Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 26. Oktober 1941

                                                        den 26.10.41

Lieber Mann!

Also bitte, ist das nicht lieb? Jetzt bekommst Du schon wieder einen Brief. Es wird in allen diesen täglichen Briefen ja wohl immer dasselbe drinstehen mit abgewandelten Worten, aber wenn nun mal jeden Tag dasselbe passiert, dann hast Du eben die Wahl zwischen täglichen denselben Briefen oder alle acht Tage einen. Ich glaube, der Satz war mir verkorkst.

Ich benutze diese schöne Sonntagsstunde, um Dir zu schreiben. Draußen gießt es, dass das ganze Zimmer im Dämmer liegt. Ich habe vorhin mal die Kerze auf dem Schreibtisch angesteckt, und die verbreitete einen hellen Schein, so dunkel ist es.

Unten schmort der Sauerbraten, Helga, und Heidi sind in der Kirche, und Klaus, Ursel und Jürgen toben im Büro. Da sehe ich lieber gar nicht rein. Ab und an führt Klaus seine Geschwister an den Apfelkuchen, und dann stehen alle drei mit neugierigen Fingern davor, und ich muss sie wegjagen.

Und nun zuerst etwas, was mich doch sehr gepackt hat. In der Oktobernummer der Vesdep-Zeitung hatte Ernst Köster noch für Hanna Braumüller einen Nachruf geschrieben, und nun wird er übermorgen selber begraben. Das Nähere weiß ich noch nicht. Du bekamst nur vom Vesdep eine Karte, auf der steht, dass die Beerdigung des Kameraden Köster vom Pädagogium zum Rüngsdorfer Friedhof ist und vorher im Pädagogium eine Trauerfeier stattfindet. In der letzten Zeit hat es doch ordentliche Lücken in den Vesdep gerissen, was besonders aktive Mitglieder angeht, z.B. Bagel.

Nachmittags

Den Apfelkuchen hätten wir gegessen. Spazierengehen kann man nicht, denn das Wetter wechselt in ununterbrochener Folge zwischen Schauern und Sonne.

Ich habe eben auf der Couch gelegen und Radio gehört. So ein Sonntag ist doch manchmal schrecklich langweilig, weil man irgendetwas erwartet, und es passiert nichts. Die Kinder spielen unten, und ich will sie auch nicht raufholen, denn wenn ich mir zwei aussuche, kommen die anderen nach, und was man wollte, vorlesen oder ein Gesellschaftsspiel spielen, ist, weil sie sich dann zanken, im Eimer.

Und Sonntagsnachmittags gibts auch keine Post, die etwas Spannung in die Sache bringt. Und anrufen kannst Du wohl von dort auch nicht. Irgendetwas müsste heute noch Abwechslung in die Sache bringen, aber es kommt ja doch nichts. Mutter ist gerade weg, um einen Besuch beim Rektor zu

machen, Jürgen March ist auch tot. Das Unterseeboot ist nicht zurückgekommen.

abends

Kurz darauf hatte ich meine Abwechslung. Anneliese schickte die Heidi trotz meines Verbotes mit dem randvollen Thrönchen die Treppe runter, und unsere Heidi ist natürlich mit dem ganzen Segen die Treppe runter gefallen. D a s hatte ich mir nun nicht gewünscht.

Mutter und ich sind sehr kindlich geworden. Sie liest Nesthäkchen und ich das Dummerchen. Und nun gute Nacht! Din Lött