Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 28. Oktober 1941

den 28.10.41

Liebster Mann!

Das ´Reich´ kommt immer zu einem Zeitpunkt, wo ich eine Aufmunterung gut brauchen kann, und darum danke ich Dir wieder recht herzlich dafür. Die Aussicht, abends darin lesen zu können, ist zu schön. Und es gibt manchmal - sehr viel manchmal - Momente, wo man sich händeringend fragt, wie man nur fünf Kinder großziehen soll, dass jedes zu seinem Recht und zu Ordnung und Sauberkeit kommt. Und heute war dazu abgrundtiefes Wetter (teilweise hat es sogar zur Freude der Kinder heftig geschneit, aber der Schnee blieb natürlich nicht liegen), und alle tobten im Haus rum. Als ich ins Büro kam, thronte Jürgen oben auf dem Abstelltischchen, das früher neben Deinem Schreibtisch stand, da hatten ihn die Größeren mit Kordel festgebunden, weil er sie störte. Ursel hatte Haue von Omi Endemann mit dem Kochlöffel bekommen und schrie fürchterlich, und Klaus als Mann brüllte daraufhin die Omi an, was ihr wohl einfiele, und da war der Bart ganz ab.

Helga und Heidi wollten mir dann eine Freude machen und das Büro aufräumen. Zu dem Zweck räumten sie erst mal alles aus den Regalen und von den Tischen, was da war, und mir standen die Haare zu Berg, als ich an die Türe kam. Dann habe ich sie, so schnell ich konnte, wieder zugemacht. Aber Heidi sagte dabei so rührend; „Du kannst Dich ganz auf mich verlassen, Mutti“, dass ich nicht böse sein konnte.

Eben habe ich für Dich Keks gebacken, die ich dann morgen abschicken werde. Kerzen versuchte ich zu bekommen, es dürfen aber keine verkauft werden. Es könnte ja sein, dass das E-Werk getroffen wird, und erst dann dürfen sie ausgegeben werden. Fräulein Himpke (Verkäuferin bei Biederbick) sagte mir, dass die Leute dauernd nach Kerzen fragen, besonders für die Soldaten in Russland. Also müsst Ihr im Dunklen weiter mit der Zigarette Kringel in die Luft malen.

Ich hatte schon an Rechtsanwalt Wiel die Adressen angegeben. Soll ich nun hinterher schreiben, dass der Schriftwechsel über unser Büro gehen soll und wie soll ich es formulieren? Vielleicht schreibst Du es mir, wenn Du es für nötig hältst.

Die Adresse des Göttinger E. ist Katasterdirektor i.R. Heinrich Endemann, Göttingen. Die Straße weiß ich nicht, der Brief wird wohl auch so ankommen.

Die tägliche Post von Dir habe ich direkt nötig. Die Spannung, wo Ihr hinkommen werdet, nimmt mich geradezu mit. Es ist manchmal ganz schrecklich für mich, Dich so weit weg zu wissen und Dich nicht ganz schnell wenigstens sprechen zu können.

Dr. Monar will noch etwas mit der Operation warten. Sie ist ja nicht sofort notwendig, soll aber doch sein, meint er. Dann hat er Helga ein blutbildendes Mittel aufgeschrieben und hat für sie zusätzlich Milch und Fett beantragt.

Die Beerdigung von Mieze Köster gestern war sehr groß. Major Kühne hat bei der Trauerfeier gesprochen, weil keine kirchliche Beerdigung war. Er hatte Herzgeschichten und musste deshalb vor vierzehn Tagen ins Krankenhaus.

Ich finde, in diesem Brief steht so nüchtern Absatz neben Absatz, aber ich bin heute nach der vielen Arbeit so. Ich freue mich jetzt nur aufs Bett und werde das gleich tun. Aber ich konnte doch nicht reingehen, ohne Dir erst geschrieben zu haben. Das muss sein.

Bei Mieze Köster fällt mir ein: Vor etwa 10 Tagen kam eine Nachnahme vom Vesdep wegen 10.- Mk. Beitrag an. Ich habe sie zurückgehen lassen. Willst Du dem Vesdep nicht schreiben, dass Du eingezogen bist und dass er den Betrag solange nicht erhebt?

Dass Du der beste Schütze aus der Stabskompanie bist, freut mich. Dass Du lachen konntest, wie Du im Fieselregen bei der Morgen-Übung an mich dachtest, zeigt, dass Du a u c h schadenfroh bist, mein Herr. Aber ich bedauere Dich.

Eben lese ich dass jetzt wohl gerade der Kameradschaftsabend ist. Ist er schön? Denken tust Du ja doch wohl an mich vielleicht gerade jetzt.

Ich weiss garnicht viel und trotzdem wird jeden Tag ein ganzer Bogen vollgeschrieben. Alles nur, weil ich Dir nahe sein muss.

Deine Lotti