Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 8. Oktober 1941

den 8.10.41

Liebster Mann!

Nun werde ich ja wohl bald Post von Dir bekommen, und ich freue mich drauf. Hier geht alles seinen Lauf. Mutter scheint sich doch nicht sehr erholt zu haben, denn ihre Laune ist schlechter denn je, und ich habe das Gefühl, dass sie aus ihrer Stimmung heraus Scenen sucht. Diese schlechte Laune ist furchtbar bedrückend für das ganze Haus. Mir ist schon wieder die ganze Lust an der Haushaltführung vergangen. Ich muss sehen, wie wir da zurechtkommen, denn gestern hat sie mir eine Scene gemacht, dass ich gekocht habe und alle Selbstbeherrschung aufbieten musste, um ruhig zu bleiben. Aber ich sehe eine ganze Reihe davon voraus.

Das Wetter ist nun wieder ganz ins regnerische umgeschlagen.

Ich lege Dir die Abrechnung Banthien bei. Schreibe mir bitte, was ich zu zahlen habe. Onkel Arthur rief auch gestern an und bat mich, die restlichen 360.- Mk.. abzutragen. Die Sparkasse hat mich auch wieder mit den vierteljährlichen 20.- Mk. belastet. Wie soll ich Onkel Arthur nun abzahlen? Und wie Banthien? Aber sorge Du bitte, dass Du 500.- Mk. bekommst. (für E.I) Aber den Winterpullover muss ich mir nun verkneifen. Wenn Du mal in einem Monat 40.- Mk. statt 30.- erübrigen kannst, wäre es auch schön Ich muss mich hier doch sehr krumm legen für alle die dummen Zinsen und Amortisationen.

Ich habe einen Bezugschein für ein Paar Straßenschuhe für Helga bekommen. Jetzt weiss ich nicht, was besser ist den verfallen lassen oder Banthiensche oder Ottosche Zinsen nicht zahlen.

Heute nachmittag will ich zu Rechtsanwalt Möller wegen der Sache Wittersheim. Holbach hat noch nicht geschrieben. Frau von Salvini hat sofort wiedergeschrieben und bittet um die Regelung der Treppenhausbeleuchtung. Was soll ich ihr schreiben. Ihr Mann ist in der Mitte Russlands und ist sehr elend und hat mit den Nieren zu tun.

Vor ein paar Tagen traf ich Wilhelm Düren. Er erkundigte sich nach Dir, aber keine Frage war ihm so wichtig wie die, ob ich nicht ein paar Nährmittelkarten für ihn übrig habe. So ein Junggeselle käme langsam ans Hungern. Nun habe ich ihm ein bisschen Graupen und Gries gebracht und er war selig.

Heute nachmittag, wenn Omi im Kränzchen ist, räume ich mit Anneliese den Keller auf. So langsam kommt Grund ins Haus. Es ist doch toll, wie vierzehn Tage so einen großen Haushalt sofort durcheinanderbringen.

Herr Hüllen hat noch keine Kartoffeln gebracht, aber Frau Strenger hat mir welche geliehen (eben stösst Anneliese einen Schrei aus, Jürgen hat sich scheinbar etwas geleistet.).

Biggi ist Ursel auf den Fuß gesprungen, der ganz geschwollen ist. Sie tritt auch nicht richtig auf. Ich habe sie heute morgen röntgen lassen. Dr. Monar sieht sich heute nachmittag die Platte an.

Klaus bezieht jetzt jeden Tag seine Wichse. Vor ein paar Tagen sagte er bei irgendeiner Gelegenheit, die Gehorsam forderte: "Jetzt brauche ich das nicht mehr, der Pappi ist ja fort.“ Es handelte sich um irgendeinen Gehorsam.

Ilse Gesler habe ich auch gesprochen. Ihr Mann ist jetzt seit sieben Wochen auf dem Transport, irgendwo in Russland, und hat noch keine Feldpostnummer, so dass sie ihm nicht schreiben kann. Wolframms bekommen jetzt von mir einen energischen Brief. Ich will jetzt meine Bücher wieder haben, das ist Ehrensache. Frau Gesler ist genau so eingestellt. Sie bekommt noch Geld von ihnen. Sie haben ihr nie wieder geschrieben und ihre Schreiben sind unbeantwortet geblieben. Und bei Leuten, die W. durch Geslers kennengelernt haben, haben sie sich am Tage der Abreise noch 100.- Mk. gepunpt, weil sie scheinbar das Reisegeld nicht hatten. Die sind jetzt böse auf Geslers. Und in jedem Laden Godesbergs haben sie Schulden. Das Meldeamt wird förmlich überrant von Leuten, die ihre Adresse haben wollen. Lieblich, was?

Ich spiele jetzt jeden Tag ein bisschen Klavier. Ich habe natürlich viel verlernt, aber nichts, was die Grundsachen angeht. Fräulein Hunscheidts Unterricht war doch glänzend. - Das Schränkchen mit der Venus steht auf dem Flur und sieht gut aus. Der Sessel ist doch ins Wohnzimmer gewandert. Einer steht jetzt im Erker, der andere am Radiofenster, das Tischchen ist weiter vor die Couch geschoben. Es sieht sehr gut aus. Das Wartezimmer ist auch in Ordnung. Der Schreibtisch von Großvater ist auf Wunsch Deiner Mutter zu Brennholz zerschlagen, die Stühle sind verteilt, die Kisten abgeholt.

Ich muss Kartoffeln pellen.

1000000000 Küsse, Deine Lotti.