Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 15. Mai 1942

den 15.5.42

Liebster, ich saß im Schummrigen und beschäftigte mich in einer friedlichen und ausgeglichenen Stimmung mit meinen Gedanken über alle mögliche und auch mit Dir und dann fand ich, dass ich mich doch auch etwas realer Dir widmen muss, wenn ich auch nicht viel sehr Wichtiges und Wissenswertes weiß. - Aber warum schreibst Du nicht? Ich bin jetzt den zehnten Tag ohne Post, und irgendeinen Grund muss das doch haben. Kannst Du Dir denken, dass man sich dann sorgt?

Frau Thelen näht mir jetzt Deinen Stoff aus Holland und noch ein Rot-weiß-kariertes, das ursprünglich eine Gartentischdecke werden sollteund von der Mu stammt. Helga hat auch zwei sehr niedliche Kleidchen bekommen, eins aus einem alten von Hansi und eins aus einem alten Leinenkleid mit den Zackenlitzenkragen. Das Kleid war ja noch heil, aber es war, oder vielmehr der Stoff, war bei mir schon neun Jahre alt geworden, und ich mochte es nicht mehr.

Die Briefe von Franz Marc sind für mich eine Errungenschaft, und ich lese oft am Tag darin. Ich gebe sie nicht mehr her, besorge sie Thea aber auch.

Von Kolbach bekam ich heute einen Brief, dass er das Konto auf der Deutschen Bank nicht mehr haben will, ich solle die Mieten auf mein Konto gehen lassen. Das passt mir einesteils nicht, weil ich dann nie im Bilde bin, aber ja schließlich jeden Monat überwiesen, andererseits

sehe ich auch nicht ein, warum ich die Kosten für ein Geschäfts-Konto selber zahlen soll. Was meinst Du?

den 15.5.42

Eben kam Dein Brief und jetzt weiß ich auch, warum Du nicht geschrieben hast. Bist Du wieder über den Berg? Kannst Du in solchen Fällen nicht mal anrufen oder, wenn etwas schnell gehen soll, einen frankierten Brief mit der Normalpost schicken?

Ach Pappi, die Vorsorge für den Winter!! Obst (Erdbeeren Pflaumen, Kirschen, Johannisbeeren usw.) wird bewirtschaftet. Spargel selbstverständlich. Aber trotzdem werde ich sehen, was sich machen lässt. Marmelade werde ich nur bestimmte Mengen (Zucker) einmachen können, weil es Pfund auf Pfund gehen muss. Opekta gibt es nicht. Außerdem haben wir hier ein Maikäferjahr und am Bodensee ebenfalls. Mit Hüllen setze ich mich auf jeden Fall in Verbindung. Frau Thelen habe ich auch mobil gemacht. Sie sagt aber, dass z. B. in den Stachelbeeren ganz furchtbar die Raupenplage sei, so dass sie ganz kahlgefressen würden.

Wir müssen uns auf jeden Fall mit einer stoischen Ruhe allem, was kommt, gegenüber wappnen und uns immer wieder klar machen, dass das eben mit zu einem Krieg gehört und alles hoffentlich nur ein vorübergehender Zustand ist.

Du machst mich neugierig auf den Poststempel und schriebst: Bitte prüfe! Was soll ich prüfen. Oder hattest Du den Umschlag mitgeschickt? Der Umschlag von Dir war nämlich auf der einen Seite aufgeschlitzt.

Daß Du kein Geld mehr schicken kannst ist schade aber verständlich. Schade, dass die Zahlungen nicht mehr dann so schnell gehen, denn ich muß zu meiner Schande gestehe, ich brauche den Familienunterhalt jetzt so ziemlich ganz. Das Leben wird blödsinnig teuer. Für vier Büchsen Milch, die wir zugeteilt bekamen, habe ich drei Mark bezahlt. Und dann habe ich verschiedene Anschaffungen machen müssen wie Strümpfchen, Hemdchen, Höschen und das sind bei Fünfen immer Ausgaben. Dazu vier Geburtstage und zwei von den Kränzchendamen, na ja usw. Weißt Du, ich möchte doch mal so einen ordentlichen Kümpel Geld für mich haben. Ob uns das mal passiert?

Dir lege ich jetzt Zigaretten bei. Im nächsten Brief schicke ich wieder welche. Mein Kognak ist leider alle. Richtig schade ist das.

Draußen steht der Rotdorn in voller Blüte, und der Flieder hat schon die Neigung zum Verblühen. Aber es wird nicht mehr lange dauern, und die Rosen kommen. Das erste Gras ist auch schon in den Gärten geschnitten, und das riecht ja herrlich.

Morgen kommt ein Mann und verstellt die Schränke in den Kinderzimmern. Ich richte jetzt ein Jungen-und ein Mädchenzimmer ein, denn Klaus wird allgemach zu groß. Da die Zimmer nun jedes einen Ausgang zum Flur haben müssen,

muss jetzt die Verbindungstüre zugestellt werden. Das gibt im Winter dann noch Fragen wegen einer Erwärmung der Zimmer, aber vielleicht wird es auch nicht so kalt. Außerdem soll man heute sowieso nicht mehr auf so lange Zeit vordenken.

Dass Wilhelm Lichtschlag nach Jever kommt, freut mich für Dich. Dann könnt ihr beide ja wieder hinter den Vögeln herjagen.

Meinst Du, ich solle kommen? Weißt Du, ich weiß nicht richtig, wo ich die 250.- Mk. dazu hernehmen soll. Wenn ich sie bei der Mu liehe, müsste ich sie ihr ja auch mit 50.- Mk monatlich zurückgeben und hätte fünf Monate daran zu beißen. Und im Monat so schrecklich knapp leben ist auch nicht schön. Wenn man es wegen der Abzahlungen tut, hat es ja irgendeinen Sinn, aber die kommen dadurch ja auch wieder um diese Summe ins Stocken. Ich bin manchmal so unentschlossen. Sag Du Deine Meinung. Und wenn ich reisen würde, wäre es bald? Denn Deine Mutter will ja auch fahren. Sie hat sich jetzt für Nassenerfurt entschlossen und Melsungen.

Ich denke, dass nun doch wieder öfter Post kommt. Daraufhin kriegst Du jetzt schon einen Kuß. Deine Lotti