Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 10. Dezember 1941

den 10.12.41

Liebster Mann!

Ich bekam heute Deinen Brief und muss Dir zuerst mal die Hoffnung auf ein Attest nehmen. Die Kurzwellen waren so fabelhaft (soll ich sagen leider?) dass ich seit Montag den Arm wieder aus der Schiene habe und wieder arbeiten kann. Ich soll nur vorläufig vorsichtig ran an die Arbeit. Kurzwellen sind ja was Dolles, ich habe sonst noch von keinem Fall gehört, in dem eine Sehnenscheidenentzündung so schnell erledigt ist. Und es war eine gehörige!

Und trotzdem würde ich sie wieder hinnehmen, wenn dadurch ein Urlaub für Dich möglich wäre. Denn man kann es nicht glauben, dass wir Weihnachten nicht zusammen sein sollen, trotzdem es voriges Jahr auch so war.

Jetzt habe ich noch eine Viertelstunde bis zum Zweiuhrnachrichtendienst. So langsam gerät ja nun die ganze Welt aneinander, und nun glaube ich bestimmt, dass wir nächstes Jahr auch noch Kriegsweihnachten haben. Manchmal ist es mir schrecklich, augenblicklich berührt mich der Gedanke nicht weiter, weil ich irgendwie die Hoffnung auf einen baldigen Urlaub von Dir trotz allem habe, und das ist zunächst mal das Wichtigste. Der Mensch ist doch immer wieder egoistisch.

Unser Heidikind ist nach wie vor hausmütterlich. Gestern hatte ich die Kleinen allein, weil Anneliese Ausgang hatte, und sie hilft mir wie eine richtige Kindergärtnerin. Sie übernimmt dann abends ein Kind, wäscht es und bringt es allein zu Bett, verdunkelt, überredet es, dass es schnell ins Bett geht mit einer Spielsache, räumt zusammen, kurz, macht alles so, dass ich völlig entlastet bin. Die Kleinen empfinden sie auch schon als Autorität und lassen sich von ihr behandeln, als wenn ich es wäre, widerspruchslos. Zum Schluss kuschelt sie sie dann ein, betet mit ihnen, ganz wie ein Großer. Aber lesen kann sie leider trotz der Brille noch nicht. Wenn sie zehnmal ein Wort mit einem kleinen 'n' gelesen hat, dann hält sie beim nächsten Wort das kleine 'n' immer noch für ein 'b' oder ein 'l' oder was weiß ich. Aber, und das rechne ich ihr hoch an, sie ist sehr gewissenhaft mit ihren Schularbeiten und vergisst nie, sie zu machen, was bei unserer Helga leider sehr oft vorkommt. Helga

liest eben zu viel. Sie ist eben immer in einer anderen Welt. Augenblicklich hat sie auch wieder ein Buch vor. Ich muss es ihr mit Gewalt fortnehmen, denn sonst passiert es, dass sie von vier bis sieben liest und dann ganz verdrallt ist. Grosse Freude mchen mir beide, jedes in seiner Eigenart.

Heidi ist so´n kleines Altkluges. Sie meint immer, sie müsste doch jetzt helfen, denn ich hätte doch so viel Mühe und Arbeit mit ihnen, und da dürften sie nicht so einfach für sich so hinspielen. Helga hat auch den guten Willen, denkt aber nie dran, weil sie eben immer in ihre Interessen und Gedanken vertieft ist, die aufs Wissen gehen.

Klaus hinwiederum lässt sich jetzt so gerne Märchen erzählen. Dann sitzt er auf dem kleinen Strohhocker, hat die Beine angezogen, stützt den Kopf in die Hände und hört mit teetassengrossen Augen zu. Sein liebstes Märchen ist Frau Holle, das ich ihm schon seit acht Tagen täglich, manchmal zweimal erzählen muss. Er schüttelt nur immer wieder den Kopf über so ein schönes Märchen. Und nun muss der Brief beendet werden, denn meine linke Hand will nicht mehr. Ich bekam heute zwei Briefe von Dir. Das ist das Schönste, was mir passieren kann.

Ich bin heute glücklich und weiss eigentlich nicht, warum. Vielleicht nur deshalb, weil ich meine Hand wieder bewegen kann. Ich habe noch so viel vor Weihnachten zu tun.

Hansi ist ab 15. in Stettin. Sonst ist ihre Adresse: Zoppot-Danzig, N.S.V.Gauschule, Taubenwasserweg. 10000 Küsse, Din Lött