Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 10. September 1941

                                                                                              den 10.09.41 err. 16.3.

Lieber Harald,

oben werden die Kinder ins Bett gebracht. Den zwei Grossen merkt man unseren langen Spaziergang in keiner Weise an. Ich bin müder als sie. Helga behauptet, das wäre der schönste Spaziergang ihres Lebens gewesen.

Wir sind zuerst die Elisabethstrasse hoch und dann auf der Höhe über dem Marienforster Tal entlang gegangen. Dann durch den Wald zur Cäcilienhöhe (wir haben drei dicke Sträusse Anemonen gepflückt) und haben da Kaffee getrunken. Dann sind wir durch Muffendorf und an der Bleimaar entlang zum Rhein gegangen, weil Helga absolut nochmal in einen Wald wollte und das war das Wäldchen in der Deichmannsaue. Dann am Rhein entlang nach Hause. Die Kinder waren reizend. Wir haben soviel gelacht und uns alles mögliche erzählt. Und das Kaffeetrinken in der Cäcilienhöhe war garnicht mal die Hauptsache, das fand ich sehr schön. Ich werde den Sommer viel mit den Grossen und auch Klaus und Ursel ausgehen.

Ich muss Jemand um mich haben, für den ich ganz und ohne Vorbehalt in gegenseitigem Nehmen und Geben da bin. Bisher warst Du ja da. Nun werden es die Kinder, an die ich mich in erster Linie anschliesse, für die ich den Tisch hübsch mache, um ein Beispiel zu nennen. Und trotzdem habe ich heute abend irgendeine unbestimmte, traurige Sehnsucht. Ich wünsche mir irgendwas, auf jeden Fall nicht den Berg Strümpfe neben mir auf der Couch.

Eben bringt Lilly Linde mir die Feuerzangenbowle von Spörl. Das geht. ich habe mir eben eine kleine Riege von der schönen Lindt-Schokolade dazugeholt. Noch bin ich allein in meinem hübschen Zimmer. Aber es ist Aufenthaltsraum für alle geworden. Die Omis gehören ja noch rein. Aber Lilly Linde betrachtet es jetzt zu jeder Tageszeit ebenfalls als ihren Aufenthaltsraum und unser Soldat ebenfalls. Das ist ja zu verstehen und soll auch so sein. Aber praktisch ist es so geworden, dass ich zu keiner Stunde des Tages auch nur eine Minute ungestört für mich haben kann. Das Zimmer ist immer von irgendwelchen anderen besetzt. Und Du kennst ja meinen Hang, manchmal ganz mit mir allein zu sein (d.h. allein, darin bist auch Du eingeschlossen gewesen, Dich empfinde ich eben nicht als zweite Person.)

Du schreibst heute um Geld. Mittlerweile wirst Du die 20.- Mk. bekommen haben. Mehr konnte ich nicht schicken aus dem schon erwähnten Grunde der bisher noch nicht in Erscheinung getretenen 500.- Mk. Deine Mutter war ordentlich böse, dass ich sie schickte, aber ich meine ich müsste Dir was Liebes tun und wenn Du irgendeinen Wunsch hast, bin ich froh, dass ich ihn erfüllen kann.

Draussen singt noch die Drossel, trotzdem es schon viertel nach Acht ist. – Es ist doch gut, dass wir uns täglich

schreiben können. Ich weiss manchmal nicht, was ich schreiben soll und erzähle deshalb soviel Unwesentliches, aber ich kann auch die Briefe nicht schliessen, weil ich mich dadurch von Dir trenne. Und deshalb wird immer noch ein Kapitel drangehangen. Und immer noch eins und immer noch eins.

Übrigens was von meinem Sorgenkind, der Verwaltung Rau und Mathieu. Frau Gunkel war hier und hat mir an Hand eines gelben Zettels gezeigt, dass sie die Februarmiete unter dem 2.3. eingezahlt hatte. Gut. Das werde ich auf der Stadtsparkasse klären. Aber nun weigert sie sich das Wassergeld zu zahlen, weil sie behauptet, im vorigen Jahre wäre ein Rohrbruch gewesen und durch die Lässigkeit des Hausbesitzers, der keine Handwerker bestellt hätte, viel Wasser ausgelaufen, und das zahle sie nicht. Und dann wolle weder sie noch die anderen sich an den jährlichen Reparaturkosten von 10.- Mk. beteiligen, wenn sie es auch unterschrieben hätten. Das Haus wäre eine solche Bruchbude und derartige Reparaturen zahlten sie alle nicht. Ich habe ihr gesagt, sie solle das gefälligst mit den anderen Mietern zusammen der Firma direkt schreiben, dann ist wenigstens mein Rücken gedeckt und die Firma sieht, dass die Reparaturen von uns aus umgelegt sind.

Was hast du wohl heute gemacht? Hattest Du einen freien Nachmittag? Vorhin kam im Heeresbericht vor, dass die Engländer bei Tage die Küste des besetzten Gebietes und Norderney angegriffen. Habt Ihr auch etwas mitbekommen? Ich sorge mich dann immer.

Jetzt nimm mich in den Arm und küsse mich ordentlich. Ich tus auch. Und denke nicht mehr solchen Unsinn, dass ich aus Absicht die Unterschrift weggelassen habe. Wenn das wirklich mal passiert, dann musst Du wissen, dass in dem Moment höchstwahrscheinlich hier viel aufeinandergeraten ist.

Viele viele Küsse     Deine Lotti.