Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 16. Juni 1941

den 16.6.41

Mein lieber Harald,

Aus dem gestrigen Brief ist nicht viel geworden, und wenn ich mir nun nicht die Zeit nehme, wird wieder nichts draus.

Weil wir nun wieder jede Nacht Alarm haben, fangen wir an, etwas verkatert am Tag zu sein. Gestern Nacht war es auch wieder sehr unangenehm. Es sind Bomben im ganzen Umkreis gefallen, in Niederbachem und Oberkassel und sogar an der Wundertanne. Herr Hoffmann meinte, dann könnten sie auch direkt in den Rhein schmeißen. Die Kinder fanden den Alarm natürlich wieder wunderbar. Jürgen beteiligt sich jetzt an der allgemeinen Hochstimmung, und die arme Omi Endemann tut mir herzlich leid, aber ich kann die vergnügten Rangen nicht bändigen. Die armen Kölner werden ja übel mitgenommen.

Beppo Gesler hat Heimweh und schreibt auf einer Karte, dass bei ihnen bei jeder Gelegenheit : „Ich möt zu Foß nach Kölle jonn" ertönt. So langsam verschwindet hier auch alles andere. Die Gemüsegeschäfte Heck, Stommel und Senff haben zugemacht. Nun konzentriert sich alles auf Kilian und Jülich, und man läuft oft umsonst, ehe man was bekommt.

Also, das kleine Heft "Geschenk eines Sommers" hat Dir gefallen? Ich fand es auch sehr nett.

Wir haben hier ein blödes Wetter. Den ganzen Tag regnet es was das Zeug hält und abends klärt sich das Wetter auf, damit der Tommy nur ja kommen kann. Und wir frieren. Dieser Sommer reiht sich würdig dem vorigen an.

Gestern Nachmittag (Sonntag) war ich bei Wolframms zum Tischtennisspiel. Ich fand es sehr schön und habe mich schnell eingespielt. Es waren noch mehrere Leute da. Es war ein sehr hübscher Sonntagnachmittag. Ich konnte gut weg, weil Klaus und Ursel mit Frau Linde in Bonn waren, Helga und Heidi in einer Kinderfeier von der Kirche aus, und den Jürgen hatte ich versorgt und in sein Bettchen gesetzt. Dann bin ich von halb fünf bis viertel nach sechs dorthin gegangen. Ich kam sehr vergnügt nach Hause, aber Omi Endemann empfing mich in lauter Vorwurf gehüllt, und dann kam noch die dämliche Wolf mit den Worten: "Natürlich, wenn die junge Frau Tisch-tennis spielt, muss sich eben die arme Oma mit den Kindern plagen. Da ist es ja nur gut, dass ich sie heute besucht habe." Da wurde ich aber fuchsteufelswild. Erstens konnte die Wolf nicht wissen, dass ich Tischtennis gespielt habe, wenn es ihr nicht jemand gesagt hat, und zweitens habe ich ihr sehr deutlich gesagt, dass ich die Kinder erst versorgt hatte, Klaus und Ursel waren überhaupt noch nicht zurück, und die zwei Großen konnten auch allein spielen, als sie zurückkamen. Ich weiß nicht, was ich gesagt habe, denn ich werde die letzte Zeit, weil ich so viel runterschlucke, furchtbar jähzornig, und dann habe ich sie stehenlassen. Der Mutter habe ich dann allerdings in ruhigem Ton gesagt, dass ich mir endgültig Fräulein Wolfs Bemerkungen verbitte, worauf Mutter erklärte, dass Fräulein Wolf ein sehr aufrechter Mansch sei und dass ich ihr nicht Entgegenzutreten hätte, wenn sie sich solche Sätze erlaube, denn dadurch würde ich sie böse machen. Außerdem verbäte sie sich meine hochnäsige Art, wenn ich

sagte: 'Dieses Fräulein Wolf.' Und die Bemerkung der Wolf dazu: 'Woher sollen Sie auch etwas vom Haushalt verstehen', fand sie ganz in der Ordnung.

Ach, Pappi, lass mich etwas schimpfen. Ich lebe vollkommen widerspruchslos im Haushalt, aber ich fresse so viel in mich hinein. Die Mutter hat auf ihren Willen das Kochen übernommen, und es wird ihr nach diesen acht Tagen, wie vorauszusehen, schon zu viel. Dadurch schleppt sie eine ununterbrochene Gewitterstimmung mit sich herum, der wir uns alle fügen. Mein leises Antippen, ich könnte das Kochen übernehmen, lehnt sie rundweg ab (wahrscheinlich aus Angst, es könnte nicht schmecken). Bringe ich heute das Fett, was wir für die Woche zugeteilt bekommen, macht sie eine Scene in der Küche, als ob ich ihr zum Tort weniger Fett als sonst geholt habe, und behauptet, mit 50 Gr. Öl und einem halben Pfund Margarine könne sie nicht kochen. Ich kann doch auch nichts dafür. Die Mu hatte ein besonderes Talent, mit dem Fett eine ganze Woche auszukommen und trotz-dem abwechslungsreiches Essen zusammenzustellen. Sich aber noch von Fräulein Wolf Bemerkungen gefallen lassen zu müssen, dass die arme Mutter für uns alle kochen muss, wie sie es vor ein paar Tagen gemacht hat, und die doch nur daraus stammen kann, dass die Mutter geklagt hat, erbost mich ungeheuer.

Pappi, lass es Dir nicht zu Herzen gehen, aber ich muss es etwas loswerden, sonst platze ich. Ich habe versucht, mich in allem zu fügen, um keinen Krach zu haben und das ging dann auch einige Tage sehr gut, aber die Gewitterstimmung die bei der Mutter einreisst, einfach weil sie es nicht schafft, zu ertragen und die alles imm Hause, besonders vor einem Fest irgendwelcher Art, einfach durchtränkt, ist nicht leicht.

Weisst Du, ich glaube, ich kann durch Deinen Einfluss, wenn Du erst mal wieder da bist, fröhlicher werden. Ich werde so resigniert, weil ich ja doch mein Wesen in meinen Haushalt nicht durchsetze kann und dann macht es mmir garkeinen Spass mehr. Auch die Erziehung der Kinder ist nicht so einfach. Z.B. Klaus soll nicht mit Büb Strenger spielen, weil der so ungezogen sei. Weil der aber nun der einzige in seinem Alter in der Straße ist, geht er immer wieder hin. Ich finde den Büb ja nicht begeisternd, aber direkt verbieten kann ich es auch nicht. Nun wird von oben verfügt, wenn Klaus noch einmal mit Büb spielt, bekommt er kein Mittagessen. Das ist nach meiner Ansicht falsch, denn so schwer ist das Vergehen nicht. Aber der arme Kerl ist deshalb ein paarmal um sein Essen gekommen, und er lässt es doch nicht. Solange Büb auf dieser Straße spielt und Klaus auch, ist das Durchführen des Verbotes gar nicht möglich, und die Willkürlichkeit, mal bekommt er kein Essen, dann lässt man ihn wieder ein paar Tage mit spielen, dann bekommt er deswegen wieder keins, halte ich für völlig falsch. Aber wenn ich das Verbot aufhebe, dann sitzt das Kind wieder zwischen zwei Erziehungsprinzipien. Vor ein paar Tagen hörte ich die Oma auf der Treppe: Wartet, von jetzt ab erziehe i c h Euch. Und solche Sachen teiben einem die Galle ins Blut.

Jetzt habe ich genug geschimpft, aber lass mir das. Ich muss es loswerden. Meinst Du, ich könnte wirklich nochmal ganz unbeschwert mich meines Lebens freuen? Meinst Du, ic könnte die Resignation nochmal verlieren? Ich glaube an die Voraussage.

Ich habe mich jetzt zur Abwechslung ins Biedermeierzimmer gesetzt und lasse die Harmonie dieses Raumes auf mich wirken. Es ist nun halb neun. Die Abendsonne liegt auf der Wand über dem Sofa und auf dem alten Bild, das jetzt

dort hängt. Auf dem Tisch steht eine Schale mit lila und gelben Stiefmütterchen, und ich freue mich an dem Durchblick ins andere Zimmer. Im Radio ist Tanzmusik.

Bei den Stiefmütterchen fiel mir unsere Rabatte ein. Können wir die nicht mit perennierenden Pflanzen besetzen? Oder diese gelben und weißen Polster Steinpflanzen dazwischen? Ich habe in diesem Frühjahr 20.- Mk. für die Rabattte gegeben du möchte nicht schon wieder dasselbe Geld dafür ausgeben.. Und das Vergnügen wäre dann im Frühjahr wieder da. Was rätst Du?

Was könnten wir in unserer wohnung noch gebraucen, um sie zu verschönern? Vielleicht fällt Dir etwas ein. Es wäre doch immerhin möglich, wenn Du auch weit weg bist.. ich bekomme nämlich noch vom alten Kränzchen 18.- Md. Zum geburtstag, wofür ich mir etwas kaufen kann.. Blos bekommt das das meiste nicht mehr.

Ist die Urlaubssperre aufgehoben? Der eine Soldat, mit dem Anneliese sich schreibt, ist gestern auf Urlaub gekommen, oder sie hat mich angekohlt. Er liegt in Königsberg.

Die Mu schreibt begeistert aus Füssen. Sie hat auch schon Ausflüge nach Tirol gemacht und schickt sehr schöne Karten von da.

am anderen Tag, abends.

Du bekommst den Brief wieder nicht, wenn ich mich nicht dranmache. Heute habe ich im Akkord Kuchen gebacken für den Alte-Damen-Kränzchenkaffee, der morgen steigt. Zwei Tortenböden für Aprikose, ein Rodonkuchen und eine Schokoladentorte.

Morgen abend wird wieder auf der Rheinallee an der Ecke Kronprinzenstraße wie an allen anderen Ecken die Bekämpfung einer Brandbombe vorgeführt. Diese Nacht waren sie natürlich wieder da. Für einige Wochen werden sie, wie im vorigen Jahr, jede Nacht kommen, denn das übrige Deutschland ist bei den kurzen Nächten zu weit. Mercedes Jung erzählte, die Tommies hätten diese Nacht Flugblätter abgeworfen, sie besuchten jetzt auch bald mal das schöne Godesberg. Glaubst Du das? Flugblätter schmeißen sie ja jedes Mal ab mit Verschen drauf. - Ich bin aufgestanden, aber habe die Kinder nicht geweckt, weil nur Leuchtschirme abgeworfen wurden.

Helga turnt im Nachthemd rum. Sie will jetzt Häkeln lernen, und dann pflanzen die Rangen jeden Tag irgendein neues Unkraut auf "ihr Beet" unter den Kirschen. Zwei Tage danach wird es wieder ausgerupft und einige Zentimeter weiter eingepflanzt.

Da ich jetzt mit meinen Gedanken bei der Schokoladentorte bin, damit sie mir nur ja nicht anbrennt und es ausserdem viertel vor sieben ist und Helga will, dassich noch an die Kinderbettchen kommr, muss ich jetzt Schluss mit dem Brief machen.

Ich bin auch wieder gutgelaunt und freue mich des Daseins.

Viele Küsse. Deine Lotti