Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 20. Mai 1941

den 20.5.41

Liebster!

Die Kinder müssen ohne ihre Mutti ins Bett gehen, denn sonst bekäme der Pappi keinen Brief. Wenn heute abend wieder alles hier sitzt, kann ich nicht schreiben. Ich habe vorhin an Thea geschrieben und ihr ein hübsches Buch über Köln geschickt. Hans ist wieder voll arbeitsfähig, darf aber von seinem Gewicht (150 Pfund)nicht herunter und muss sich sehr in Acht nehmen.

Gestern abend, als ich gegen neun nach Hause kam, hatte ich einen Abend, der war wie ein Geschenk. Und es war weiter nichts, als dass ich das Zimmer, weil alle spazieren gegangen waren, für mich allein hatte. Das Abendrot schien in die Fenster, nachher kam die Dämme-rung, und es war so wundervoll still. Und wenn es so still ist, dann fängt unser Zimmer an zu leben. Dann empfindet man die Harmonie des Raumes so deutlich.

Ich habe dann, soweit es die Dämmerung erlaubte, Diotimas Briefe an Hölderlin gelesen und mich nochmal in "Die Kunst des Barock" vertieft. Es war ganz wundervoll und ich war so voller schöner Gedanken. Ich glaube, wenn ich das öfter hätte, ich könnte viel vertiefter leben. Dann kamen die Omis wieder und brachten mich in die Wirklichkeit zurück, indem sie sich von den inneren und äußeren Verhältnissen der Kienastschen Familie unterhielten und alles aufwärmten, was wir seit Jahren von ihnen kennen. Und dann ist es unmöglich, in die schöne Stimmung zurückzufinden. Und dabei war der Abend so schön. Unser Zimmer ist dann doch wunderschön. Das Bücherregal lebt dann ordentlich, und wenn der rote Abendschein in die Fenster scheint und auf Blumen und Möbeln liegt, dann kann es sein wie in einer Stormschen Novelle.

Heute morgen haben wir nun das Esszimmer eingeräumt, und unser Mittagessen war viel schöner an dem großen Tisch. Alles hatte wieder seine Ordnung. An die Wand gegenüber der Türe habe ich mein Bild gehängt, und in das Biedermeierzimmer kommt das alte Bild, das ich Dir zu Weihnachten schenkte. Nun essen schon vier am Tisch mit, und ich muss noch eine Lösung treffen, wer neben mir sitzt, denn das ist schon immer zwischen Helga und Heidi ein Kampf gewesen, und nun wollen die beiden anderen auch da sitzen.

Ich traf heute morgen Wilhelm Düren, der Dich grüßen lässt. Ich erzählte ihm, dass ich vor-hätte, nach Köln zu fahren, aber er meinte, ich solle das lieber nicht tun. Es sei grauenhaft, die zerstörten Straßen zu sehen. Er war vorgestern da. Wilhelm übertreibt ja nicht. Der Baumeister Fitz oder Fihl, Du kennst ihn ja auch, wohnt auf dem Ubierring. Er ist aus dem Hause mit Frau und Kind der einzig Überlebende, weil er zu spät in den Keller ging, wo die Bombe platzte. In diesem Krieg ist doch die Zivilbevölkerung nicht weniger dem Tod ausgesetzt

wie der Soldat.

Jetzt, nach dem Abendessen, ist es wieder wie im Kasino. Vier Mann, einschließlich Lilli Linde, sprechen durcheinander. Seit einer halben Stunde versuche ich, ein Wort an Dich zustande zu bringen, aber es will mir nicht gelingen.

Darum fange ich jetzt wieder bei den Kindern an. Dann komme ich am besten wieder in Fahrt. Ich glaube, mit Klaus wärst Du jetzt zufrieden. Er erscheint nur noch zu den Mahlzeiten und dann vollkommen verdreckt. Er "kämpft" bloß noch, hat Löcher in den Hosen, Löcher im Kopf, Schrammen an Armen und Beinen. Aber wegen solcher Lappalien rennt er nicht mehr nach Hause. Nun hat sich eine ganze Kohorte größerer Jungen aufgetan, und mit denen spielt er. Der Sandkasten ist passe. Er ist nur noch manchmal das kleine Kläuschen, das Du kennst. Einen leichten Hang zur Faulheit hat er aber immer noch.

Jürgen finde ich jetzt immer, wenn ich abends ins Bett gehe, zusammengeklappt wie ein Taschenmesser am Fußende des Bettes sitzen. Er ist nicht so pomadig wie Klaus. Zum Nachmittagskaffee isst er einen großen Wecken und morgens eine Scheibe Vollkornbrot.

Weisst Du, ich möchte doch später nicht mehr so ganzh aus dem Haushalt heraus und so vollkommen im Geschäft eingespannt sein wie es früher war. ich merke es doch jetzt, wie wichtig es ist, gerade bei so vielen kindern, dass die Mutter Zeit für sie hat und alles überwacht. Frau Kellmer sagte mir jetzt, dass sie die Briefe für ihren mann tippt, dass aber die Büroarbeit, das Abheften der Briefe, Buchführung und alles, was sonst damit zusammenhängt, ihr Mann allein machen müsse, da sie ja doch auch Hausfrau sei. Wie vielmehr kann ich das mit so vielen kleinen Kindern sagen, die doch die Mutter brauchen. Ich habe mich in den ersten jahren zu wenig um meinen Haushalt gekümmert, weil meine Gedanken und meine Tätigkeit zu sehr im Büro lagen. Es ist aber falsch, dass die Gedanken einer Frau nur von Geschäftsdingen aufgerieben werden. In einem Hause, wo dann keine Kinder sind, schadet es ja nicht viel, denn es ist sonst nur noch etwas mechanische Arbeit da,, aber in solchem kinderreichen Hause muss das geschäft so eingeteilt werden, dass genug geistes- und Gemütskräfte gerade der Frau für ihre heranwachsenden kinder und den Mann bleiben. Lass Dir auch das mal durch den Kopf gehen. Es wäre eine Sünde gegen die Kinder, wenn ich wieder so intensiv mit allen Fasern und mit allem Pflichtsgefühl im Geschäft steckte.

Es wird zu dunkel zum Schreiben, trotzdem es erst kurz nach neun Uhr ist. Aber es ist ein verregneter Tag. Auch den Ofen haben wir wieder angesteckt. ...

Gute Nacht. Ich hoffe, dass morgen wieder ein Brief da ist, weil ich gestern und heute keinen bekommen habe. Du wirst jetzt wohl auf dem Rückweg in Dein Quartier sein.

Ich küsse Dich. Deine Lotti