Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 22. August 1941

den 22.8.41

Liebster Mann!

Omi und die beiden Großen sind nach Mehlem ins Kränzchen.Ich bin nicht mitgegangen, weil ich erstens keine Zeit habe und zweitens auf diese Weise Dir ein paar Worte schreiben kann. Leider habe ich Ursel und Jürgen bei mir und muss deshalb dauernd aufspringen und Klapse geben.

Gestern war ich bei Ilse Gesler, und unser gemeinsames Schicksal hat mich einigermaßen getröstet. Ilse Gesler hat ihr Mädchen rausgeworfen, weil sie stahl und dazu bodenlos frech wurde und hat jetzt das Mädchen von Wolframms, die ja wegziehen. Nun stellt sich gestern raus, dass diese bei Wolframms gestohlen hatte, was nur möglich war, Tischwäsche und Silber, Strümpfe und Eingemachtes. Wolframms sind hin und haben sich alles wieder rausgeben lassen. Ilse Gessler nimmt sie aber doch, weil sie ja sonst niemanden bekommt. Sie hat sich nur jetzt durch Honnef für alle Schlösser Schlüssel machen lassen. Aber wenn ich die Wahl zwischen Anneliese und Wolframms Mädchen hätte, nähme ich immer noch Anneliese, denn die andere ist obendrein frech, schmutzig und verlaufen. Und somit schließe ich die Diskussion über das Thema Mädchen. Aber da es Themen sind, die ja hier im Brennpunkt meines Lebens stehen, musst Du auch mal davon hören.

Deine Mutter schrieb vorgestern eine Karte, die sich mit einem langen Brief von mir gekreuzt hat. Sie ist jetzt nach Nassenerfurt gefahren. Die Mu sitzt auf Kohlen und will unbedingt nach Stettin, und Thea schreibt und telegrafiert dauernd. Sie braucht sie sehr, weil sie kein Mädchen hat und die Mu das Kochen übernehmen soll. Dann wird sie wohl so bald nicht wiederkommen.

Ach, Pappi, und immer wieder versuche ich einen Zipfel von der schönen Ferienzeit zu er-haschen. Heute vor acht Tagen war unser letzter gemeinsamer Nachmittag. Du glaubst gar nicht, wie oft ich in meinen Gedanken in Husum bin und wie oft ich an der Barriere zu Eurem Flugplatz stehe. Vor mir liegt immer noch die Packung holländischer Zigaretten. Vor acht Tagen lag sie noch auf dem Tisch in unserem Zimmer. Von Dir habe ich jetzt zwei Tage nichts mehr gehört. Dienstag bekam ich die beiden Karten aus Nordstrand. Und ob aus Deinem Urlaub was wird? Bloß vor dem Abschied dann habe ich wieder Angst.

Ich hätte Dir gerne Kuchenmarken geschickt, aber Du musst warten bis zur nächsten Kartenausgabe. Wir sind diesmal so knapp mit den Marken, dass wir bis Sonntagabend nur noch ein Brot haben, und heute ist erst Donnerstag. Die Kinder hatten zu viel gegessen. Kuchen können wir keinen backen, weil wir keine Eier haben, die Nährmittel sind auch aufgebraucht außer Nudeln, die wir heute abend essen, und nach Kartoffeln rennen wir von fünf Tagen vier vergebens. Salat sieht man gar nicht, Tomaten werden unter dem Tisch verkauft, wenn sie da sind (meistens bin ich dann nicht da), und Möhren werden nur für

Kleine Kinder abgegeben. Nur Kohl kann man bekommen. Aber uns sind für morgen 20 Pfund Bohnen versprochen zum Einmachen. An Gurken bin ich noch nicht gekommen und für 20 Pfund Bohnen muss ich schon dankbar sein. Obst sehen wir in den Läden so gut wie gar nicht. Am schlimmsten ist ja, dass die Kartoffeln fehlen, und unter diesen Umständen Mittag-und Abendessen zusammenstellen ist schon eine Aufgabe.

Aber das sind alles keine Probleme. Dass wir beide uns lieb haben, mit dem Gefühl über-windet man alles. Aber manchmal ist so ein großer Haushalt doch schwer, und es wird niemals möglich sein, auch nur annähernd fertig zu werden oder wenigstens das Gefühl zu haben, Du bist wieder ein Stück vorangekommen. Man steht immer in einem Aufbruch und hat nie Ordnung. Und das kann einen manchmal richtig unglücklich machen. Wenn ich doch bloß ein Fahrrad hätte. Dann könnte man morgens rasch alle Gemüseläden, die doch weit auseinanderliegen, abfahren und Fleisch und Vorräte einholen. So trappst man zu Fuß los und verliert so viel Zeit.

Eigentlich müsste ich jetzt schon wieder loslaufen nach Kartoffeln, aber ich bin zu müde. Ich weiß ja doch nicht, ob welche da sind. ---

Nun ist es gleich Abendzeit. Die Kleinen haben ihr Süppchen mit geriebenen rohen Möhren drin. Ein bisschen merkwürdig, aber ich habe ja kein Obst. In den Friedemann Bachfilm will ich heute abend gehen. Morgen kommt der Film „Frau Luna“.

Ach, Pappi, war das eine köstliche, unbeschwerte Zeit bei Dir. Sie kommt mir immer schöner vor, je länger ich weg bin. Nicht nur das Zusammensein mit Dir, meine ich, sondern das rein äusserliche, das, was Ferien sind: Andere haben sich den Kopf zerbrochen, was ich essen soll, andere haben für mein Zimmer gesorgt, oder wenigstens fühlte ich mich nicht verpflichtet, hinter jedem Stäubchen herzugucken und so.

(Nebenbei, ich hatte Anneliese losgeschickt nach Kartoffeln, aber sie hat keine bekommen, natürlich nicht. Nun muss ich mir den Kopf zerbrechen, was ich morgen kochen soll. Wenn Du doch kämest, wie schön wär das! Deine Lotti