Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 30. Mai 1941

30.Mai 1941

Liebster Harald,

Über Deinen Brief heute morgen habe ich mich richtig gefreut, in der Hauptsache, dass der Arzt festgestellt hat, dass Du kerngesund bist, Pappi. Nr. 2 der angegebenen Ursachen zeugt ja immerhin von deiner Jugend, und darüber freut man sich ja auch. Der ganze Ton Deines Briefs klingt viel fröhlicher und optimistischer. Und was Du da an politischen Aussichten schreibst, ist ja auch sehr hoffnungsvoll. Der Führer, Du hast recht, macht eine wahrhaft dynamische Politik. Und das wird immer wieder vergessen, und wenn die Konstellation für den Augenblick nicht 100% günstig aussieht, dann unkt alles, und hinterher nimmt man wieder die großen Erfolge beinahe als selbstverständlich hin. Weißt Du, wenn man so Typen wie Frau Wolframm hört, denen so richtig Spaß macht, alles schwarz in schwarz zu sehen, nur weil sie im Augenblick keinen Spargel bekommt, dann kann man zu viel kriegen.

Ich will nun gleich auch zu Schreiber, der mich ja eigentlich schon für vorige Woche bestellt hatte. Ich hatte aber vorige Woche zu nichts Lust. Und von dem lasse ich mir gleich etwas für das Herz verschreiben, dann brauche ich nicht zu Schampel. Meine Herzunruhen sind in der Hauptsache seelischer Natur, das merke ich immer wieder. Ich balge mich dann Tag und Nacht mit so einer Sorge rum und merke deutlich, wie solche Schrecken und Gedanken (und die habe ich ja jahrelang mehr als genug gehabt) das Blut zum Herzen schießen lassen, dass es wie ein elektrischer Schlag ist, und das, wenn es so reichlich oft gekommen ist, muss ja mit der Zeit aufs Herz wirken. Da ist nämlich der richtige Grund, und den konnte ich ja keinem Arzt erzählen. Bloß Dir, und Du stellst es ja jetzt ab, und dann bin ich auch ganz gesund.

Der Brief von Theo hat mich sehr interessiert. Er fängt ein ganz neues Leben an. Wäre es nicht möglich, durch ihn später eine Stelle zu bekommen? In solch großem Verwaltungsapparat, wie er im Osten aufgezogen wird, müsste das ja wohl möglich sein, und ihm werden Deine Gründe (grössere Verdienstmöglichkeit schon allein durch die geringeren Steuern und festes Einkommen, um den Schwankungen mit Deiner grossen Familie nicht ausgesetzt zu sein und meine Entlastung vom Neuaufbau des Büros nach dem Kriege) auch einleuchten. Und als Frontkämpfer wirst Du ja sowieso berücksichtigt. Nach dem Kriege werden dort ja auch Wohnungen gebaut, und eine Etage, wie Schultzens sie in Beuthen hatten, könnte auch von einer Familie mit fünf Kindern bewohnt werden. Unter Schultzens wohnte eine Familie mit vieren. Die beiden Wohnzimmer waren ja so groß wie unsre beiden zusammen. In Theas Schlafzimmer gingen die Betten bis genau zur Mitte des Zimmers und ich Jochens Zimmer hätte man bequem 4 Kinderbetten unterbringen können.. Dann war noch Attas Zimmer da, das eigentlich ja kein Mädchenzimmer ist, denn oben gehörte noch eine Mansarde zur Wohnung. Das Bad war gekachelt, der Balkon war sehr groß, und der Blick ging über Gärten in Heide und Wälder. Nur die Stadt und die sonstige Umgebung ist sehr wenig schön. Aber wir hätten das Talent, wenn eine Wohnung bloß schöne Räume hat, unser

Leben doch sehr schön zu gestalten. Mit Dir zusammen bekäme ich nirgends Heimweh, weil ich ja alles bei mir habe, was ich, wenn ich es richtig schön finden soll, brauche: Dich und die Kinder. Die bekannten Familien schließen sich dort im Osten viel mehr aneinander wie im Westen, Filme sieht man hier wie dort dieselben, Wald sieht hier wie dort egal aus, wenn man drin ist, und der gute und gesicherte Verdienst gibt einem die Möglichkeit, ein paarmal im Jahr nach Breslau oder Berlin zu fahren und sich alles da zur Verschönerung der Wohnung oder der Kleidung zu kaufen, was einem gefällt. Und dass Du in mir eine Frau hast, die nicht viel jammert, wenn nicht alles so ist, wie es sein sollte, die nicht zankt, wenn Widrigkeiten kommen, sondern die im Gegenteil solche Sachen nach einem Moment der Enttäuschung, ohne böse zu sein und ohne Vorwürfe gegen Dich und das Schicksal mit tragen hilft, das weißt Du ja. Ich hätte also in keiner Weise Angst vor dem Osten.

Und schön muss die Aufbauarbeit für einen Mann dort sein, sonst würden Theos Briefe nicht so froh klingen trotzdem er so weit von seinem geliebten Godesberg und Frau und Kind fort ist. Denk doch bloß mal, wie er gejammert hat, als er von Godesberg mit der Familie nach Duisburg zog. Und nach dieser Versetzung ist er wie ein neuer Mensch. Auch bei Schultzens war ja diejenige, die immer unlustig war und immer brummte, Thea. Hans fühlte sich in seiner Arbeit dort sehr glücklich und säße höchstwahrscheinlich, wenn Thea nicht ununterbrochen gebohrt hätte, heute noch da.

Ich weiß, wie oft Hans, den ja auch die wenig schöne Stadt und die Gegend nicht gerade begeisterte, zu Thea sagte: Du bist undankbar. Denke an den schönen Verdienst, sieh unsre schöne Wohnung an, sieh meine Arbeit, die ich gerne tue, denke an unseren schönen große Bekanntenkreis. Die Verkrampfung, die Thea ja irgendwie seelisch hat, hat sie ja heute noch, und die würde ja wohl auch nicht gelöst, wenn sie im Paradiese wohnte.

Gleich muss ich zu Schreiber. Also muss der Brief zu Ende gehen.

Gesler mjss am Freitag den 6. Weg, „zu Willi Schumanns Verein“ wie er sagt. Zuerst wird er mal ausgebildet wie jeder Andere und meint, er wird dann wohl 1972 an einem dicken Stock nach Hause kommen. Frau Goslich stehen vor diesen letzten acht Tagen die Haare zu Berg.

Ich habe den Stopfapparat nicht geschickt, weil wir meinen, Du sollest die Strümpfe uns zum stopfen schicken. Dann geht das, wo Du doch jetzt mehrere hast, immer hin und her. Das kann doch immer im selben Päckchen gemacht werden.

Das Cafe Bauer in Köln ist auch hin. Das habe ich von drei Seiten gehört. Also: Kuss, Kuss, Kuss. Deine Lotti.

Du siehst, wie dein Brief mir Lebensmut gemacht hat. Ich bin viel froher. Jetzt gib mir den gewünschten Rat, und ich bin sehr froh.