Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 21. August 1942

den 21.8.42

Liebster Mann!

Draußen singen die Blitzmädels: Der Fritz schreibt an die Annemarie, der Karl schreibt an die Rosemarie, und ich, ich schreib an Dich, und ich stelle dabei fest, dass das das erste Mal ein anderes Lied ist, und ich zweitens den für Dich vorgenommenen Brief heute noch nicht geschrieben habe. Und das tue ich nun hiermit. Denn Du sollst doch nicht nur geschäftliche Briefe von mir kriegen.

Das Radio habe ich schnell wieder abgedreht, denn ich bin da in ein Fragment eines Briefes von Robert Schumann an seine Frau reingeraten und habe wider Willen zugehört, und das hat mich nun wieder in meinem Brief an Dich gestört. Was sich doch in der Welt von Mann an Frau und umgekehrt zusammengeschrieben wird. Und wir tragen nun zu dieser Literatur wider Willen einen großen Teil bei, denn die beiden Soenneckenordner, einer für Dich, einer für mich, sind schon fast voll. Wobei meiner ein gutes Stück dicker noch als Deiner ist. Nochmal zwei Jahre, und wir müssen vielleicht eine Extrareihe im Regal dafür anlegen.

Die Nachrichten habe ich heute (wir haben jetzt fast sechs Uhr) n-och nicht gehört. Vielleicht ist inzwischen wieder was Weltbewegendes passiert. Aber manchmal will ich auch gar nicht, dann interessiert mich dieser ganze Krieg nur an der Peripherie, und ich finde meine persönlichen Interessen viel interessanter. Und dann ist er auch langsam ein bisschen lang.

Herkenraths sind immer noch da. Wie lang sie noch bleiben, weiss ich nicht. Trude hat nur der Mu erzählt, sie habe der Mutter geschrieben, sie solle bald zurückkommen, damit sie auch noch eine Weile mit ihr zusammen sind. Dann werden sie wohl noch über acht Tage bleiben. Ich mag ja Herkenraths sehr gut leiden, aber eine Belastung ist es doch, ein besuch auf so lange Zeit und eine, wenn auch nicht grosse, pekuniäre dabei.

Ab nächster Woche gibt es außer Margarine kein Kochfett mehr, weder Speck noch Schmalz noch Oel. Das wird ein mageres Kochen werden, denn die Margarine fettete ja sowieso nie. Schweinefleisch wird es auch auf Monate raus nicht mehr geben, nur Ochsenfleisch. Schweinefleisch oder magerer Speck auf Fleischkarten, das waren immer so Hilfsstützen. Ich nehme aber an, dass alles Fett für die Soldaten, besonders im Norden und Osten, bleiben muss.

Harald, ich habe noch so über Dich nachgedacht. Ist dieser doppelte Dienst immer noch? Die Hetzerei zwischen Exerzieren und Schreibstube? Und hast Du mal wegen der Beförderung zum Unteroffizier auf den Busch geklopft? Auch bei den Soldaten muss man sich melden und durchsetzen, gerade auch, weil die anderen es mit der großen Klappe schaffen.

Wobei ich ja gerade nicht meine, dass Du Dir eine solche anschaffen sollst, aber immerhin weißt Du auch, was Du wert bist.

Ich muss zu Jürgen, der sitzt auf seinem Thrönchen und ist allein. Ich traue ihm nicht ganz. Heute morgen war er uns verloren gegangen, und das ganze Haus zog aus, um ihn zu suchen. Er war mit Brigittchen in den Rektoratsgarten gewandert, und die hatte ihn dort stehengelassen. Ich glaube, ich hänge ihm noch eine Hundemarke um, weil er ja noch nicht spricht und fast jeden dritten Tag gesucht werden muss.

Ich hatte Dir doch erzählt, dass alle vier im Strandbad waren. Gestern kam nun zufällig raus, dass Ursel dabei kopfüber in das große Bassin gefallen war, und die gerade vorbeikommende Tante Sowieso aus dem Kindergarten ist ihr dann mit einem Satz nach und hat sie rausgefischt. "lss habe aber darniss deheult.“

Alarm haben wir die letzten Tage weder Tag noch Nacht. Sicher haben sie oben an der Küste zu viel zu tun. Draußen ist es wunderschön. Die zu große Hitze ist durch ein Gewitter weg, und es wechselt der Tag zwischen strahlender Sonne und Wolken. Nach Tisch habe ich mich mit Klaus und Ursel auf die Bank am Römerplatz gesetzt, und wir haben gesehen, wie die Elektrischen vorbeifuhren und haben Heuschrecken und Spinnen beobachtet. Und Helga und Heidi haben jetzt freitags bei Tante Jakobine Singstunde und üben zweistimmiges Singen.

Auf Wiedersehen, liebster Mann, bis zum nächsten Brief. Aber nun warte ich, glaube ich, wieder erst einen von Dir ab.

In der nächsten Woche wird auch das Paket mit den vergessenen Sachen ankommen. Ich habe nun nichts für Dich dabei, was Dir eine Freude machen könnte. Die Zigarettenpunkte waren ja bis zum Zwanzigsten schon für Dich abgeschnitten, und was anderes gibt es nicht. Aber wenn Du mal Zeit für ein hübsches Buch von uns hast, das Du lesen möchtest, müsstest Du mir auch eine Zulassungsmarke schicken.

Nun gute Nacht,

Deine Lotti