Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 24. Mai 1942

den 24.5.42

Liebster!

Das war ja nun gerade keine schöne Pfingstnachricht, die ich heute bekam, und sie passte gerade zu dem Wetter. Ich hatte mich auch so gefreut, dass Du nun zu meinem Geburtstag hier sein solltest. Wenn man sich innerlich auf einen Termin eingerichtet hat, dann kommen einem vierzehn Tage später wie eine Ewigkeit vor. Wenn es wenigstens acht Tage wären, damit wir den Geburtstag noch zusammen feiern könnten.

Was macht der Bluterguss? Meine Hand ist wieder in Ordnung, sonst würde ich nicht Schreibmaschine schreiben. Das ist aber der erste Brief damit, und an mehr wage ich mich heute noch nicht.

Draußen regnet, vielmehr gießt es, und ich hatte mir den ersten Pfingstfeiertag anders vorgestellt. Weil aber hinten ein blauer Fleck ist, kann es immerhin möglich sein, dass das Wetter doch noch schön wird. Dann können wir wenigstens unseren Rhabarberkuchen auf dem Balkon essen.

Helga und Mutter sind gestern nach Düsseldorf gereist. Ich hatte zuerst gedacht, ich könne Helga damit eine tolle Freude machen. Und da macht das Blag ein langes Gesicht und meinte, sie hätte gedacht, sie dürfe Pfingsten bei mir bleiben. Aber wie ich ihr dann recht nett ihre Sachen packte, bekam sie zum Schluss doch etwas Lust, wenn auch nicht gerade viel.

Hatte ich nicht geschrieben, dass Ursels Geburtstag richtig mit Tisch, Einladung usw. gefeiert wurde? Es gab aber nur Kuchen zum Kakao und keinen Pudding abends für die Gäste. Das konnte ich nicht mehr. Ich bin überhaupt so knapp, dass alle meine Vorräte an Nährmitteln aufgegessen sind. Ich habe noch für eine Mahlzeit Gries, damit ist meine Nährmittelkarte erschöpft. Was böser ist, ist, das meine Brotkarten bis auf ein halbes Graubrot und vielleicht 10 Brötchen erledigt sind. Wie ich alle sonst sattkriegen soll, weiß ich nicht. Die Kartoffeln reichen ebenfalls nicht bis Donnerstag, und dabei haben alle einen derartigen Appetit, dass, wenn die Schüsseln leer sind, keiner satt geworden ist. Ich muss jetzt dazu übergehen, die Brotschnitten abzuzählen. Mehl zum Backen und für Spätzle bekommt man nur noch auf die Kuchenkarte, und dass das nicht viel ist, kannst Du Dir denken.

Ich glaube, heute mittag wird es doch noch schön, denn der Himmel ist auf einmal überall blau. Blitzblau sogar, und das sieht hinter dem blühenden Rotdorn aus wie ein Postkarten-bild.

lm Garten blühen Herrn Beckers Schwertlilien. Sie haben reichlich Knospen angesetzt. Unsere tun es dieses Jahr wieder nicht, und weil sie ja nun immerhin alt sind, werden sie auch wohl keine mehr bekommen. Ich denke,

Du wirfst sie raus und pflanzt an den Platz irgendetwas Blühendes. Die Rabatte ist aus dem schönsten Blühen jetzt raus und sieht besonders nach dem Regen ziemlich struppig aus. Ich lasse sie aber, bis Du kommst, damit Du Dich damit befassen kannst. Das wird Dir auch wohl das Liebste sein.

Ich hatte auch schon mal daran gedacht, zu Thea zu reisen, aber den Plan dann wieder aufgegeben, weil ich ja schliesslich und endlich das Geld für eine Reise nicht übrig habe. Eine Reise zu Dir hätte noch ihre Berechtigung gehabt, aber eine andere schliesslich nicht. Sonst hätte ich auch schon mal an eine Reise nach Süddeutschland gedacht zu Tante Klare in Metzingen.

Auf die Wanderung nach Ittenbach freue ich mich auch. Dann wandert auch direkt Vaters Anzug mit, dass ein Jackenkleid daraus wird.

Sag mal, wie erklärst Du es Dir eigentlich, dass der Engländer so verblüffend wenig kommt? Wir haben noch nie so wenig Alarm gehabt wie jetzt. Ich habe ja nichts dagegen, aber ich kann mir eigentlich auch nicht denken, dass der schöne Zustand bleibt.

Ach Harald, das olle Briefschreiben ist doch manchmal nicht das Richtige, besonders dann nicht, wenn ein so naher Urlaub in irgendwelche Fernen entweicht.

Din Lött.