Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 7. November 1941

den 7.11.41

Lieber Mann!

Wir haben Fliegeralarm, und was soll ich Besseres tun, als jetzt einen Brief an Dich zu schreiben. Ich habe meine schöne neue Jacke an aus dem Kamelhaarumhang, und alle finden sie fantastisch. (Donnerkiel, jetzt knallt es aber, wir haben wieder Flak hier).

Und nun zwei Stunden später, schreibe ich weiter in der Hoffnung, dass der Alarm sich seinem Ende nähert. Aus dem geplanten, ausführlichen Brief wird nun nichts. Es ist fast zwölf, und wir haben alle Kinder runtergeholt.

Also, meine Jacke oder Bluse ist so wunderschön geworden, dass sie viel bewundert wird, und jeder meint, es sei etwas, was Du mir aus Holland geschickt hättest. Sie ist tailliert, hat vorne einen neuen Reißverschluss, und in der Brusttasche habe ich ein grünes Taschentuch.

Heute war der junge Oberleutnant Engels da und wollte sich auch von mir Bericht geben lassen. Ich glaube, am meisten ging es ihm darum zu wissen, ob nicht irgendwie Geld zu machen wäre oder aus den Jahreseinkünften doch etwas zu holen wäre. Er deutete an, dass seine Mutter in sehr bedrängter Lage sei, er habe die zwei wie verlorene Hühner getroffen und sie überlegten hin und her, wo irgendwelche Mittel aufgetrieben werden könne. Er selber kommt mit seinem Gehalt aus, aber für seine Mutter fehlt der Lebensunterhalt. Er ist ja reizend, ein goldiger Junge, der viel von seinem Vater hat.. Sie wollen vielleicht Gegenstände verkaufen. Er bewundert seine Schwester, mit welcher Tapferkeit sie allen Problemen zu Leibe geht. Aber seine Mutter ist mit den Nerven zusammengebrochen.

Ich bekam heute nachmittag einen Brief von Dir, der nur einen Tag gegangen ist. Ich hatte Dir aber doch die Gelder bestätigt und ebenso von Mieze Köster Beerdigung geschrieben. Bekommst Du denn nicht alle Briefe? Hast Du Annelieses Brief auch nicht bekommen?

Heute nacht, als ich schlaflos lag, fiel es mir siedendheiß ein, dass ich ein ganzes Jahr für Anneliese die Invalidenmarken nicht geklebt hatte. Nun bin ich heute zur Post hin und habe 34,- Mk. Marken gekauft, schandbar. Das Geld hätte ich so gut brauchen können.

Die süßen Kartoffeln sind für mich furchtbar. Hoffentlich ist die nächste Ladung besser. Kartoffeln dürfen jetzt überhaupt nicht eingekellert werden, das ist vorläufig verboten. Das Geschäftsbild wird immer kriegsmäßiger, es hat seit Deinem Weggang noch erheblich zugenommen an Dürftigkeit. Aber dafür haben wir den dritten Kriegswinter. Desto mehr schätze ich jetzt abends nach der Hetze ein gutes Buch. Es ist ein großer Genuss.

Von der nächsten Woche ab gibt es Tabakskarten. Auch für Frauen. Und nun Schluss, Liebster, ich bringe die Kinder zu Bett. Gute Nacht…. Din Lött.

Mit dem Schlafen ist es nichts. Es ist wohl ein rollender Einsatz. Eben sahen wir aus dem Fenster und sahen, dass es auf der anderen Rheinseite brannte. Weil Annelieses Freund da war, bin ich rasch mit ihm am Ufer gewesen. Toll. Es sieht aus, als wenn ganz Niederdollendorf brennt. Die ganze Rheinfront ist ein einziges Flammenmeer und was dahinter liegt. Vorsichtshalber legen wir uns nicht ins Bett, denn das Ziel ist prächtig und uns verflixt nahe. Aber langsam dürfte die Entwarnung kommen, ich bin verflixt müde.

Ich habe so oft solche Sehnsucht nach Dir und möchte mich an Dich kuscheln und finde es schwer, allein fertig zu werden, Du bist so weit weg. Und trotzdem finde ich einen Trost darin, möglichst alles so gut zu machen, wie es geht. Es bleibt ja oft nur Stückwerk und wann ich die Bilanz ziehe, könnte manches viel besser sein, aber dann stehe ich jeden Morgen mit neuem Mut wieder auf und versuche wieder von Neuem das Beste. Bloß dass das Ideal nie erreicht wird, vielleicht mal Stücke davon.

Draußen rauscht der Wind ziemlich, heftig. Das Schießen ist verstummt. Ob wir es wagen können, in die Heia zu gehen? Es geht jetzt gegen Morgen, und seit halb neun sitzen wir hier herum.

Heute nachmittag haben wir bei Kakaoschalentee ein sehr nettes Kränzchen bei Anita Stein gehabt. Du sollst uns nur mal Strümpfe stopfen sehen. Und es ist doch sehr nett, wie die junge Generation alle Beschwerden sachlich zur Kenntnis nimmt, aber eigentlich nicht klagt, sogar Frau Holtmann, die ja Grund hätte, nicht. Von Anita Stein habe ich ein goldiges blaues Wollkleid für Ursel bekommen.

Und jetzt mache ich Schluss. Draußen schießt es wieder, aber vielleicht gehe ich doch ins Bett, wenn es nicht zu doll wird. Din Lött.