Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 3. September 1941

den 3.9.41

Liebster Mann!

Ob Du jetzt wohl schon auf der Insel bist? Ich kann mir aber denken, dass das Euer endgültiger Platz ist, denn zu einer Ausrüstung setzt man doch wohl schwerlich Leute auf eine Insel. Das wäre doch viel zu umständlich. Aber da werdet Ihr wohl viel Angriffsversuche der Engländer haben, wenigstens mehr als bisher und das macht mir Sorge.

Heute wird der Brief kurz, denn die Arbeit drängt. Dazu habe ich 30 Pfund Bohnen bekommen, eine herrliche Sache. Anneliese hat sie mir verschafft. Für so etwas ist sie gut zu gebrauchen. Und vierzehn Pfund Kartoffeln dazu. Der Mann brachte heute morgen alles. Ich habe die Bohnen nun heute mittag eingestampft. Dann war ich noch in der Stadt wegen Helgas Geburtstag. Als ich durch die Dürenstraße zurückging, rannte Gundi Überhorst hinter mir her und fragte, ob Ursel Ischebeck auch kommen dürfe. Da konnte ich doch nicht nein sagen. Und als ich vorhin bei den Abrechnungen saß, erschien Willi von drüben in der Türe und erzählte mir, Helga bekäme von ihm ein Armband, aber ich dürfe nichts sagen. Also gehört der auch zu den Eingeladenen. Mir ahnt, dass es mindestens zwanzig Kinder werden, die sich zum Teil selber einladen und das im Krieg!!!!!!!! Aber ich kann doch auch nicht nein sagen, denn eine Geburtstagsfeier ist eine tolle Sache, die sich niemand entgehen lassen kann. Ich habe schon bei Stendebach Honigkuchen bestellt, und den gibt es, wenn der andere nicht reicht, in rauhen Mengen.

Gestern abend war Anneliese Degen hier und fragte mich, ob ich keine Stelle für sie wisse, ein paarmal in der Woche für einige Stunden. Sie soll nämlich sonst irgendwo dienstverpflichtet werden, und da will sie mit einer Stelle beim Arbeitsamt erscheinen. Ich habe sie zu Hillenbrands gebracht, die auch sehr froh sind, dass sie eine Hilfe haben.

Heute traf ich Edith Vogels Mutter, die auch in der Partei arbeitet. Sie muss alle die jungen Frauen aufsuchen, deren Mann gefallen ist. Sie erzählte mir, dass die Rente für die Frau eines Gefallenen, egal, welchen Standes und Berufes er sei, 80.- Mk. im Monat betrage und dass dann allerdings noch ein kleiner Betrag für die Kinder hinzukäme. Ist das nicht furchtbar wenig? Es ist derselbe Satz wie im vorigen Krieg. Junge Frauen ohne Kind sind auf diese Weise gezwungen, sofort wieder zu arbeiten, aber mit Kindern, wenn sie auch die Zulagen bekommen, sagt sie, ist es so, dass sie gerade durchkommen, ohne sich etwas gönnen zu können. Es ist doch unmöglich, von 80.- Mk. Miete, Essen, Kleidung und alles zu zahlen. Sie sagt, die jungen Frauen müssen zum Teil als erstes ihre Wohnungen, wenn sie z.B. 75.- kosten, kündigen und sich ganz klein setzen. Das ist doch außer der Trauer noch ganz schrecklich, sozusagen sozial eine Stufe oder mehr tiefer zu rutschen.

Sie sagte, Franz Engels sei auch ganz außer sich darüber. Die Rente für die Kriegsbeschädigten beträgt auch nicht mehr.

Heute nacht wollte ich Dir eigentlich einen schönen Brief schreiben. Ich hatte mich während des Alarms ins Wohnzimmer gesetzt und die Kinder mal schlafen lassen. Aber wie die Flugzeuge surrten, musste ich aufpassen, und meine schönen Gedanken gingen flöten. Nach der sechsten Detonation habe ich dann die Kinder geweckt, aber danach war es dann ganz ruhig geworden. Herr Becker, der heute hier war und Dich grüßen lässt, sagte mir, dass es wieder in Bonn, Oedekoven, Villich und Beuel war.

Gestern abend war Lisbeth Hessel da. Es war sehr nett. Sie hat mit Dr. Kroeber wieder eine Studienfahrt gemacht. Ich habe ihr erzählt, dass wir bei Frau Paulsen waren. Dass Du mir gestern die Zeitung Das Reich geschickt hast, fand ich sehr lieb von Dir, Es ist schön, abends zu lesen.

Jürgen macht sich ganz selbständig. Nun ist er schon ganze Morgen lang mit irgendwelchen anderen Kindern auf der Straße. Autos fahren ja keine, da kann man ihn unbesorgt laufen lassen. Und er schaukelt so gerne. Wenn er das Pferd sieht, sagt er immer: Hotte, hotte, reitereiterei. Ich muss wieder in den Strudel. Da hilft nichts. Auf Wiedersehen (schreiben) bis morgen.

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