Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 2. Mai 1942

den 2.5.42

In hübscher Feierabendstimmung kriegst Du einen Brief. Ich war mit der Mu zum 'Sechs-ührchen' im Hotel Rheinland (Mutter hatte im letzten Augenblick keine Lust mitzugehen), weil heute ja, wie Tante Grete sagen würde, 'so ein halber schäler Feiertag' ist. Wir waren uns alle den ganzen Tag nicht darüber klar, ob nun Samstag oder Festtag ist, aber dann hat sich der vorgeschriebene Festtag doch durchgesetzt.

Ins ´Rheinland´ wollte ich, weil es irgendwie noch ein Rückschlag von Deinem Hiersein war, Weißt Du, wenn ich so denke, dass es September werden kann, bis Du kommst, könnte man die Lust verlieren. Aber erstens tut man das nicht, und zweitens hilft es auch nichts. Ich bin jetzt nur gespannt, ob aus meiner Reise zu Dir etwas wird. Gegen Anfang Juni würde es auch insofern gut passen, als dann Hansi hier ist und den Omis helfen kann, die Kinder bei Alarm in den Keller zu bringen. Das war immerhin etwas, was mich beunruhigte.

Weil ich es dieses Jahr mit meinen Händen habe, habe ich mir vorgestern meine linke Hand verstaucht. Ich dachte erst, es ginge vorüber, aber es wird immer schlimmer, und ich muss doch wohl durch Dr. Schampel Schampel die Sehne richtig renken lassen, denn ich kann mit der Hand nichts tun. Und Heidi scheint am Finger einen Umlauf zu kriegen. Schön, was?

Der Weidenstock ist auch schon in Aktion getreten. Zuerst bei Klaus und dann bei Helga. Bei beiden schlug dieser unerwartete Schmerz (denn sie kannten ja nur meine Hand) in eine furchtbare Wut um und ich habe zum ersten Mal in beiden Gesichtchben förmlichen Hass gesehen. Klaus hielt dann den Stock fest, dass ich ihn nicht mehr entwinden konnte und die Omi zu Hilfe rufen musste, und Helga kriegte einen wahren Wutanfall, lief raus und warf Steine gegen die Fenster, und als sie darauf nochmal Dresche bekam, fing sie an, sich auf dem Flur vor Wut auszuziehen.

Dann sperrte ich sie in das Mädchenzimmer zum Nachdenken, und dann kam das Erwartete, sie schmiss den großen Karton voller Kinderschuhe einzeln gegen die Wände.

Nach einer Stunde schloss ich auf. Sie saß oben auf dem Fensterbrett, und ihr Gesichtchen war Gespanntheit, Trotz und Abwehr, was ich zu der Bescherung sagen würde. Ich sagte aber nur ruhig, dass sie Kaffee trinken solle, und als sie das Wort Helgachen hörte, stürmte sie auf mich los und hielt mich lieb, und dann meinte ich, sie solle doch zuerst die Schuhe wegräumen, und ich hatte das liebste Kind von der Welt.

Klaus versichert mir aber seit vorgestern, dass ich seine allerliebste Mutti bin, jede Stunde, und dass er lieber nie wieder unartig sein will. Er meint, das wäre ein richtiger Zauberstock, der einen so artig machen würde.

Seit Deinem Weggehen regnet es nun, und wir haben nur fünf Grad Wärme.

Sonntag

Heidi hat einen richtigen Umlauf. Sie klagte heute darüber, dass ihr die anderen Finger noch weher täten als der kranke. Das ist ein sicheres Zeichen. Sie hat fast die ganze Nacht geweint. Ich hörte es, weil sie in Deinem Bett schläft. Nächste Woche kommt Helga dann dran. (Hoffentlich nicht mit Umlauf.)

Es ist so kalt geworden, dass wir nun alle Zimmer wieder geheizt haben. Anthrazit habe ich auch wieder bekommen. Leider kostet er mich wieder 40.- Mk. Und weißt Du, was die Schuhe kosteten, die wir damals zusammen zu Schuster Prassel trugen? 16,50 Mk. Das Geld kollert mir nur so aus der Tasche.

Mutter hat heute einen Brief von Elisabeth Credée (?) bekommen. Detlev Banthien hat sich heimlich zu den Fliegern gemeldet, trotzdem er erst im nächsten Jahr das Abitur machen müsste, und erschien bei ihr plötzlich in Fliegeruniform. Der älteste Sohn vom Hanni hat sich beim Spielen das Auge verletzt und liegt seit Ostern in der Klinik. Das Auge ist wohl verloren.

Helga kriegt an jedem Finger dicke rote Beulen. Ich werde, wenn ich morgen zu Schampel gehe, alle beide mitnehmen. Viele liebe Küsse, Deine Lotti

Fülle bitte den Bogen wegen Salvinis Mauerrissen aus.