Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 6. Juni 1941

den 6.6.41

Liebster Pappi!

Jetzt ist der Geburtstag beinahe vorüber. Ich sitze hier im Wohnzimmer und habe bis eben in einem Leihbuch gelesen. Die Omis packen oder tun sonst etwas. Und Du bekommst Deinen Brief.

Die Hauptsache am heutigen Geburtstag war Dein lieber Brief mit den wunderschönen Aufnahmen. Ich möchte mich an Dich kuscheln. Und dann kam in Deinem Auftrag ein Strauß Pfingstrosen von Beitin. Vielen, vielen Dank. Es waren zum ersten Mal keine weißen, weil die noch nicht aufgeblüht waren. Und es ist ja auch sowieso schäbig mit Blumen bestellt dieses Jahr. Von den beiden Omis habe ich einen Philodendron bekommen, und damit war mein Geburtstagstisch voll. Äußerlich gesehen also ein richtiger Kriegsgeburtstag. Das heißt, der Stoff liegt auch drauf, denn jetzt, wo ich weiß, dass er nicht im Meter so teuer war, ich hatte das in Deinem Brief so verstanden, bin ich beruhigt und freue mich, dass ich ihn habe.

Um elf kamen die alten Kränzchendamen zum Gratulieren und anschließend Herr Schüler mit einem großen Maiglöckchenstrauß. Das Mittagessen war einfach, Speck und Fassbohnen, und am Nachmittag kam Ilse Düren. Das war sehr nett.

Es dämmert, und Herr Schüler, der sich zu mir gesetzt hat, stört mich. Ich bin ihm so etwas wie eine Beraterin in seinen Lebensnöten geworden. Alles, was er sich zurechtphilosophiert, meint er, müsse er mit mir durchsprechen, und er legt viel Wert auf meine Ansichten. Da siehst Du, Pappi, wie man schon zu einer würdigen Person heranwächst, die jungen Männern gute Lehren gibt. Er ist nämlich erst dreißig. Übermorgen muss er nun endgültig weg. Das passt ihm nun gar nicht, schon rein aus Bequemlichkeitsgründen, denn heute musste er in Bonn das Stroh für seine künftige Lagerstatt einladen, und das ist doch was anderes wie das schöne Bett oben.

Und Omi Hechtle fährt morgen früh, und Dr. Gesler liegt nun auch schon auf Stroh im Dreikaisersaal.

Mit Deinem Brief heute kam ein Eilbrief von Pützens, die sehr begeistert über Dein Kommen schrieben. Es muss ja wunderschön gewesen sein, denn Pützens schrieben, dass sie lange nicht einen so unbeschwerten und entzückenden Abend verlebt hatten. Und dass sie Dich besuchen wollen, ist reizend.

Ich habe mich in das Biedermeierzimmer zurückgezogen, weil die Omis gekommen sind und der Nachrichtendienst abgehört wird. Dann stört sie das Klappern der Schreibmaschine.

Und Du wirst jetzt wohl auf Deinem so sehr weichen Lager liegen. Wir fangen gleich an, schüchtern zu feiern, weil ich durch Anneliese beim Schuldiener Stein Bier holen ließ. - Pappi, Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dass ich vorgestern diesen wunderschönen Abend hatte. Ich war so befreit und glücklich, wie ich es lange nicht mehr kannte. Der Abend klingt noch lange in mir nach. Ich habe richtig gemerkt, dass ich eigentlich doch jung bin.

Du schriebst, ich solle das Rad aufpumpen. Ich glaube, das wird nicht mehr lange nötig sein, denn Ilse sagte mir heute, dass die Fahrräder abgeliefert werden müssen, und kaum war ihr „das Wort entfahren“, klingelte es, und ein Zettel wurde reingereicht, auf dem ich alles, was ein Fahrrad im Hause betrifft, schön aufschreiben musste und auch, wozu es benötigt würde.

Lollo hat einen kleinen Jungen, Peter, bekommen. Ich habe ihr durch Fleurop Blumen schicken lassen.

Und jetzt schnell eine geschäftliche Frage: Die Wasserrechnungen im Hause Quellenstrasse betrugen früher ungefähr 11.- Mk.. Die vorige war 33.- Mk. die heutige 43.- Mk. Was mache ich da? Ich habe Brüning angerufen, der behauptet, dass seine Firma dort kein Wasser braucht. Gegen wen gehe ich vor und wer mag das Wasser wohl brauchen? Übrigens werde ich von jetzt ab geschäftliche Fragen auf einem Extrabogen schreiben, die du dann auf demselben Bogen beantworten kannst. Dann rutschen sie uns nicht in die Privatbriefe rein.

Ich habe Sehnsucht nach Dir und muss feststellen, dass ein Geburtstag ohne Dich nix Richtiges ist. Wenigstens, was das Verwöhnen betrifft, und das kannst Du sehr gut. Omis und Kinder sind darin nicht das Richtige, und darin bin ich selber noch ein großes Kind. Desto mehr freue ich mich auf die Zeit, wenn Du wieder da bist.

Und jetzt wird Bier getrunken. Der Sekt im Keller bleibt eifersüchtig bis zu Deiner Rückkehr verwahrt. Und dass Du mir die Sorgen abnehmen willst, ist herrlich. Das ist ein Gedanke zum Einschlafen.

Nun ist es fast halb 12 Uhr, das Bier ist getrunken, und Herr Schüler hat sich ins Bett verzogen. Er wird ja demnächst irgendwo im Südosten kämpfen. Ich habe ihm gesagt, dass wir seinen Siegeszug auf der Karte verfolgen werden als Gruppe Schüler. Denn sein General ist vorläufig noch ein unbeschriebenes Blatt, was Berühmtheit betrifft.

Omi Endemann lässt Dich grüßen. Sie sitzt mir gegenüber. Und ich lege Dir ein Formular bei, das Du ausfüllen musst.

Ich mag den Brief eigentlich nicht aufhören, weil ich nicht von Dir fortwill. Aber es muss ja sein. Deine Lotti