Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 28. Dezember 1941

den 28.12.41

Lieber Mann!

bin ich nicht lieb, dass ich sofort schreibe? Aber ich denke, wenn dieser Brief morgen in den Kasten wandert, hast Du ihn noch vor dem neuen Jahr, und zu lange sollst Du nicht ohne Post sein.

Der Tag ist fies, direkt fies. Es liegt hinter allem eine so unbestimmte Melancholie, die ich nicht durchkommen lassen will. Es ist der Gedanke der vielleicht sehr langen Trennung und der Widersinnigkeit, dass zwei, die zusammengehören, so gänzlich und auf unbestimmte Zeit getrennt sind, dass ihr Zusammensein nur noch besuchsweise ist. Und dann tut es mir leid, dass Du nicht hundertprozentig zufrieden warst. Diesmal ist es umgekehrt: Die Frau ist voll ausgefüllt mit Arbeit und leider notwendigen Gedankengängen, die den Haushalt betreffen, und der Mann ist ausgeruht und unternehmungslustig, so dass bei ihm Wünsche, die aufs Erleben gehen, auftauchen. Ein Problem, das früher andersrum war. Ich persönlich war immerfroh und glücklich, dass ich Dich dahatte.

Dass ich von den Kleinigkeiten des Haushalts manchmal mehr, wie Dir nötig scheint, erfasst werde, liegt an den Dingen. Denkt man weniger daran, wird glatt was vergessen! Der Quark am Donnerstag, die Leber am Dienstag, der Stockfisch am Freitag, die Butter am Samstag, der Schuster an Montag, Buchladen Linz am Nachmittag usw. in endloser Folge. An und für sich liegt mir das alles nicht so sehr, dass ich nun voll Wonne darin aufgehe, andere Sachen sind mir immer noch lieber. Aber man wird einfach gegen seinen Willen von dem Strudel ergriffen.

Und Du musst dich dann nicht sozusagen seelisch verkriechen und meinen, ich sei gleichgültig und möchte nicht, was Du möchtest, sondern Du spielst Prinz und Dornröschen (die Dornenhecke ist in diesem Fall das Geranke und Gewirr der Haushaltsgedanken) und holst mich mit Gewalt da raus, und das klappt bestimmt.

Nach Deinem Weggang kam dann heute der Aufbruch von Anneliese und Helga, und wie ich beim Kaffeetrinken saß, kommt unsere Heidi völlig verheult ins Zimmer. Ich denke, sie weint, weil der Pappi weg ist, aber nein, dieses Gemütskind tut es, weil Anneliese weggefahren war. Und dann hatte ich den Tag über genug zu tun und auf meinen Nerven ist mal wieder Klavier gespielt worden. Das haben die vier Zurückgebliebenen getan. Zuerst hatte ich sie alle wunderschön beschäftigt im Kinderzimmer und verliess musterhaft brave Kinder, die mit den neuen Bauklötzchen spielten. Es war ein Bild des

Friedens, das hübsche ausgeräumte Zimmer, die Sonne, die in den Raum schien. Leider hatte sich nach einer halben Stunde alles bis auf die Sonne verändert. Das Zimmer glich einem Zigeunerlager, und Klaus war auf die Idee verfallen, die Klötzchen zu waschen. Nun hatten sie alle abgefärbt, und Klaus und alles, was mit ihm zusammenhing, war rot, blau und gelb gefärbt. Heidi und Ursel hauten sich. Als ich dann das Mittagessen anrichtete und fünf Glasteller auf dem Kuchentablett anrichtete, um sie ins Zimmer zu bringen, schrie Ursel, die könne sie tragen, wanderte mit den Tellern los, schrie auf einmal: „Is kann aber auch snell", rannte los, setzte sich auf den Pö und alle füf Glasteller waren hin. Du hättest aber Ursel sehen sollen. Die hat ihre Seele geohrfeigt, das sah man an ihrem Gesicht.

Der Nachmittag war dann verhältnismäßig friedlich. Ich habe alle vier rausgeschickt. Leider kam alle zehn Minuten irgendeins zurück, heulend, weil es ihm kalt war, strebte dann aber wieder raus und wiederholte das liebliche Spiel. Jürgen wurde dann auf das Thrönchen gesetzt, und Tulita und Heidi sollten aufpassen. Das taten sie natürlich nicht, und Jürgen kippte den dünnen Bu auf den Teppich. Ursel spielte mit dem Brummkreisel und fand in beiden Kinderzimmern keinen besseren Platz, als sich ausgerechnet in den Bu zu setzen. Neben den üblichen Sachen genügte mir das für heute. Ausserdem hat Heidi das Seifennnäpfchen im Bad zertöppert. Ich habe dann heute abend einen allgemeinen Badetag angesetzt, so habe ich sie wenigstens sauber in die Betten gekriegt, und habe anschliessend den Teppich gebadet.

Nun soll das drankommen was mir Freude macht und das ist, in den Weihnachtsbüchern lesen. Aber das Schlafzimmer wird mir heute abend so schrecklich leer vorkommen, ich habe direkt Angst davor.

Eben unterbricht der Deutschlandsender. In zwanzig Minuten ungefähr weiß ich ja, ob sie in unserer oder Eurer Ecke sind. Übrigens ist die Halbe fällig, auch ohne Alarm.

den 29.12.41

Nun sitzt Du schon längst auf Deinem Gefechtstand, und der ganze Urlaub ist beinah wie ein Traum.

Heute bekam ich einen Brief von Hansi, Mu und Hans, zwei Tage vor Weihnachten geschrieben. Ich lege ihn bei. Ebenso kam eine Anzeige von Dieter Jungs, die das zweite Töchterchen bekommen haben.

Alarm hatten wir zweimal, einmal um halb10 und dann um sechs Uhr morgens. Wäre das gestern gewesen, hättest Du erst später fahren brauchen. Das war das erste, woran ich dachte.

Ob unser Helgakind nun Heimweh hat? Und der Pappi auch? Aber der Brief hört jetzt auf,f, denn ich muss weiter ran. Mehr wie ein paar Tage geht es doch nicht ohne Hilfe. Aber es ist gut, dass ich dadurch nicht viel Zeit habe. Irgendwelchen trüben Gedanken wegen Länge und Zukunft unserer Trennung nachzuhängen. Aber vielleicht kommst Du auch garnicht weit weg und ich war umsonst traurig.

1000 Küsse               Din Lött

Es gab offensichtlich Heimaturlaub für Harald. Wegen der weiterlaufenden Geschäftsführung war das vergleichsweise häufig möglich.