Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 9. November 1941

den 9.November 41

Liebster Mann

Heute, pünktlich am Sonntag, kam Dein lieber Brief und das ´Reich´, und ich danke Dir herzlich dafür. Aus Deinem Brief spricht so viel Heimweh und Niedergeschlagenheit, dass ich Dir, trotzdem der Brief von gestern abend vorhin erst in den Kasten gewandert ist, sofort wieder schreiben muss. Das ist ja das einzige, womit ich Dir jetzt helfen kann.

Draußen ist schönes, klares Wetter, blauer Himmel und Sonne. Die Linden haben ihr Laub schon verloren, der Rotdorn vor den Fenstern und die niedrigen Büsche in den Gärten haben es noch. Aber das wird dann in den nächsten vierzehn Tagen auch abfallen.

Soll ich Dir wieder Bücher schicken, und hast Du einen besonderen Wunsch? Ich erlebe es immer wieder, dass in den Stunden, in denen alles trostlos aussieht, weil die Zukunft mit so großen Fragezeichen vor einem steht, ein Buch hilft. Aber ich habe ja auch schließlich das ganze Regal hier und kann mir aussuchen, was ich dann gerade nötig habe.

Ich habe Dir aber doch wiederholt bestätigt, dass das Geld angekommen ist. Hast Du darüber weggelesen oder sind die Briefe nicht angekommen. Hast Du Annelieses schönen Brief, den sie am vorigen Sonntag geschrieben hat, bekommen?

Ich genieße die herrliche Ruhe in unserem schönen Wohnzimmer. Unten brutschelt Omi Endemann am Schweinebraten, der Schokoladenpudding ist gestern schon gekocht worden, die Kinder sind bei dem schönen Wetter alle draußen, heute nachmittag werde ich mit den Großen einen Spaziergang machen vor dem Kaffee, und dann gibt es einen Plattenkuchen mit Zucker und Zimt. Wir haben uns angewöhnt, fürs Samstags und Sonntags einen einfachen Hefekuchen zu backen, erstens, weil es gemütlich ist, und zweitens, weil man dann den vielen Aufstrich spart. Ich habe ein schönes neues Hefekuchenrezept, in das nur 25 Gr. Fett und kein Ei kommen. Aber es schmeckt lecker. –

Ich möchte Dir von dem Frieden und der Behaglichkeit dieser Sonntagmorgenstunde abgeben. Unten höre ich Jürgen, der Anneliese ruft. Das sagt der Bengel, aber um die Welt nicht Mama. Anneliese hat ihm das mit zäher Ausdauer beigebracht. Er ist schrecklich erkältet, und ich weiß nicht richtig, wie ich ihm davon weghelfen soll. Unser Schlafzimmer ist nicht geheizt, und er strampelt sich nachts, trotzdem ich ihn festschnalle, bloß, und morgens ist er blitzblau. Die anderen bleiben wenigstens unter ihrer Decke. Und beim gestrigen Bad wurde das Badezimmer auch nur auf 12 Grad erwärmt, weil ich es ja nicht heizen kann, und wenn ich dann besonders schwarze Augenblicke habe, sehe ich Lungenentzündungen und alles voraus. Oder meinst Du, das alles macht die Kinder widerstandsfähiger?

Jetzt, nach Tisch, habe ich die vier Großen rausgetan in die schöne Sonne. Mit Jürgen war ich heute morgen spazieren

und er sang in seinem Wägelchen vergnügt vor sich hin. Helga hat eben einen Brief an Dich angefangen -hoffentlich wird er auch fertig - in dem sie Dir eine wirklich genaue Schilderung aller unbelaubten Bäume gibt.

Ich habe zwei Zigaretten geraucht und dazu im ´Reich´ gelesen, einen sehr guten Aufsatz über Klavierspiel mit dem Untertitel Geist und Technik, einen Aufsatz über die letzten Umtriebe in Prag, über heutige Schaufenster, den verwandelten Osten, neue Lyriker und nordische Erzähler, sozusagen ein Potpourri, aber ein interessantes. –

Ich bin augenblicklich wunschlos glücklich. Die Trabanten, nachdem sie ordentlich Kaffee getrunken haben, sind bis auf Helga spazieren gegangen (Heidi ist das geborene Kindermädchen). Helga spielt unten auf dem Klavier, und ich habe eine gute freie Stunde vor mir, die dem Weiterlesen des Wunschkindes gilt. Um sechs spielt Wilhelm Kempff Beethovensonaten, und Furtwängler dirigiert die Leonorenouvertüre. Dass ich Sonntags diese schönen Konzerte, eigentlich die einzigen dieser Art in der Woche immer verpassen muss, ist eigentlich jammerschade. Könnten die nicht zwischen fünf und sechs liegen?

Harald, ist es eigentlich nicht möglich, dass Du von der Insel, von einen Gasthaus aus mal anrufst, oder ist die Verbindung zu schlecht? Dann könnten wir uns wenigstens mal sprechen, und hätten einen Augenblick Kontakt miteinander. Ich bin ja doch immer abends zu Hause, höchstens mal bei Hillenbrands, und könnte von dort aus schnell gerufen werden.

Draußen brüllt Ursel, sie hätte "Bässlein in die Hos demacht". Jetzt kann ich sie umziehen, und Jürgen ist ja sowieso bald fällig. Also Tschüss!

Din Lött, die so gerne einen einzigen Tag aus Husum nochmal hätte.