Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 1. Juli 1941

den 1. Juli 41

Mein lieber, lieber Harald!

Jetzt werde ich ja wohl bald Post von Dir bekommen, denn wenn Du auch am ersten Tag nachdem die Sperre aufgehoben wurde, geschrieben hast, müsste ich ja wohl morgen oder übermorgen Nachricht haben. Und wenn bei Euch nichts dazwischen gekommen ist, ist ja wohl Julius mitsamt seiner Annemarie bei Dir. Komisch eigentlich, dass jeder jetzt ein Leben ganz für sich hat.

Im Haus herrscht eine geradezu märchenhafte Ruhe. Die Großen spielen bei Schwingers, und die beiden Kleinen sind mit Anneliese zum Schuster gegangen. Heute morgen, als ich kochte (bitte! Aber Fräulein Wolf ist da und Mutter musste ihr helfen. Es gab Gulasch, und es war ein Leidensweg, denn die Mutter kam immer wieder die Treppe runter, weil sie Angst hatte, das gute Gulasch könne nicht richtig werden, und als ich zum Schluss Tomatenpüree drantat, war der Ofen überhaupt aus, hat Helga hat mir geholfen, und das war sehr niedlich. Sie hat die Grießsuppe geröstet, Petersilie gehackt usw. Heidi will ja überhaupt nur eine Hausfrau werden, wie sie sagt. Sie hat gestern gehört, dass sie, wenn die Ferien rum sind, in die Schule kommt, und das will sie absolut nicht, sie findet Schule albern. Bücher findet sie fies und lesen lernen quatschig. Also, die Grundeinstellung ist schon eine ganz andere wie bei Helga. Bei dem nächtlichen Alarm haben wir ihr dann vorgestellt, dass sie doch lernen müsse, aber sie sieht es nicht ein. Und als Hausfrau, meinte sie, sei das alles nicht notwendig. Wie ich ihr sagte, auch dann, hat sie anscheinend darüber nachgedacht, denn als wir längst wieder im Bett lagen (sie schläft jetzt acht Tage bei mir) fiel der Groschen, und im Dunklen kam: "Ach so, für Rezepte lesen muss man lernen.“ Das sah sie ein, und nun geht sie in die Schule.

Eben habe ich Kohlen bekommen. 20 Zt. Eierbriketts, 20 Zt. Anthrazit, 10 Zt. Briketts. Ich freue mich, dass ich sie im Keller habe, weniger, dass ich dafür 100,- Mk. bezahlen muss. Ich zahle diesen Monat 50,- Mk. und nächsten Monat dasselbe. Ich hatte eigentlich vor, die 180,- Mk. (Rückzahlung) an Wiel zu überweisen, aber ich kann das nicht. Ich hatte es mir so schön gedacht, wieder dort etwas runter zu sein. Ich hatte es mir auch, so schön gedacht, eine kleine Summe zu sparen, aber vorläufig will es mir nicht glücken. Nun kommen im nächsten Monat wieder 100,- Mk. für Kartoffeln. Auf einen sogenannten grünen Zweig komme ich also nicht. Wenn Du kommst, kannst Du an Hand meiner Wirtschaftsbücher alle Ausgaben genau kontrollieren, damit Du siehst, dass ich auch nichts verschwendet habe.

So, was Schöneres. Heute abend will ich wieder mit Frau Hillenbrand in den Film gehen. Die Wochenschau, die Bilder von Russland bringt, interessiert mich, und dann gibt es einen unterhaltenden Film mit Willi Fritsch: Das leichte Mädchen. Der Titel hat Fräulein Wolf einen Schock versetzt. Ich freue mich sehr auf heute abend. Wir verstehen

uns sehr gut, und zu Hause wurme ich mich ja doch nur. Grund: Stachelbeereneinmachen. Keimfreiheit ist die Hauptsache beim Einmachen, das weiß ich auch und handele danach. Gestern abend war ich glücklich so weit wie der Vesuv vor dem Ausbruch und hielt mich mit aller Macht zurück, eine Ladung Einmachgläser an die Wand zu knallen. Dieses tat ich nicht, sondern sagte nur: Ich habe doch bisher alles eingemacht, und das ist heute noch gut, worauf ich die erwartete Antwort bekam: Das hast Du auch nur dem Zufall zu verdanken. Könnte man da nicht platzen? Und nun regt Fräulein Wolf heute bei Tisch meine Gallentätigkeit an, indem sie über die "armen" Kinder spricht, die täglich auf die Straße „hinausgestoßen“ werden....“Und dann, wenn sie nach Hause kommen, werden sie dem Mädchen überantwortet, das mit ihnen so verfährt, wie es ihm passt.“ Man merke es den Kindern auch schon an der Sprache an, dass sie keine ordentliche Pflege haben. "Ja, wer Kinder hat, muss sich auch die Mühe geben, sie ordentlich zu versorgen.“ Pappi, lach', ich lache auch bloß. Und dabei tue ich den ganzen Tag nichts anderes, als mich um Haus, Kinder und Einholen zu bekümmern und kümmere mich um jedes Kinderseelchen und versuche, es in seiner Eigenart zu verstehen, damit ich nur ja nichts falsch mache. Und draußen jauchzen die "armen, hinausgestoßenen" Kinder mit Schwingers (und) mit den anderen um die Wette, haben vorhin mit dem Kohlenmann mit meiner Erlaubnis ein Stück die Dürenstraße hinauffahren dürfen und finden ihr Los überhaupt sehr erträglich.

Weil Du nicht da bist, sind schon die Kinder mein Ein und Alles. Immer bringe ich sie abends zu Bett, höchstens, wenn ich eingeladen bin nicht. Und immer, wenn ich nur kann, nehme ich eins oder zwei mit zu meinen Besorgungen. Auf diesen Wegen kann man ein Kind so gut kennenlernen. Das Essen kontrolliere ich und stelle es zusammen, damit sie jeden Tag nach Möglichkeit die richtige Zusammenstellung haben. Das mache ich sogar sehr streng, weil das gerade im Krieg sehr viel wichtiger ist wie früher, wo man alles haben konnte. Aber dass ich niemals eine 100%ige Hausfrau werde, die alles Genüge darin hat, sondern dass ich manchmal sehr unruhig werde und Angst habe, dass das Leben mir fortläuft, und sogar den Haushalt nicht als Erfüllung empfinde, sondern sozusagen als die Basis, die fest und gut sein muss, auf der aber alles andere, Schönheit und Leben und Erleben, erst Platz finden muss, dafür kann ich nichts. Es gibt ja viele Hausfrauen, die im Haushalt und den Kindern vollste Erfüllung finden, und vielleicht ist das das Richtige, ich weiß es nicht. Ich weiß nur von mir persönlich, dass das mir jedenfalls nicht vollste Befriedigung ist, ich könnte sonst nicht so unruhig sein. Der End-und Gipfelpunkt ist das Zusammensein und das Zusammenarbeiten mit Dir. Vielleicht ist das anders, wenn die Kinder größer sind. Das kann aber auch nicht sein, denn dann suchen die sich den Menschen, der zu ihnen gehört, und das alte Spiel fängt von neuem an.

Lass Dir schon mal gefallen, wenn ich in ein etwas verunglücktes Philosophieren gerate, aber ich muss mit Dir sprechen. Dafür gehe ich dann heute abend ins 'Leichte Mädchen'.

Heute nacht kamen zwei Bomben runter, es muss hinter Godesberg nach Mehlem zu gewesen sein, dass es nur so rappelte. Ich stand gerade am Fenster, und das Haus machte
einen richtigen Satz. Wir hören hier wohl mehr Bomben wie Ihr da oben.

Ursel kommt gerade. Sie hat einen Blick wie Blücher, so blau und energisch.

11111100000000000000000000 Küsse, Deine Lotti.