Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 27. Mai 1941

den 27.Mai 41

Liebster Harald !

Ich überlege, was ich machen soll, mich auf den Balkon in die Sonne legen oder Dir einen Brief schreiben. Ich entschloss mich zu letzterem; weil ich sonnst vielleicht nicht wieder dazu komme. Nach dem Kaffee will ich mit Jürgen spazieren gehen. Ich muss mir etwas vornehmen, denn ich habe die letzte Zeit zu nichts Lust und möchte am liebsten die Tage still liegend und nichtstuend verbringen. Ich glaube, es ist das Bewusstsein, dass ich Dich erst im Herbst wiedersehen werde. Weil es nicht möglich ist, dass Du wohl vorher kommst, habe ich zu garnichts Lust, was irgendwie nach Beschäftigung aussieht. Und abends gehe ich oft um neun ins Bett, damit blos wieder ein Tag rum ist.

Ich muss aber mit Gewalt gegen diese Stimmung angehen.und mir Beschäftigung suchen. Und dann fängt man am besten mit dem Primitivsten an, nämlich schruppen. Von da aus baut sich dann alles weiter. Ich habe mir übrigens schon selber viele Reden gehalten, daß ich egoistisch bin und dass eben im Krieg auf vieles verzichtet werden muss, aber vorläufig arbeite ich dann mechanisch los und die Gleichgültigkeit gegen alles ist doch noch da. Was gäbe ich drum, wenn ich nur ein einziges Mal mit Dir sprechen könnte. Was gäbe ich darum, wenn ich ein einziges Mal mit Dir sprechen könnte.

Heute kam Dein liebes Paket mit dem Stoff. Es beunruhigt mich nur der Gedanke, Pappi, dass der Stoff im Meter 20.- Mk. gekostet haben soll, oder wäre das ein anderer gewesen? Bitte, schreib mir das. Der Stoff ist sehr hübsch, aber da es Mattkrepp ist, würde er im Laden nicht mehr wie 3,50 bis 4.- Mk. kosten. Das Gefühl, Du könntest 20,- Mk. für den Meter gezahlt haben, lässt mich vorläufig noch nicht zur richtigen Freude kommen. Und dann, ich danke Dir für die Freude, die Du mir machen wolltest, aber soll ich ihn nicht lieber verkaufen, damit ich etwas mehr Geld hier habe? Ich habe mich diesen Sommer nämlich darauf eingerichtet, dass ich kein Kleid brauche. Ich mache ja nichts Besonderes mit, und für die paar Kränzchen genügen die alten Kleider.

Ach, Pappi, es liest sich sicher viel anders, als wie ich es meine. Ich kann aus meiner Stimmung heraus keine schönen Briefe schreiben. Ich bin Dir so dankbar für die Freude. Die Du mir machtest und möchte mich auf Deinen Schoss setzen und mich an Dich kuscheln. Und die tausend Bedenken kommen immer noch aus der rechenaufgabe, vor die ich am Monatsanfang gesetzt werde, nämlich Holbach auszugleichen und Kassel zu schicken und der Gedanke, dass ich mich nicht bewegen kann, macht mich so bedrückt. Nächsten monat wird es auch nicht besser, denn dann muss ich doch die Steuern in Elberfeld begleichen. Das sind dann aber immer solche Summen, dass ich ei dem beschränkten Familienunterhalt einfach in Rückstand kommen muss und wenn ich noch so sparsam bin, denn ein gewisses Niveau hat unser Haushalt auch wenn es sich nur um Essen und Gas und Wasser handelt.

Ich könnte Dich jetzt so gut gebrauchen, dass Du mir Mut zusprichst oder mir einen guten Rat gibst.

Nächste Woche habe ich nun Geburtstag, und ich weiß schon jetzt, dass ich dann ganz besonders die Trennung von Dir empfinde werde. Ich freue mich diesmal gar nicht auf den Tag. Du bist ja nicht da, und rein äusserlich warst Du es doch immer, der mir den Tag so schön machte. Ich muss dann desto mehr an die früheren denken und die in der Erinnerung zurückholen. Die zwei letzten hatten es ja schon etwas an sich (nicht durch deine Schuld) mit den verunglückten Geschenken. Vor zwei Jahren warst Du nicht da und ich habe mir durch meine bezw. Frau Eisenschneiders Dämlichkeit unwissend das Geschenk vermasselt und voriges Jahr ging das Hauptgeschenk, die Sommerreise, durch die Umstände in Rauch auf. Und dieses Jahr bist Du wieder nicht da und es ist keine Aussicht, wann Du kommst.

Du schreibst, dass bei Euch die Tulpen ganz schüchtern an zu blühen fangen. Ihr scheint ja wohl nicht weit von Narvik weg zu sein. Hier spricht kein Mensch mehr von Tulpen, so lange ist deren Blüte schon vorbei, nur ganz schüchtern sieht man hier und da noch einen Einzelgänger. Auch der Flieder ist über die Hauptblüte hinaus und es ist jetzt die Zeit zwischen den Blüten. Als nächstes kommen dann Wicken und Rosen.

Omi Hechtle hat den Kaffee gebracht. Ich hatte vor, dann mit Jürgen spazieren zu gehen, aber der ist drüben bei Lindes. Jetzt fängt der auch schon an, nachmittags andere Leute zu besuchen. Ursel hat heute drüben zu Mittag gegessen.

Und wenn ich jetzt auf meine oder vielmehr unsere Kinder zu sprechen komme, werde ich sofort viel fröhlicher. Ich muss überhaupt weniger egoistisch werden und mehr an andere denken. So, das war eine Standpauke für mich, gedacht für meine Krittellaune.

Auf Wiedersehen, oder vielmehr auf Wiederschreiben bis morgen. Meine Laune bessert sich und im radio künden sie ein Gewitter an.

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