Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 25. Oktober 1941

den 25.10.41

Lieber Mann!

Eben kam ich aus dem Film ´Annelie´ und fand Deinen lieben Brief, in dem Du vom Friedemann-Bach-Film und von Deinem Heimweg und der Mondsichel erzähltest. Vor vier Wochen hattest Du beinahe den halben Urlaub rum. Wenn man doch bloß in die Zukunft sehen könnte und die einem zeigte, ob nicht doch Weihnachten ein kurzes Wiedersehen möglich ist. Die Zeit ist wahnsinnig, sie ist zu lang, die Trennung.

Der Film ´Annelie´ war entzückend, und ich musste heulen, und die Tränen sind mir immer feste weg auf mein Halstuch gekollert, aber ich konnte nicht anders. Ob Du ihn auch so schön finden wirst, weiss ich nicht, weil er sozusagen was fürs Gemüt ist, aber er ist wunderschön.

Als ich dann nach Hause kam, saßen im warmen Wohnzimmer alle sauber gebadeten Kinder mit Tüchern um den Kopf und sahen entzückend aus, so dass ich mal wieder ganz mit ihnen versöhnt war. Besonders Ursel war wie ein Bild. Und Anneliese war auch gemütlich. Das war sie schon heute morgen, kurz nach der Schimpferei mit ihr. Da fand ich sie über dem 'Westdeutschen' gebeugt, aus dem sie sich das Lied von der Laterne und Lilli Marleen ausschnitt, und damit war ihr Glück wieder vollkommen.

Und weil meine Kinderchen so lieb waren, habe ich ihnen eben noch einen schönen Apfelkuchen gebacken (Zwei Pfund Kochäpfel 96 Pf. Doll!), aber die ersten und wahrscheinlich für lange Zeit die einzigen.

Jürgen oder Jürglein, wie ich sage, wenn er lieb ist, geht jetzt morgens mit in den Kinder-garten. Er kann jetzt ein Wort und wendet es leider sehr häufig an: "Nein". Und wenn ich sage, jetzt komm ins Bett, dann schreit er: Neiiiiiiiiiiiin! Und klammert sich am Türpfosten fest.

Frau Engels rief vorhin an. Sie hat den Brief bekommen und meint, da könne man ja vorläufig nichts machen. Sie hat mit Alef gesprochen, der meinte, er hätte in Elberfeld Beziehungen und nun meint sie, dass Du, wen Du in Urlaub wärest, die Pläne mal Alef zeigen solltest. Ich glaube da ja nicht besonders dran. Sie hat nun als Vermögensberater, Treuhänder oder Steuerberater oder was weiss ich Dr. Scheidtweiler genommen auf Anraten des Grafen Metternich. Schreibe mir bitte, ob ich dem vetl. Auskunft oder Rechenschaft oder Abrechnung zu geben habe. Bitte, schreibe mir, was Du darüber denkst.

Lieder können einem verblüffend eine Stimmung vorzaubern. Eben sang Marika Röck „in einer Nacht im Mai“ und schon war der Silvesterabend da und der Eierkognak und das Tischchen am Ofen und die ganze Stimmung eben. Das Gegenstück dazu ist das Lied: Reite, kleiner Reiter, und ja, ja der Chiantiwein.

Und nun Kuss, Kuss, Kuss, denn es ist schon spät.

Übrigens, Mutter ist traurig, dass Du noch in keinem Briefe sie auch nur mit einem Wort erwähnt hast.             Deine Lotti.