkörper nach Bachscher Musik hin und her.

Herr Schüler probiert unten den Kindern die Gasmasken auf, weil er es für nötig hält zu üben. Er will jetzt auch unseren Speicher vorschriftsmäßig herrichten, denn das eine Säckchen Sand imponiert ihm nicht sehr. Und, was meinst Du, müssen wir im Keller noch machen?

Jürgen redet: „Atta, atta“, wie es der Atem hergibt, manchmal mit einem A vorne, manchmal mit fünf oder zehn. Er quietscht vor Freude über den Bibabo.

Ich habe heute die grünen Schuhe an. Sie sind wunderbar bequem, übeerhaupt trägt sich die Marke Swift sehr gut.Sie passen gut zu dem dunkelbraunen Kleid mit den gelben Taschen.

Es ist scheußlich, dass man gar nicht ausrechnen kann, wann Du wohl mal Urlaub bekommst. Aber das gehört mit zum Großen Ganzen. Hoffentlich wird es nicht darüber Weihnachten. Da hat es Karl Vogel doch besser gehabt. Aber bei dem wird es nun überhaupt vorläufig aus sein mit dem Urlaub. Und dann erst die, die in Afrika sitzen. Aber wenn Du kommst, können wir diesmal wirklich Freude am Urlaub haben, denn ich wüsste nichts, was nachzuholen wäre. Jetzt, wo Du mir alle Sachen eingerichtet hast, laufen sie und es wäre höchstens so etwas fällig wie die Treppenhausbeleuchtung Wurzerstrasse in Ordnung bringen. Du und ich müssen höchstens sorgen, dass wir uns etwas Geld sparen, damit wman was unternehmen kann. An leiblichen Genüssen spare ich Kaffee, Tee, Sekt, Weinbrand für Dich. Nun ist die Flasche Vino Vermuth schon seit vor Weihnachten angebrochen. Hält sich so etwas lange oder soll ich sie lieber austrinken? Zigarren habe ich auch, aber daraus machst Du Dir ja nicht viel.

Thea hat am 24. Geburtstag. Ich habe ihr ein Buch über Köln besorgt. Ich glaube, Thea ahnt nicht, wie gut sie es hat und behandelt den guten Hans immer so schäbig..

Anneliese hat mir den Jungen entführt und kommt eben mit ihm wieder. Sie hat ihm die Haare geschnitten und militärisch kurz. Ich kenne meinen Jürgen kaum wieder. Am Hinterkopf ist alles vollständig wegrasiert. Aber jetzt sieht man, dass es ein Junge sein soll.

Ach, die Sonntagnachmittage, wie schön wären sie, wenn Du hier wärest. Jetzt mache ich höchstens mit den Großen einen Spaziergang in die Deichmannsaue. Draußen Kaffeetrinken oder abends ausgehen muss ich mir diesen Monat wieder verkneifen. Ich tröste mich dann immer mit dem nächsten, aber dann ist bestimmt wieder etwas anderes fällig. Aber diesen Monat haben Thea, Hansi, Frau Schröder und Frau Koch Geburtstag. Aber wenn Du kommst, holen wir alles nach.

Ich möchte dann mit Dir auch mal nach Köln fahren und groß aus essen gehen, ach, und alles mögliche. Und dann gehen wir auch ins Gebirge, und Du brauchst bestimmt nicht pessimistisch zu sein, wir brauchen gar nichts nachholen oder aufarbeiten.

 

Soeben lese ich im Stadtanzeiger, dass Frau Landgerichtsdirektor Fehr gestorben ist. Kann das unseren Provisionsanspruch beeinflussen, falls der Mann kündigt oder ist die Provision jetzt auf jeden Fall fällig? War der Vertrag auf drei oder fünf Jahre abgeschlossen. Ich rege mich richtig auf, denn das Geld könnte ich herrlich gebrauchen. Konnte die Frau nicht zwei Monate später sterben? Andererseits ist doch der Vertrag fest geschlossen und Herr Blatzheim hat seine Miete doch sicher für die Zeit von ihm.

Mit den Häusern von Rau und mathieu tut sich noch immer nichts. Herr Merrem hat nie auf seine Briefe eine befriedigende Antwort bekommen. Es wurde ihm immer nur gesagt, dass der eine Teilhaber im Felde sei und dass ohne seine Unterschrift das Haus nicht verkauft werden könne. Und nachher haben sie überhaupt nicht mehr geantwortet.

Geld ist doch zu was Schönes, und ich überlege immer, woher ich noch welches verdienen kann.

Eben kommt Ursel ins Zimmer. Das Mädel hat sich sehr gestreckt und wird so niedlich und vernünftig. Sie spielt jetzt mit Jürgen im Ställchen.

Ich sitze jetzt hier und zwischen Wunschkonzert und Kinderbeobachtung schreibe ich immer einige Sätze. Was hältst Du von Blatzheims 147.-? Das beschäftigt mich doch sehr.

Und meinst Du, dass sich eine Umänderung in unseren Zimmern lohnt? Wenigstens die, den grossen Schrank aus dem Büro zu befördern und den Esszimmerschrank reinzustellen? Die esserei augenblicklich hat doch etwas reichlich Primitives. Nie ist das da, was man braucht. Die Löffel liegen in der Tischschublade und die anderen Zutaten stehen im Büroschrank oder müssen von drüber geholt werden. ich habe auch schon daran gedacht, dass, wenn wir kein Wartezimmer brauchten, ich die Wohnzimmer ins Erdgeshoss verlegte und unser Schlafzimmer und ein Kinderzimmer in den ersten Stock verlegt. Ist überhaupt ein Wartezimmer später sehr nötig oder könnte das Bidermeierzimmer zugleich dann dazu dienen? Man könnte dann ja eine Auswahl treffen und handwerker und dergleichen sowieso auf dem Flur warten lassen. Auf jeden Fall würde ich es sehr begrüssen, wenn das zu viele Treppenlaufen aufhören würde. Es wäre dann noch immer genug bei den vielen Kindern.

Überhaupt hätte ich mal wieder Lust, irgendetwas recht schön einzuräumen.

Innenarchitektur war seit jeder meine besondere Liebhaberei, und in den Heften der ´neuen Linie´ interessiert mich mehr wie der Modenteil der Teil mit den schönen Wohnungen, und zwar möchte ich, wenn ich kann, zuerst an ein schönes Esszimmer gehen (jetzt nicht das, was wir uns zusammen ausgemalt haben, sondern die Umänderung der fürchterlichen Bude unten in ein wenigstens behagliches Zimmer.) Es wandert mit der Zeit alles rein, was das Zimmer nur irgendwie ungemütlich machen kann , immer unter der Devise "wir sind arme Leute und haben viele Kinder", und das hasse ich. Alle Kinder sind jetzt aus dem Gröbsten und sollen einen Begriff von Esskultur kriegen. Überhaupt möchte ich nun, wo die Kinder anfangen, etwas vernünftiger zu werden, etwas von meiner Jugend haben, Pappi, und ich habe oder werde vielmehr nie das Bewusstsein los, dass mir als junger Frau nur noch fünf Jahre zur Verfügung stehen, denn wenn ich erst vierzig bin, ist das Schönste weg. Und bisher habe ich nichts davon richtig genießen können. Immer wieder war mir ein Riegel vorgeschoben, und die richtige Lebensfreude war beeinträchtigt durch faden Geschmack oder Unbeholfenheit. Das soll nun kein Vorwurf an das Leben sein, im Gegenteil, ich freue mich, das wir die Fünf haben, abber irgendwie rechne ich es mmir zum Plus an, dass ich trotz der fünf Kinder noch solche Lebenslust habe und so viel von meiner Jugend erhoffe und nicht resigniere.

Und nun bin ich vom Thema „Esszimmer“ .abgekommen. Also, irgendwie muss eine Lösung gefunden werden, wenn der Krieg nicht in diesem Sommer aus wäre. Das andere war reichlich primitiv und aus dem Essen wird eine reine Abfütterung.

Und dann wünsche ich mir für später ein hübsches Schlafzimmer. Die Möbel sind wirklich nicht schön und augenblicklich ist es viel mehr das Schlafzimmer einer alten Frau als einer jungen. Überall hängen Kleider oder Strümpfe, Taschen stehen in allen Ecken, überall stehen Schuhe, es ist nicht mehr mein Zimmer. Und auch da möchte ich, wenn der Krieg noch lange dauert, mein eigenes Zimmer wiederhaben. Überhaupt wünsche ich mir, wenn Du schon nicht da bist, einen Raum im Hause, der mir und meinem manchmaligen Einsamkeitsbedürfnis gehört. Ich hatte auch der Mu den Vorschlag gemacht, die Knoopsche Wohnung, falls sie nicht zu teuer ist, zu mieten, denn sie hat ja lange genug und den ganzen Winter über mir täglich in den Ohren gelegen, dass sie ihre eigenen Räume wieder haben will. Sie hat es mir nun rundweg abgeschlagen mit der Frage, was sie denn in einer Wohnung für sich allein solle. Sie zöge unter keinen Umständen in eine Wohnung allein. Wie immer…

Und Deine Mutter lässt ihre Räume ebenfalls verkommen, statt dass sie froh sein sollte, ihre eigenen Räume zu haben. Dafür sieht sie aber bei mir jeden Fleck an der Türe.

Ehe ich aber irgendetwas mache, möchte ich Deine Meinung über das Ganze hören. Auch über die Umänderung, die eventuell für später bleiben könnte. Oder wenn es später möglich wäre, dass die beiden Omis für sich wohnten, das wäre auch sehr schön.

Und dann, wenn ich genau überlege, was es bei mir heißt, in diesen fünf Jahren noch etwas von meiner Jugend zu haben, dann kommt es eigentlich bloß darauf hinaus, keine zu großen drückenden Sorgen zu haben, wie ich sie bis jetzt gekannt habe und mit Dir alleine zu sein. Die Wünsche sind, wohl nicht vermessen. Und dass das Leben dann wunderschön wird, glaube ich, denn ich bin sehr schnell froh und glücklich, habe Fantasie und Geschmack, und wir könnten es dann wirklich herrlich haben. Grosse andere Träume habe ich nicht.. Höchstens mal eine schöne Reise mit Dir oder die Möglichkeit, unser Heim durch möbel immer mehr zu verschönern.

Darum hat ja auch der Osten keine Schrecken für mich, denn da stände ja ein festes Gehalt als Untergrund da. Auf jedenfall freue ich mich auf die Zukunft und halte mich an die Weissagung.

Und jetzt habe ich mich gründlich verplaudert. Der Breif sollte um fünf im Kasten sein und nun ist es viertel vor sechs und ich schreibe noch. Er sollte ja ursprünglich auch einen Bogen (wie heisst das nun, lang oder voll) werden.

Und nun wird Schluss gemacht. Morgen wollen wir eigentlich Hausputz in den Wohnzimmern machen oder soll ich warten, bis du mir Deine Antwort schreibst?

Und dann noch eine Frage, die mir gerade einfällt. Soll ich, wenn Du kein Geld bekommst, den Pelzmantel wieder verkaufen? Schreibe mir das bitte.

Und nun muss ich endgültig mit diesem Brief Schluss machen. Ich will rasch mit Jürgen noch etwas an die Luft, ehe er zu Abend isst.

Ich grüße und küsse Dich herzlich, Liebster. Ich freue mich auf Deinen nächsten Brief. Deine Lotti