Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 28. Mai 1941

den 28.5.41

Liebster Harald,

Deine Briefe werden sehr spärlich, aber sie kommen wenigstens. Ich hätte gestern abend, wie ich Dir versprochen hatte, einen langen Brief an Dich angefangen. Aber Du kennst mich ja. Wenn ich von einer Sache erfüllt bin, komme ich immer wieder auf dasselbe Thema zurück und der gestrige Brief war dann ein langes Erzählen über meine finanziellen Nöte und wie Du es Dir denkst, wie ich es machen soll, falls von irgendeiner seite eine grössere Summe gezahlt werden soll. Ich habe den Brief zerrissen, aber Du bist so lieb, Pappi, und gibst mir einen guten Rat. Denn das Bewußtsein, Dich im gegebenen Moment nicht erreichbar zu haben, ist scheußlich. Vom Familienunterhalt jetzt z.B. Holbach auszugleichen und dabei Kassel ist scheußlich, und es ist nur zu machen, indem ich mit persönlichen Sachen in Rückstand komme. Da ja nun Du das Karnickel bist, das mir diese Freuden hinterlassen hat, musst Du mir, wenn Du mir nicht helfen kannst, wenigstens einen guten Rat geben.

So Ideen wie eine Kölner Reise muss ich ja sowieso jetzt aufgeben. Ich versuche überhaupt, möglichst zu sparen, und außer einem Kinobesuch leiste ich mir nichts, keinen Ausflug mit den Kindern oder mit anderen. Vergangene Woche war ich mit Frau Wolframm auf der Cäcilienhöhe, aber da hat die mich und die Kinder eingeladen. Aber sonst führe ich ein ziemlich langweiliges Leben, jeden Sonntag und jeden schönen Sommertag sitze ich zu Hause oder gehe höchstens durch die Straßen, weil ich es einfach nicht wage, mit den Kindern eine Dampferfahrt oder einen Ausflug ins Gebirge zu machen. Wegen der Kosten. Und dann werde ich manchmal knurrig, weil ich immerzu nur Bären abbinden kann (=Lottis Ausdruck für Schuldenlasten tilgen). Also bitte, gib mir einen guten Rat, besonders jetzt, wo eine Postsperre droht. Vielleicht schicken sie Dich ganz weit weg, und ich kann mir hier nicht helfen.

Siehst Du, jetzt wollte ich davon nicht anfangen und habe deshalb den gestrigen Brief zer-rissen, und nun hast Du trotzdem eine lange Litanei von meinen Nöten gehört. Aber schließlich bist Du mein Mann, von dem ich ja immer meine, dass er letzten Endes hilft, und dann hast Du mir das Ganze ja auch eingebrockt.

Vorgestern nachmittag rief Herr Berns aus Düsseldorf an und bestellte Grüsse von Annemarie und Julius. Sie wollen wissen, wo Du steckst, weil sie nie wieder etwas von Dir gehört haben und wollen auf alle Fälle versuchen, mit Dir in Verbindung zu kommen. Ich habe ihnen Deine Feldpostnummer gegeben. Herr Berns meinte, Du könntest sie doch auch anrufen. Wäre nicht vielleicht dort eine Möglichkeit?

Gestern hatte Frau Schröder ihr Geburtstagskränzchen. Morgen hat Frau Koch Geburtstag, aber keinen Kaffee. Der kommt später.

Muss zu der neuen Adresse nicht in Klammer (St) zugesetzt

werden?

Ich hatte Frau Holtmann schon gesagt, dass sie auf die Schuhe noch warten muss. Frau Holtmann fährt andauernd nach Köln und dann lädt sie Frau Schubert, weil die kein Geld hat, zum Kaiserhof und Abendessen ein. Bei mir tut sie das nicht, weil sie ja nicht denkt, dass ich keins habe und wenn sie mich aufforderte, musste ich absagen, weil ich mir es nicht leisten konnte. Blöd.

Wie geht es Dir sonst? Jetzt merken wir Beide unser Herz. Ich rege mich nämlich immer zu schnell auf und dann tut es weh.

Ich muss jetzt schließen, denn ich muss in die Stadt und aufs Amt. Irgendwann am heutigen Tag werde ich wohl noch Zeit finden, Dir einen ruhigeren Brief zu schreiben, aber jetzt geht es nicht. 110000000 Küsse, Deine Lotti.