Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 3. Januar 1942

                                                                                                                          den 3. Januar 42

Mein lieber Mann,

wo ich nun heute so schön brav gearbeitet habe, meine ich, ich dürfte nun mit Dir zusammen sein. Leider geht das ja nur schriftlich, und das finde ich ein bisschen unbequem, weil ich faul bin. Andererseits habe ich nun mal das Bedürfnis, mit Dir zu plaudern (wüstest Du einen anderen Ausdruck? Er ist so ein bisschen) Und das ist nun wieder ein bisschen einseitig, aber leider nicht zu ändern.

Ich habe nun gestern unseren bisherigen Briefwechsel fertig eingeordnet in die zwei dicken Soennecken-Ordner, die ich mir eigens dafür angeschafft habe. Sie sind genau halb voll. Das Unwesentlich können wir ja später immer noch ausmerzen. Aber ich denke, das tut jeder bei den Briefen des Anderen, denn man ist seinen eigenen Briefen gegenüber sehr kritisch und würde sie höchstwahrscheinlich fast alle wegwerfen. Die Rücken dieser dicken Ordner werde ich mit Buntpapier recht hübsch bekleben, damit sie alles Nüchterne verlieren und dann werden es für später sehr hübsche Erinnerungen sein.

Ich geniesse augenblicklich mit einem geradezu animalischen Behagen die Ofenwärme und bin ganz dicht an ihn herangerückt. Das kommt, weil ich so schön müde bin. Gestern abend habe ich mir, weil mir mein Schlafzimmer so leer vorkam, Ursel, die gerade wach wurde, ins Bett geholt. Ich musste sie aber ein paarmal nachts aus den Kissen graben, weil das winzige Persönchen immer bis fast in die Mitte des Bettes rutschte. Zum Tagesabschluss habe ich alle vier heute gebadet und das ist wohl mit das anstregendste Geschäft. Schon allein die vier wieder aus der Wanne zu bekommen, erfordert Kräfte und meinst Du, Jürgen wollte raus? Der sperrte sich, wie er konnte und trat nach mir. Übrigens sagt er seit heute, wenn ich ins Zimmer komme: Mutti, da.

Ich habe nun meine Weihnachtsbücher gelesen, Der Bergengruen ist sehr gut, „die Sagen“ interessant. Beim Neuordnen meiner Bücher gestern abend stellte ich fest, dass ich nun 32 hach habe alle Biographien fein säuberlich zusammengestellt und das trifft sich nun alles, von Mozart bis zur Madame Curie und von Ludwig Richter bis zu Dr. Carl Peters.

Ach, wenn ich Dir so vom warmen Ofen und von meinen Büchern erzähle, ist alles, was Krieg heisst, für einen Augenblick so weit weg, aber eben nur für einen Augenblick. Im Unterbewusstsein vergisst man ihn sogar nie. Aber mein Bücherregal liebe ich geradezu zärtlich, jetzt fast noch mehr wie früher, denn in ihm ist alles enthalten, was die ruhigen Stunden schön macht. Und alles erlebt man, einfache und grossartige Leben, liebe, nordische Länder, südliche, die Empirezeit und das Mittelalter, wonach einem der Sinn steht.

Wir schicken Dir die gewünschten Sachen nach. Ausserdem noch den Tabakbeutel, die Butterdose, ein Stück Wurst aus Hessen, Schwarzbrot. Wir schicken es postlagernd, denn es wird bestimmt über zwei Pfund werden. Morgen finden wir Zeit, es zusammenzupacken.

Wenn Ihr nach Holland kämet, wäre es doch schön für mich. Denn Dich so irgendwie ganz weit und unerreichbar zu wissen, ist nicht schön. Aber schliesslich müssen wir alles so nehmen, wie der Krieg es will.

Ich will in den nächsten Tagen auch Heinz Schilling auf seinen Weihnachtsgruss antworten. Ich denke, dass ein Godesberger Brief ihn in Russland bestimmt freuen wird.

                                                                                                                      Sonntag

Jetzt, am Sonntagnachmittag, sitze ich auf der Couch und bin lange nicht so vergnügt wie gestern. Man hat den Nachmittag keine richtige Beschäftigung und hat Zeit genug, darüber nachzudenken, wie lange es doch nun wieder dauert, ehe ich Dich wiedersehe. Diese verregneten Sonntagnachmittage ohne Besuch sind scheusslich langweilig. Und nach der vielen Arbeit hat man Sonntags das Gefühl, es müsste etwas Schönes kommen, irgendetwas, was Leben und Lachen bringt. Na ja, das ist eben nicht.

1000 Küsse       Deine Lotti.

Der Brief mußte so schnell abgebrochen werden, weil er noch in den Postkasten um 5 Uhr soll.