Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 19. August 1941

den 19.8.41

Mein liebster Mann!

Ich opfere Dir meinen Mittagsschlaf, denn sonst bekämst Du wahrscheinlich heute keinen Brief von mir. Den ganzen Morgen habe ich mich auf den Ämtern herumgetrieben ich hatte doch keine Ruhe, bis nicht wenigstens das Dringlichste erledigt war). die Verwaltungsabrechnungen sind auch ins Unreine gemacht. Ich habe dann zugleich Schuhe für Helga beantragt (die von Dir aus Holland passen ihr schon nicht mehr) und bin dann mal kurz entschlossen zum Kriminalrat Kessel rein und habe mich ein bisschen über Anneliese und ihre Familie erkundigt. Da ist mir denn doch blau und grün vor den Augen geworden. Kessel war sehr nett, aber riet mir, der Anneliese ruhig zu zeigen, aus welcher Familie sie sei und darin keine falsche Scham zu haben, das mache ihr nämlich gar nichts, und ich behielte die Oberhand. Anneliese ist nämlich in Großen und Ganzen dieselbe, aber sie hat mir zu viele Freunde, fing an zu naschen und hat merkwürdig viel Geld. Anneliese erzählte mir ja immer, dass Kessel ein guter Bekannter ihrer Mutter sei, und das sagte ich ihm auch. Da fing er mächtig an zu lachen: Ja, er verkehre schon zwanzig Jahre in der Familie. Manchmal zwei- bis dreimal die Woche käme er dahin, aber nur in seiner Eigenschaft als Kriminalbeamter. Die Mutter sei vollkommen asozial, war schon im Gefängnis, in Sicherungsverwahrsam, in der Fürsorge, in Krankenhäusern usw.

Pappi, und das habe ich im Haus. Ich habe mir daraufhin die Anneliese vorgebunden und habe aber wirklich von der Leber frei weg geredet. Das knickt sie gar nicht. Ich habe ihr (von mir aus, das hat Kessel nicht gesagt) mitgeteilt, dass ich mit Kessel vereinbart hätte, dass, wenn sie nicht bei mir parierte, ich mich sofort mit ihm in Verbindung setzen würde und sie dann von dort aus untergebracht würde. Da könne sie sich nach richten. Weißt Du, es fehlt so allerhand, und ich kann ihr nichts beweisen. Eine Flasche Sekt im Keller ist weg, mein Portemonnaie aus der Schublade hat sie sich angeeignet, die Kleiderkarten von Helga und Heidi fehlen. Der Mu fehlen fast vierzig Mark von dem Geld, das sie für mich verwaltete (sie hat es mir aber von der Miete ersetzt).

Nun habe ich mich sofort auf dem Arbeitsamt nach einer Neuen erkundigt, aber daran ist nicht zu denken. Alles rät mir, Anneliese vorläufig zu behalten und die Augen offen zu halten. Kessel sagte mir, sie hätten auf der Polizei schon gedacht, sie hätte sich unter meinem Einfluss gebessert, und waren beruhigt, dass sie in meiner Familie untergekommen sei, aber nun scheine sie ja wieder zurückzufallen. Und sowas habe ich im Haus! Hätte ich doch meine Änne noch!!!

Das wären so die Freuden neben den Alarmen. Wir bekommen hier in den nächsten Tagen Betten und Strohsäcke vom Amt gestellt. Allerdings nicht genug. Die Alarme werden ja auch

länger. Heute nacht war erst um halb fünf Entwarnung. Und die Kinder werden so nervös von den ewigen nächtlichen Ruhestörungen.

Aber deswegen brauchst Du nicht zu denken, dass ich nicht vergnügt bin. Ich habe jetzt zu allem Mut, der mir vorher fehlte.

Ich habe mittlerweile einfach mit Blatzheim persönlich gesprochen. Er überweist jetzt aber. Er wollte anfänglich mit wenns und abers kommen, weil wegen des Todesfalls noch überhaupt ein Mietvertrag nicht mehr gültig wäre und er nicht wüsste, wenn er jetzt auch nicht gekündigt hätte, ob er nicht doch im Laufe des nächsten Jahres schon ausziehen würde und dergleichen. Aber zuletzt musste er doch zugeben, dass die Provision am 1. August endgültig fällig geworden sei und hat mir für heute die Überweisung versprochen.

Heute abend gehe ich mit Frau Hillenbrand in den Friedemann-Bach-Film mit Gustav Gründgens in der Hauptrolle. Morgen abend bin ich bei Frau Gesler. Die kutschiert immer noch nach Düsseldorf, wo ihr

den 20.8.

Liebster Mann,

der Brief liegt nun zwei Tage und muss endlich weg. Ich möchte Dir gern einen anderen, schönen, zärtlichen und ganz persönlichen Brief schreiben, aber es bleibt mir einfach keine Zeit, mich zu konzentrieren. Ich rase und hetze bloß. Weil wir nun alles abgeschlossen haben, ist natürlich bedeutend mehr Treppenlauferei im Haus, denn wegen jedem Stückchen Seife, wegen jedem Hemdchen für die Kinder, jedem Wäschestück und Handtuch, Papier oder was es sonst ist, muss gerannt werden. Und wenn man dazu rechnet, dass man selber auf der zweiten Etage ist, und die Schlüssel sind im Parterre oder umgekehrt, kannst Du Dir denken, was ich mir zusammenlaufe.

Mit Anneliese rede ich jetzt so, wie Kessel es mir geraten hat. Es stört sie nicht viel, aber es scheint langsam so zu werden, wie er gesagt hatte: Diese Sorte Menschen sind eine Zeitlang fabelhaft im Arbeiten, bis sie rückfällig werden, und dann seien sie so haltlos, dass sie es treiben, bis sie wieder gefasst werden. So scheint es jetzt auch hier zu sein. Dabei werden ihre Allüren immer vornehmer. Im Kino sitzt sie Loge, in den Lokalen hält sie ihre Freunde aus, sie geht zum Friseur, sie kauft sich Sachen, und all das, nachdem sie die Mu um Vorschuss gebeten hatte, weil ihr Gehalt nach acht Tagen weg war. Was soll ich tun? Dabei erlahmt ihr Interesse am Haushalt auch, und zwar mit Riesenschritten, wie es vorher nicht zu merken war. Dann fand ich einen Antrag auf Schuhe, den sie mit Lotte Endemann unterzeichnet hatte. Also alles in allem ein vollkommen asoziales Element. (Mutter und Tochter sind eine Ausgabe, sagte Kessel, zu dem die Mutter mit 16 Jahren als Hausangestellte gekommen war.

Im Büro habe ich alles beigeholt, Abrechnungen, Anträge, Steueranträge und allen übrigen Kram. Jetzt kann ich mich wenigstens für 14 Tage wieder ganz dem Haushalt widmen und finde dann auch Zeit, Dir schönere und längere briefe zu schreiben. Bitte sei über diesen Brief nicht böse, dass er so gar nichts von uns

 

und von Schönem enthält, aber das musste erstmal runter, und ich bin in Fahrt.

Deine Lotti