Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 9. Oktober 1941

den 9.10.41

Liebster!

Ich danke Dir für Deine lieben Worte heute. Ich konnte sie gut gebrauchen, weil ich alles ein bisschen schwarz sah. Es gießt schon den ganzen Tag, und die Kinder sind zum Rasend-werden, aber doch süß. Aber um sich auf schöne Erinnerungen zu konzentrieren, bleibt einem den Tag über keine Zeit.

Ich freue mich doll, dass es Dir so gut gefallen hat und dass Du nicht zu böse warst, dass nicht alles immer so ordentlich war, wie es eigentlich sein sollte. Ordentlich ist es je t z t, da ich den ganzen Tag mitarbeite, schon geworden, aber nur äußerlich. Die Stopfschublade quillt über, trotzdem wir die ganzen Abende stopfen und flicken. Da jemals Grund zu bekommen, ist unmöglich. Außerdem tuen mir neuerdings beim Lesen und Flicken die Augen weh. Wenn es bleibt, gehe ich mal zum Augenarzt.

Draussen giesst es. Ein rechtes Wetter, um behagliche Stimmung, mit Stövchen und einem schönen Buch aufkommen zu lassen. Aber ich halte mich streng an der Kandare. Den Tag über wird nichts getan, was von der Arbeit ablenkt, gerade als ob ich angestellt wäre. Abends lese ich dafür aber im Bett etwas.

Ich habe das Päckchen an Dich abgeschickt. Das Feuerzeug konnte ich nicht finden. Wo hast Du es damals hingetan? Anneliese hat es beim Aufräumen nicht gefunden, und Klaus lacht ja bei inquisitorischen Fragen in sich hinein. Ursel behauptet sehr aufgeregt, dass sie es habe, aber wenn ich nachforsche, schleppt sie irgendeinen Quatsch an. Ich hoffe, dass es sich noch findet. Ich hätte Dir zu gerne Zigaretten beigepackt, aber Biederbick hatte keine. Dass man Euch so garnichts dazulegen kann.

Christine rief gestern an. Sie hat sich sehr über das Bild, das Du von ihr gemacht hast, gefreut. Sie kommt nächste Woche und bringt uns Kartoffeln mit.

Klaus rannte vorhin hinter mir her und 'musste mal'. Ich

hörte nicht hin, weil ich viel Arbeit hatte, da schrie er wütend mit seiner Bärenstimme: "Zum Donnerwetter nochmal, weißte denn nicht, wie das ist, wenn man muss?" So habe ich ihm denn geholfen.

Ach Liebster, ich lehne mich in Gedanken so oft an Dich und lasse mich von Dir liebhalten und mich „beschützen“ wie Helga früher sagte.

Eben haben die Kinder gute Nacht gesagt. Helga ist noch nicht da. Sie ist mit Omi Endemann bei Viehwegs. Heidi wird immer mehr Hausmütterchen. Ich kann mit ihr im Haushalt mehr anfangen wie mit Helga. Helga hat heute sowieso ihren schlechten Tag und hat an allem was auszusetzen. Dann kann man ihr nichts recht machen, und was man vorschlägt, taugt nichts. Ich kenne diese Stimmung aber genau aus meiner Kinderzeit und weiß, dass sie aus einem Gefühl der inneren Leere kommt. Vielleicht eine Reaktion auf zu viele Spannungen, dieses Unlustgefühl. Am besten lässt man sie dann links liegen bis diese sozusagen Pause wieder vorbei ist..

Denkst Du an Zahnpasta? Und vielleicht, und damit würdest Du mir eine große Freude machen, gibt es in einem Wangerooger Friseurladen noch ein hübsches Parfüm. Hier ist sowas nicht zu haben und wenn, dann französisches, und das kostet 12,- und 18.- Mk.

Ist es möglich, dass Du heute vor acht Tagen noch hier saßest? Da haben wir die schöne Wanderung nach Ittenbach gemacht. Und übermorgen ist die erste Woche unserer neuen Trennung schon rum.

Draußen gießt und platscht es, und hier drinnen ist es behaglich warm, auch in mir jetzt. Denn die Kinder trampeln und jauchzen oben. Ein Zeichen, dass sie gleich im Bett sind und also für heute unschädlich. Jürgen hat auch sein Schuldkonto voll. Er hat verschiedenes runtergerissen. Aber niedlich ist es, wenn man Klavier spielt. Dann fängt er sofort an zu singen.

Ich küsse Dich lieb und habe Dich lieb. Din Lött