Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 30. August 1941

den 30.8.41

Lieber, lieber Harald!

Und jetzt komme ich zu Dir. Der Samstagabend gehört jetzt uns beiden. Den Tag über hatte ich so viel Arbeit, dass ich kaum an Dich dachte. Die Mu ist fort. Nun sitze ich auf der Couch, ich habe mir mein Abendessen hier heraufgeholt, Anneliese ist im Kino, und ich bin ganz allein. Bloß oben schlafen die Ströppe. Ich habe mir, weil es Samstagabend ist und ich so artig war, eine Flasche Rotwein aufgemacht, die ich jetzt abends austrinken werde, und habe mir das „Schwarze Korps“ und ein Buch bei Linz geholt. Draußen gießt es, und das Rauschen verstärkt noch die behagliche Stimmung. Hundertprozentig behaglich wäre sie, wenn man wüsste, dass der Tommy durch diesen Regen nicht käme, aber das tut er ja nicht. Es kann pladdern, soviel es will, er ist da.

Die Mu ist nun heute morgen nach Stettin abgereist. Zuerst konnte sie nicht schlafen vor Reisefieber, dann kam von zwölf bis halb vier der Alarm, und dann musste sie kurz nach fünf raus. Sie hat mir richtig leidgetan, und ich habe eben ein Gespräch nach Stettin angemeldet, um zu sehen, ob sie heil angekommen ist.

Wo bist Du heute abend? Es ist doch schön, dass es gerade Husum ist, wo wir uns treffen mussten. Ich werde nun nie mehr eine meiner schönen Storm-Novellen in die Hand nehmen, ohne daran zu denken. Heute nachmittag beim Kaffeetrinken habe ich eine ganze Zeitlang das Stück Brot auf meinem Teller angesehen und habe es nicht gesehen, sondern ich stand am Hafen und sah die Straße herunter nach Thordsens Getreidespeicher, und alles war so deutlich, dass ich es hatte zeichnen können. Ich fühlte ordentlich das Katzenkopfpflaster unter meinen Füssen. Früher, als Backfisch, hatte ich dann ja keine Ruhe, bis ich das gezeichnet hatte (die Isnyer Bilder, die alle aus der Erinnerung gezeichnet sind).

Ich habe heute durch Postanweisung 50.- Mk. an Dich geschickt. Ich habe nämlich mein Geld bekommen. Dann habe ich mich recht schön gemacht, wie Du es gerne hast, und bin mit Jürgen in die Stadt gezogen, Einkäufe zu machen. Ich traf Kurt Wiesenthal, der Dich grüßen lässt, und Fritz Frenking, der das ebenfalls tut. Der wünscht, seine Frau hätte nur ein bisschen mehr gute Laune, aber die sei mit schlechter Laune auf die Welt gekommen. Jetzt weint sie den ganzen Tag, weil sie nicht genug Kartoffeln kaufen kann.

Ich lege Dir einen Artikel aus dem „Schwarzen Korps“ über die Wohnungsvermittler bei. Sie haben ja nicht unrecht, aber sie denken nur an die Berliner mit ihrer Art, Geschäfte zu machen. Und darunter ist ein Artikel über den Osten.

Helga (nun bin ich bei den Kindern) hat am Mittwoch Geburtstag. Ihr brennendster Wunsch ist eine Handtasche. Omi Hechtle hat ihr eine gekauft, herrlich, bei Stahlpott, eine rote mit einem Hund drauf. Helga hatte immer wieder davon angefangen und hat mich gebeten, mir doch bloß diese herrlichen Taschen anzusehen. Sie wusste jede einzelne Tasche mit ihrem Preis, aber diese hier war anscheinend ihr Entzücken. Nun, wo Omi abgereist ist, fragt sie mich, ob ich auch die Omi ganz gründlich an die Tasche erinnert hätte. Ich weiß natürlich von nichts.

Klaus und Ursel sind heute mutterseelenallein vom Kindergarten nach Hause gekommen. Ich habe das scheinbar im Drang meiner Arbeit nicht richtig gewürdigt, denn Ursel stellte sich vor mich hin und verbeugte sich vor Eifer immer wieder: "Mutti, bitte ssön, bitte ssön, Tante Hanna hat gesagt, wir sollten allein gehen, und nun sind wir allein gegeht.“

Helga und Willi begleiteten mich gestern zu Biederbick, Helga sagte ganz glücklich zu Willi: "Du wärst doch auch froh, wenn Du noch eine so schöne, junge Mutti hättest.“ Heidi drückt sich da etwas anders aus: "Mutti, du siehst aus, als ob Du Dich strunzt. Du hast so duftiges (bitte, so sagte sie) lockeres Haar und das Kleid und die Strümpfe. Alles, als ob Du Dich strunzt.“ Weil alles so schön wäre, meinte sie dann erklärend.

Ich bin schon wieder in Gedanken in Husum angelangt, merke ich gerade. Unsere Samstagabende waren so schön. Mir geht das Ende des Verses durch den Sinn, den Du bei Eurer Ausweisung in das Album geschrieben hattest: 'Das ist der goldne Zauberring, der auferstehen lässt im Innern, was uns nach Außen unterging.' Ich hatte den Vers vor ein paar Tagen beim Kramen in die Hand bekommen. Ich Hatte ihn damals aus Theas Album gerissen. Ich freue mich so doll auf den Urlaub, aber auch wieder nicht zu sehr, weil noch zuviel dazwischen liegt.

Und wenn Du Urlaub hast, musst Du Dich an einen langen Esstisch gewöhnen. Jetzt essen nämlich alle vier am Tisch mit, das kennst Du noch nicht, und das ist nicht immer sehr gemütlich und leise. Ich komme aus dem Mahnen nicht raus. Klaus und Helga essen gut, aber bei Heidi und Ursel hapert es. Ich habe ihnen heute gesagt, dass sie rausfliegen, wenn es bis Pappis Urlaub nicht besser wird. Heidi flegelt sich, und Ursel isst der Einfachheit halber meistens mit der Hand und bricht zwischendurch aus, um draußen zu spielen. Aber der Abendtisch gehört uns.

Mir stehen die Haare zu Berg. Ich habe Helga erlaubt, drei Freundinnen einzuladen, aber wie ich fürchtete, sie erzählt mir eben, dass außerdem noch eine Helga, eine Erika, eine Gisela, ein Willi und Rosi und Konni auch eingeladen sind. Mir stehen die Haare zu Berg. Woher nehme ich den Kuchen und womit koche ich den obligaten Pudding, der den Abschluss bildet? Der wird wohl, so schmerzlich es ist, wegfallen müssen, denn wir bekommen von unserem "Onkel Milch" keinen Tropfen Magermilch mehr, und wenn ich nur auf die Kindermilch angewiesen bin, reicht es sowieso nur noch für zwei, höchstens drei kleine Abendbreichen. Ich habe aber vorsorglich einen Haufen Verlosungsartikel gekauft, alles .........

[Der Rest ist verlorengegangen]