Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 8. Februar 1942

den 8.2.42

Mein lieber Mann!

Es ist Sonntagmorgen gegen halb zwölf. Meine Arbeit ist soweit fertig, dass ich zwischen ihr und dem Füttern von Jürgen zwanzig Minuten habe, um Dir zu schreiben. Es soll ein lieber Brief werden, der Dir etwas von der Behaglichkeit gibt, die heute in unserem schönen Wohnzimmer ist. Draußen sind leider immer noch acht Grad Kälte, die Fenster sind halb zugefroren, aber eine leichte Sonne scheint, und der Ofen glüht. Es ist also alles da, was man zur Behaglichkeit braucht. Die Kleinen spielen oben, Heidi ist in der Kirche und Helga bei Omi Endemann, gestört werde ich also nicht werden.

Ich habe vorhin den Aufsatz von Dr. Goebbels, Wandlung der Seelen, im Radio, gehört, der uns ja in keiner Weise irgendwelche Illusionen macht über das Schwere, dem wir entgegengehen, und immer wieder predigt, dass wir hart werden müssen und uns mit Gelassenheit wappnen müssen gegen alles, was kommt.

Das Wort Gelassenheit ist vielleicht das Richtige, und auch Du und ich brauchen uns keine Illusionen darüber machen, dass das, was wir jetzt so schwer empfinden, ein vorübergehender Zustand ist, sondern dass wir vielleicht noch mehrere Jahre so durchackern müssen, ehe wir hoffentlich wieder an den schönen Teil unseres Lebens kommen. Und nur, wenn wir die Nerven nicht verlieren und nicht gegen ein Dasein revoltieren, das wir ja doch nicht ändern können, können wir uns vielleicht mit heiler Haut (die in diesen Fall in übertragenem Sinn gemeint ist von mir) in eine für uns schönere Zukunft retten.

Das ist nun aus dem behaglichen Brief geworden - -- eine Predigt über unsere innere Krise. Aber weil es mir sofort in die Maschine gerutscht ist, merkst Du vielleicht, dass es mir wirklich kein Haar besser geht wie Dir und dass ich auch diesen Druck mit mir rumschleppe.

Sei es, wie es wolle, das, was wir für uns persönlich aus diesem Ganzen herausholen können, ist zuerst, dass wir unsere Arbeit mit Interesse und Freude tun, denn außer ihr gibt es ja nicht viel anderes, worauf man seine Freude richten, kann und in dem bisschen Freizeit sich an Film oder Buch freuen und, wie Fontane sagt, ‘im Kleinen und Kleinsten so viel herausschlagen wie möglich und ein Auge dafür haben, wenn die Veilchen blühen oder das Luisendenkmal in Blumen steht‘.

Das steht übrigens in dem großartigen Gespräch zwischen Instetten und Wüllersdorf, und sobald die Feldpostsperre wieder aufgehoben ist für Päckchen, schicke ich Dir Effi Briest (soll ich?) Dann hast Du wieder was, an dem Du Dich

seitenweise freuen kannst, und ich glaube, seit unserem gemeinsamen Lesen hast Du Effi Briest nicht mehr in der Hand gehabt. Ich schon mindestens ich weiß nicht wie oft, und eben, als ich das Gespräch nachschlug, merkte ich, dass ich schon wieder in dem Buch lesen kann und freue mich darauf. Sowas, die kleinen Freuden herauspicken, wenn‘s im Großen nicht geht, nennt Fontane ‘Hilfskonstruktionen‘.

Übrigens hätte ich nichts dagegen, wenn solche ‘Hilfskonstruktionen‘, nämlich Briefe von Deiner Seite, etwas mehr kämen. Dass wir nun mal weit auseinander sind, mit dieser Tatsache müssen wir uns abfinden, aber ich sehe nicht ein, warum wir (mich nehme ich ja aus, denn ich schreibe ja trotz vieler Arbeit fleißig) nun auch in Briefen auseinander kommen müssen. Es gibt genug, das wir miteinander besprechen können, also können wir auch schreiben, und die äußeren Erlebnisse sind blos das Rankenwerk. Mich interessiert ja auch außer dem, was Du erlebst, das Wie und Deine Ansichten und Stellungnahmen zu allem möglichen.

Und nun ist es über die Zeit, und mein Sohn wird gefüttert, heute nachmittag wird der Brief zum Schluss gebracht. - - -

Aus dem Nachmittag ist nun doch Abend geworden, und ich bin so herrlich müde, dass ich höchstwahrscheinlich um neun in die Falle kriechen werde, denn irgendwas Aufmunterndes kommt doch nicht mehr. Ich baue mir ein förmliches Nest aus beiden Plumeaus und beiden Steppdecken und werde dann so herrlich warm. Und dann denke ich jedes Mal an den Winter vor zwei Jahren und wie wir uns da zusammen ein Nest kuschelten. Und voriges Jahr.

Und damit wird der Brief zum Schluss gebracht. Übrigens hat Frau Schwinger heute ein Töchterchen bekommen und Frau Pfarrer Böhm das fünfte Kind. Schwester Meta gab eine prächtige Schilderung, als sie gestern mit mir auf dem Flur im Krankenhaus stand. Sie meinte, so, wie sie sich jedes Mal gefreut habe, wenn ich wieder ein Kind kriegte, so sei die Fortsetzung von Frau Böhm schon überreichlich. Und der Meinung schließt Du Dich wohl auch an. Viele liebe Küsse , Deine Lotti