Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 24. Juni 1941

den 24.6.41

Mein lieber Mann, vielleicht irgendwo, wo ich es nicht ahne. Ich muss jetzt wieder eine paar Tage so eine Art Tagebuchblätter schreiben, bis die Postsperre von uns zu Euch aufgehoben ist.

Nun ist es Abend geworden nach einem glühendheißen Tag, der zum Schluss schwül wurde sodass wir wohl ein Gewitter bekommen. Unsere Zimmer waren schön kühl geblieben, weil wir früh abdunkelten. Es war heute mittag wunderschön nach Tisch im Zimmer. Die Sonne kam nur in Streifen durch die Jalousien, und auf dem Tisch im Biedermeierzimmer steht ein Strauß tiefdunkelroter Rosen von Dürholts Gnaden, der herrlich duftet. Nun sind alle Fenster aufgemacht, und die Menschheit um uns regt sich. Vor Haus Unverzagt mähen sie den Rasen, man hört das Klappern der Maschine, und ich werde gleich auch im Garten die Blumen und die Sträucher gießen. Die Kinder lassen wir in diesen heißen Tagen nicht vor 10 Uhr schlafen gehen, und selbst dann können sie keine Ruhe finden. Dafür verschlafen sie dann den Alarm, trotzdem ich bei der Hitze die Fenster auflasse. Bei Bonn haben sie gestern auch wieder Bomben geworfen, ich war aber diesmal so müde, dass es mich nicht störte.

Heute abend fahren die Pädaschüler nach Weimar. Und morgen fangen die Herbstferien an. Helga hat ihr erstes Zeugnis nach Hause gebracht: Haltung gut. Lesen sehr gut, Rechnen gut. Zeichnen gut. Sie ist sehr stolz darauf und bekommt auch etwas dafür.

Lindes gehen am ersten Juli für immer weg, nach München. Drüben wird feste aufgeräumt, gekramt und aussortiert, und wir sind die glücklichen Erben. Neben vielem Altem habe ich viel Brauchbares bekommen, z.B. zwei reizende Trachtenjäckchen, Wäsche, ein Stoß Waschlappen, fünf Pakete Persil, Ata, Imi, Hencko, einen Blumenstrauß für mein Jackenkleid, Kleider, Schuhe, wenn Helga mal erst zwölf ist, Badetaschen, Spielsachen, Bilderbücher, Hunde, ein Kaufladen, eine Badeanstalt , einen reizenden Hut für Helga. Ich revanchiere mich, indem ich die 3,60 Mk. Telefon, die Frau Linde vertelefoniert hat, nicht verrechne.

Im Übrigen muss ich vielleicht doch mal nach Köln, um allerlei für den Haushalt zu kaufen, Dinge, die man in Godesberg einfach nicht mehr bekommt und die ich dringend nötig habe. Sogar Nagellack gibt es nicht mehr. Das ist ja weniger Haushalt als für mich. Aber allerlei sonstige recht prosaische Dinge für Küche und Haushalt sind nötig. Und dann werde ich mir für das Kränzchengeld in Köln etwas kaufen. Was ich mir dafür wünschte, gab es in Godesberg alles nicht mehr. Langsam nimmt doch die Knappheit in den einfachsten Dingen zu. Z. B. kann man augenblicklich in Godesberg überhaupt keine Strümpfe

kaufen, schon längere Zeit nicht mehr. Und Klaus braucht eine Hose, die es natürlich auch nicht gibt. Und so ist noch allerlei.

Wie lange wird wohl die Postsperre dauern? Es ist für Dich wie für mich schrecklich.. Ich kann mir so garnicht vorstellen wo Du heute bist. Ich kann mir nur denken, dass Du oft an mich denkst und ich hoffe, dass der grösste Teil der Zeit bis zum neuen Urlaub wohl hinter uns liegt. Hoffentlich.

Die Mu schreibt begeistert von Füssen. Sie will mindestens noch zwei bis drei Wochen dort bleiben. Und dann reist wohl Omi Endemann. Sie will noch nicht richtig. Sie hat Angst, ich könne nicht richtig einmachen. Dass das Eingemachte vom vorigen Jahr tadellos war und ist, hält sie wohl mehr für einen Zufall. Das Gebiss hat sie jetzt auch und hat ein ganz anderes Gesicht bekommen. Helga kann sich noch nicht recht daran gewöhnen und fragt, wann denn Omi ihr altes Gesicht wiederhätte.

Und jetzt giesse ich im Garten die Sträucher.

den 25.Juni 41

Jetzt, nach Tisch, habe ich mich wieder ins verdunkelte Zimmer zurückgezogen. Die Türen zum Flur stehen auf, und Klaus und Ursel spielen Strandbad in der Badewanne. Ich habe ihnen Wasser reingelassen. Nun singen sie, meistens Lieder eigener Erfindung, z.B. das Lied vom quatschigen Pferd. Das ist ein Lied mit endlosen Strophen, von Klaus erfunden, der überhaupt gerne eigene Gesänge singt.

Heute morgen kam Dein Brief. Ich war sehr froh, weiß ich doch jetzt, dass Ihr noch dort seid. Und das Paket mit Kaffee, Heften und Briefen kam auch. Ich freue mich, dass Pützens an Deinem Geburtstag bei Dir sein werden, komme mir aber ausgeschlossen vor, dass ich an dem Tag so weit weg bin. Aber Julius und Annemarie sind für Dich doch auch ein sehr netter Ersatz. Ich kann mir denken, dass Ihr fabelhaft feiern werdet.

Nun muss ich mich um die Kinder kümmern. Anneliese hilft bei Lindes beim Hausputz machen.. Ich würde zu gern mal Erdbeerbrötchen nachmittags geben, aber vorläufig kosten die Erdbeeren noch 1,- Mk. das Pfund, und viel billiger werden sie dieses Jahr wohl nicht werden.

den 26.Juni 41

Puh, endlich ist Ruhe eingetreten, jetzt um neun Uhr. Mutter ist im Film, und Anneliese ist spazieren gegangen. Ich habe alle fünf geduscht und ins Bett gebracht, und ich kann Dir sagen, man ist dann erledigt. Ich habe mir in der letzten Zeit ein lockeres Handgelenk angewöhnt, sonst komme ich nicht durch. Ich rede jetzt nicht mehr lange in überredenden Tönen sondern gebe sofort ein paar hinten drauf. Darauf reagieren sie wohl am besten. Klaus nimmt es mit der Wahrheit nicht sehr genau, hat bei jeder Gelegenheit sofort eine ganze Geschichte zur Hand, die nicht stimmt, und ist ziemlich wurstig. Auf ihn einwirken wie z.B. bei Helga, die ja sehr korrekt ist, nutzt nicht viel,

er verkneift sich dann bloß das Lachen. Haue helfen auch nicht. Er brüllt und tut es das nächste Mal doch wieder. Sein Ehrgefühl ist nicht sehr stark ausgeprägt. Bei den Mädels, auch Ursel und Heidi, finde ich den richtigen Ton. Wie findet man den bei Jungens. Ich nehme ja die Streiche und Unarten der Kinder nicht tragisch und rege mich nach Mutters Meinung viel zu wenig auf, aber so eine Eigenschaft von Klaus bedrückt mich wirklich. Das nehme ich nun vielleicht wieder schwerer wie es nötig wäre. Lüge und Ungenauigkeit sind Charakterfehler, die sich,, wenn er gross ist, sehr schwer auswirken können, und darum möchte ich sie bei dem kleinen Kerl bekämpfen. Du kannst mir von der Psyche eines Jungen her da vielleicht raten, wie man es da richtig macht oder wobei man sich bei einem Jungen vergallopiert und vielleicht das Gegenteil erreicht. Auf jeden Fall muss gerade der Fehler weg.

Ich war heute nun wirklich in Köln und habe Helga, zur Belohnung für ihr gutes Zeugnis, mitgenommen. Alles das, was ich aufgeschrieben hatte und weswegen ich hingefahren bin, gab es nicht, z.B. die kleine Hose für Klaus. Ich bin dieser blöden Hose wegen und bei dieser ebenfalls blöden Hitze in beinahe jedem Geschäft in der Altstadt gewesen, das mir bekannt war, und in allen anderen unbekannten, an denen ich vorbeikam, ebenfalls, angefangen mit Biergans am Alten Markt über Kaufhof bis rauf zu Peters. Ich habe sie nicht bekommen, ebenso keinen Sommeranzug. Ich bin in die Souterrains und in die höchsten Etagen geschickt worden, und Helga zockelte immer treu hinter mir her. Ebenso ging es mit Nagellack. Rotweingläser, das Geschenk der Kränzchendamen, habe ich bekommen.

Wir haben im Stapelhaus zu Mittag gegessen. Helga fand es schön, war aber in keiner Weise besonders überwältigt, aß aber vorbildlich. Sie hantiert mit Messer und Gabel wie eine kleine Dame und legt zum Schluss die Bestecke zusammen, wie es sich gehört. Alles geschieht mit einer selbstverständlichen Grandezza. Auf der Reichardterrasse hat sie ein Stück Kuchen bekommen. Alles geschah ein bisschen in Erinnerung an Dich. Im Dom waren wir auch, und den Mann mit der roten Zunge am Rathaus haben wir auch besehen. Und dann imponierten ihr in den Kaufhäusern sehr die Rolltreppen.

Was die zertrümmerten Häuser in Köln angeht, so ist es natürlich so, dass, wie Du es auch kennst, im Großen und Ganzen wie nichts erscheint. Die Beschreibung von Edith Vogel war wieder mal dick aufgelegt. Es stimmt, dass in dem großen Haus vor dem Bahnhof alle Läden mit Brettern vernagelt sind, aber das Haus ist in keiner Weise so beschädigt, dass es nicht wieder hergerichtet werden kann. Am Bahnhof sah man auf dem Dach neue Bretter, und auf das Stapelhaus hatten sie auch ein neues Dach gedeckt und schippten aus dem ersten Stock Schutt. Und die Fenster auf der linken Domseite haben Loch an Loch. Es scheinen aber nicht die unersetzlichen alten zu sein, die schienen auf der anderen Seite gewesen zu sein, wo einfaches Glas eingesetzt worden ist. Café Bauer ist allerdings restlos hin. Auf jeden Fall muss man schon suchen, wenn man etwas finden will, und das angeblich völlig im Innern zerstörte Kaufhaus Peters ist natürlich vollkommen ganz. Ich bin von oben bis unten durchgelaufen.

Bei der heutigen post war ein Brief on der Firma Rau und M.

Sie bitten mich, darauf einzuwirken, dass die drei Mieter im Hause Viktoriastrasse 10 sich wieder vertragen (die Partei hat sich schon eingemischt) und sind mir für die Erfüllung dieser Aufgabe mit Dank verbunden. Von meiner neuerlichen dringenden Bitte, Wittersheimm kündigen zu dürfen, nehmen sie überhaupt keine Notiz. Lesen die Quatschköppe meine Briefe nicht oder ist es christliche Nächstenliebe mit Wittersheim, die sie so handeln lässt?

Ursel kam vorhin schnell nochmal in größter Empörung die Treppe runter! "Klaus hat bei mir altes Swein gesagt." Ich musste das Persönchen abküssen.

Ach Pappi, ich brauche Dich so sehr, und wozu? Als Ausgleich. Ich selber werde, so mir allein überlassen, zu ernst und beschwere mich zu sehr. Ich wünschte, ich hätte etwas von deiner Unbekümmertheit. Ich habe eigentlich immer einen Druck auf dem Herzen, ich täte was nicht richtig oder handelte nicht richtig und mache mir eigentlich immer Selbstvorwürfe. Als Kind hatte ich das ganz schlimm. Ich habe viel darunter gelitten, dass ich das und das und das nicht richtig machte, Es hat es aber nie jemand gewußt, weil ich das nie sagte. Ich denke nur manchmal, ob Helga sich auch mit sowas rumschlägt, denn sie hat für ihr Alter doch ein sehr ernstes Gesichtchen und es geht ihr wohl genau so wie mir in meiner Kindheit: Sie muss sich mit vielen Problemen runschagen, von denen die Erwachsenen nichts wissen. Und die drehten sich bei mir als Kind immer um das Gutwerden.

Sieh mal, und deshalb habe ich Dich nötig, denn Du kannst so schön beruhigen. Und jetzt hast Du noch zwei Frauen von der Sorte. Aber Helgas Seelchen nimmt in der Beziehung ja später einmal ein anderer Mann in seine Obhut.

Herr Schüler hat uns auch geschrieben. Der wird ja jetzt im Einsatz sein, denn der Freund von Anneliese, der auch bei dieser Truppe ist, hat einen Brief in den Normalbriefkasten gesteckt, und auf dem Poststempel stand eine Stadt oben in der Ecke Litauen, Masuren, Russland. Dann sind noch im Osten der Friseur Beckmann, der Buchhändler Linz, Strenger, der weiter nach Osten gekommen war, Willi Schumann und eine Menge andere.

 

den 28. Juni 41

Eben kommt der Pfändungsbeamte und will 338.- Mk. Gewerbesteuer aus dem vorigen jahr, die mir doch gestundet wurde, haben. Jetzt muss ich wieder aufs Amt. Nun sagt er mir, ich solle von mir aus monatlich einen Teil abbezahlen, denn ich könnte Dir nicht zumuten, wenn Du aus dem Feld kämst, die ganze Summe auf einen Schlag zu zahlen. Und niedergeschlagen wird sie nicht. Aber ich kann unmöglich noch eine monatliche Verpflichtung auf mich nehmen. Soll ich Dir den ganzen Kram überlassen bis Du kommst? Meinst Du, Du könntest mit all den Verpflichtungen fertig werden, wenn Du aus dem Feld kommst? Beides, Einkommen—und Gewerbesteuer, ist ja nur gestundet.