Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 26. Juli 1942

den 26.7.42

Mein liebster Mann!

Ein Teil des Sonntagnachmittags gehört Dir mit dem versprochenen Brief. Es ist noch geradezu traumhaft, dass ich wieder zuhause bin. Trotzdem ist es wunderschön, bis auf das Herzweh, dass ich von Dir fort bin und die Ungeduld auf das nächste Wiedersehen. Ob es vielleicht doch schneller kommt wie erwartet? Der Brief gestern mit dem Schreiben der Stadt sitzt irgendwie wie ein Hacken in mir und Ungeduld, Sehnsucht und zärtliches Gefühl hängen daran. Abgesehen davon kann ich wirklich nicht verantwortlich übergeben.

Soll ich nun chronologisch berichten? Dann muss ich zuerst sagen, dass der Abschied wieder scheußlich war. Der Moment des Abschiednehmens ist nicht so schlimm wie die Zeit hinterher, wo einem dann zum Bewusstsein kommt, dass alles vorüber ist. Ich musste gewaltig mit den Tränen kämpften. Und wie oft kommt wohl noch wieder die Trennung? Aber freuen wir uns über jede Erinnerung, die wir dann auf jeden Fall als Unverlierbares haben. Ach Pappi!!!!

Der Zug von Sande nach Bremen wurde dann sehr voll und war es auch schon, weil er ja von Wilhelmshaven kam und nach Berlin fuhr. Noch voller wurde der Hamburg-Köln-Zug, der teilweise so voll war, dass die Leute mit ihren Koffern durch die Fenster mussten. Ich hatte bis Münster keinen Platz, uneigentlich doch, weil mir ein junger Herr seinen gab. Und bis Köln hatte ich dann wieder einen. Aber der Zug von Köln nach Godesberg!!!!!!! Himmel!!!!! Es waren die kleinen Abteile, und es saßen auf jeder Bankreihe nicht nur sieben Personen, sondern es standen in dem Raum dazwischen von Fenster zu Fenster 16 Mann!!!!!!!!! Und das in dem Abteil. Und fast so viel Menschen standen noch auf dem Bahnsteig, als der Zug abfuhr. Jetzt verstehe ich, dass Hans Schultz, statt mit diesem Zug zu kommen, die Rheinuferbahn benützte. Aber die Rheinuferbahn fuhr dieses Mal, weil in Bonn Fliegeralarm war, in Köln nicht. Siebenmal in den letzten drei Tagen war hier Alarm, aber wahrscheinlich immer nur Aufklärer. In der Nacht hatten wir dann wieder Alarm und heute morgen um halb neun wieder. Aber immer durchaus harmlos.

Ich bin doch sehr froh, dass ich den Koffer aufgegeben hatte. In dem übervollen Abteil nach Godesberg hatte ich aber sogar einen Eckplatz nach vorwärts, weil ich zufällig bei dem Gedränge die Erste im Wagen war.

Auf den Bahnhof standen dann Omi und die Vier. Das Geschrei kannst Du Dir denken. Aber ich war nach der langen Abwesenheit doch entzückt, wie unsere Kinder aussahen. Alle gut aussehend und frisch. Das Haus war wunderbar hergerichtet und der Ton zwischen Omi und Lisbeth reizend. Lisbeth ist jetzt völlig zuhause. Mit der Ernährung haben sie es auch besser, denn Hüllen hatte sie mit Kartoffeln versorgt, und Lisbeth hat infolgedessen trotz der vielen Arbeit vier Pfund

zugenommen. Die Kinder haben sich so wohl gefühlt, dass Helga mir gestand, dass sie mich nicht vermisst hätten. Aber süß war doch Jürgens Freude. Als er mich sah, schrie er Otto, Otto und schluchzte zwischendurch vor Freude. Er hat aber jetzt eine andere Tour, er haut nicht mehr, er kneift jetzt.

Der Ton ist wirklich reizend und die Gemütlichkeit selber. Die Mu ist voller Einfälle, die Mahlzeiten abzuwandeln, und alles ist immer so, als ob es was ganz Bevorzugtes wäre. Lisbeth ist hell begeistert und sagte, dass das Arbeiten mit der Mu eine wahre Wonne sei, weil sie nie den Kopf verlöre und komme, was da komme, immer vergnügt sei und auch jedes Mal einen Ausweg wisse.

Die Kinder haben bei Tante Hansi auch allerlei gelernt, z.B. Strümpfe stopfen. Hansi hat scheinbar sehr energisch gewirtschaftet, aber meine heimliche Befürchtung, dass sie Lisbeth dadurch vergrämen würde, ist auch nicht eingetroffen, denn Lisbeth jankt richtig hinter ihr her. Und nun ist sie im Wartburghotel. Mu hat mir ihren Brief vorgelesen. Sie hat in Frankfurt mit der ihr eigenen Energie die Omi Endemann in den Römer und ins Goethehaus geschleppt, aber auch der hat's scheinbar gefallen, denn sie war ganz glücklich, dass sie Hansi mithatte. Aber Melsungen scheint doch nichts für sie zu sein, genau so wenig wie die letzten Jahre. Heute kam eine ganz verzweifelte Karte, sie hat Heimweh, das Essen sei jammervoll, so dass sie sich nach unserem reichhaltigeren Essen sehnt, und unterschrieben ist die Karte: Eure traurige Omi Endemann. Das ist dann keine Erholung, und ich möchte sie doch gerne bei Dir oben wissen. Denn so geht das bisschen Nervenkraft, was sie im Krankenhaus gekriegt hat, gründlich wieder drauf.

Die Mu hat bei Hüllen zwei Zentner Möhren für den Winter bestellt. Etwas Stachelbeermarmelade ist auch eingemacht, und morgen kommen nochmal zwanzig Pfund. Mehr geht ja nicht, wegen des Zuckers.

Nun habe ich einen langen Brief geschrieben und das Wesentlichste doch nicht. Und das wäre ein richtiger Liebesbrief. Ich möchte Dir so gerne sagen, wie ich es empfinde, wie wir zusammen gehören und wie gerne ich bei Dir bin und zwar in Deiner allernächsten Nähe. In Gedanken lege ich immer wieder die Arme um Dich. Ach Harald, lieber, lieber Harald, lass uns immer mehr, auch geistig zusammenkommen. Nichts auf der Welt ist doch so schön als einen Menschen ganz für sich zu haben.

Immer wieder kommt eins von den Möpsen und hält mich lieb. Eben ist es Ursel, die ein Liedchen singt, das Tante Hansi ihnen beigebracht hat:

Mein Schatz hat Gäns' ausgetrieben,
ist d'Nacht draußen geblieben,
wenn ich nur die Gäns' wieder hätt,
´s Schätzel brauch ich net.

Ist das nicht nett?

Nun höre ich auf, denn jetzt sind glücklich drei im Zimmer, außerdem kommt die Abendessenzeit. Mit einem anderen Brief schicke ich eine Makaren-Zeitung und etwas Geschäftliches.

Din Lött.