Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 25. Januar 1942

den 25.1.42

Mein lieber Mann

Heute morgen kamen drei Briefe von Dir an, vom 17. und 18. datiert. Ich habe mich sehr gefreut, denn, denk mal, ich hatte Dein langes Schweigen (vorigen Sonntag war die letzte Post gekommen), Deine Krise, in der Du stecktest, alles mit mir in Zusammenhang gebracht. Dass bei Euch der Schiffsverkehr eingefroren war, konnte ich mir ja denken, aber dass das Kurierflugzeug dazu abgestürzt war, natürlich nicht.

Ich fühle so sehr mit Dir und Deinem seelischen Zustand. Weißt Du, es ist auch die Aussichtslosigkeit, oder vielmehr Ungewissheit der Länge des Krieges, die einen so drückt. Wie kann ich Dir helfen?

Ich will Dir auf jeden Fall, soweit es meine Zeit erlaubt, lange und bis ins Kleinste gehende Briefe, auch was mich persönlich betrifft, schreiben, denn unser Kontakt muss doch gewahrt bleiben, und darum hätte ich auch gerne, wenn Du mir alles schreibst, was Du meinst, was von der Seele runter muss. Dabei brauchst Du nichts auszunehmen, von dem Du meinst, es sei nicht erfreulich Dass wir jetzt im dritten Kriegsjahr alle beide nicht immer nur in Vergnügen und Freude leben, wissen wir und wenn Du damals sagtest, ich solle Dir ruhig alles schreiben, denn Du seiest ja mein Mann, so ist es bei mir umgekehrt, denn ich bin Deine Frau.

Wenn ich Dir diese Woche schon mal einen knötterigen Brief geschrieben habe, so hat auch diese Stimmung nicht lange angehalten. Heute bin ich durchaus wieder in der Stimmung: „Ich weiß nicht, was mir so gefällt in dieser engen kleinen Welt“, trotzdem diese enge kleine Welt heute schon ihre Explosionen hatte. Z.B. haben meine Töchter meine Wolljacke verbrennen lassen, und als wir heute morgen runter kamen, stand der Hausflur unter Wasser. Wir hatten die ganze Woche 20 Grad kalt und heute Nacht plötzlich Tauwetter, und da war ein eingefrorener Kran plötzlich losgelaufen.

Überhaupt diese Woche mit ihren zwanzig Grad. Wenn Du schreibst, Du hättest überhaupt keine warmen Füße mehr, dann geht uns genauso oder ging vielmehr. Alle Zimmer, die nicht geheizt waren, waren unter Null, im Badezimmer froren nasse Windeln auf der Fensterbank derartig fest, dass ich sie mit dem Hammer losschlagen musste, die Klos waren eingefroren, dass ich mit den Thrönchen immer zwei Etagen runter turnen musste. In der Küche hatte sich am Fenster eine dicke Eisbarriere gebildet, im Esszimmer hatten wir vier Grad, in den Kinderzimmern nachts zwei, trotz Heizens. Nur das Wohnzimmer war einigermaßen, und weil wir nun die Hausarbeit machen mussten, hatten wir den Tag über davon nichts und haben uns als halberstarrte Schneemänner im Haus rumbewegt. Die Kinder heulten natürlich alle fünf über die Kälte. Und dazu haben wir im Akkord Kohlen geschleppt und haben festgestellt, dass das erste, was ranmuss,

wenn es irgend möglich ist, eine Heizung ist.

Gestern abend um 10 Uhr kam die Mu an, und wir haben uns alle doll gefreut. Ich konnte sie nicht von der Bahn abholen, weil ich die Ankunftszeit nicht wusste, und nun kam sie klein und dürr im dicken Schnee an. Sie klagte über heftige Schmerzen beim Atmen in der rechten Seite, und heute morgen musste sie mit 38,5 im Bett bleiben. Nun liegt sie da oben im kalten Schlafzimmer, und ich habe mir eben von Dr. Schampel Verhaltungsmaßregeln geben lassen. Er kommt morgen früh, und je nachdem will er sie dann im Krankenhaus unterbringen, weil dort geheizt ist. Nun haben wir noch einen Patienten dabei. Der arme Dr. Schampel kommt auch durch die Krankenbesuche kaum durch, weil er kein Benzin hat, und Dr. Monar stiefelte heute nachmittag auch zu Fuß durch den dicken Schnee und machte seine Besuche. Sein Paket krieg jeder in diesem Krieg.

Abends

Die Hauptsache wäre für heute getan. Das Thermometer ist von 3 Grad Wärme in einer Stunde auf sechs Grad Kälte gefallen, und nun haben wir wieder dicken Frost. Es hatte gerade gelangt, um auf der Halben die Leitung platzen zu lassen.

Heute abend will ich nun im Brief recht lange bei Dir sein, wenn auch wahrscheinlich nicht viel Gescheites dabei herauskommt. Aber das muss Dich dann wieder für ein paar Tage trösten. Aber Du, schreibe Du mir bitte auch, wenn Du keine Post bekommst. Ich weiß ja selber, dass man, wenn man länger gewartet hat, erst meint, schreiben zu können, wenn der andere erst wieder was von sich hat hören lassen, aber ich stelle mir dann irgendein Zusammensein von uns vor, und dann geht es doch.

Ach, Harald, drücke beide Daumen, dass ich durchhalte und nicht schlapp mache. Meine Gemütsverfassung ist bei allen Widrigkeiten immer noch verblüffend gut, eben weil ich will und abends als stille Reserve meine Bücher habe, aus denen ich mir neuen Mut hole, aber manchmal meint man, man könne es körperlich nicht durchhalten, und da habe ich Angst vor.

Die Mu hat heute abend 40,2, und ich habe rechte Sorge. Morgen früh kommt Dr. Schampel.

Die Aussicht,, bei der Firma Fritzen unterzukommen, scheint doch ziemlich fest zu sein. Hans meint, er habe sofort eine Stelle für Dich, wenn Du aus dem Krieg kämst und die Firma hat ja überall Zweigstellen. Es wäre eine leitende Stelle, die er dann für dich hätte und Thea meinte zu Mu, 1000.- bis 1200.- monatlich wäre das einkommen. Wäre das nicht eine schöne Aussicht, auch für alle unsere Kinderchen? Blos, dass man augenblicklich keine Pläne schmieden kann, ist so dumm. Gerd Ziemer muss diese Woche übrigens auch wieder, und nicht gerade leichten Herzens, weg. Vinzent Weber bewacht Gefangene Russen in Stettin und ist im übrigen Professor in Danzig geworden.

Heute nachmittag habe ich, weil es Sonntag war, mir nach Wochen mal wieder die Zeit genommen und bin um halb zwei rasch ins Kino gelaufen. ´Jenny und der Herr im Frack´, eine Kriminalkomödie, aber recht niedlich gespielt mit Johannes Heesters, Paul Kemp als köstlichem Briefmarkensammler, Oskar Sima als Hochstapler in der Maske eines Kirchenfürsten und Hilde Hildebrand, Ich war so richtig mit Vergnügen bei der Sache und völlig entrückt. Dann schmeckte mir die Arbeit wieder gut.

Alarm haben wir seit Wochen nicht mehr gehabt. Der letzte war am Abend nach Deiner Abreise.