Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 24. September 1942

den 24.9.42

Liebster Mann!

Anrufen ist doch etwas Schönes, auch wenn es manchmal ein teures Vergnügen ist. Aber ich weiß jetzt, dass es Dir gut geht, und nun gehst Du auch bestimmt zum Arzt. Und nun kannst Du wohl auch bald mal wieder schreiben, jetzt hast Du doch ein leichteres Leben.

Mir hatte der Film ´Frauen sind doch bessere Diplomaten´ auch gut gefallen. Besonders die Dialoge waren sehr nett und dann, und deshalb hat er wohl auch Dir so gefallen, war es etwas ganz anderes, eine unbeschwerte Welt im Gegensatz zu unserer. Und dann stören auch seine Schwächen nicht.

Bei uns flaut der Hochbetrieb langsam ab, was das Einmachen angeht. Ich hatte in den letzten Tagen 40 Pfund Birnen eingemacht, das Pfund zu 13 Pf. frisch vom Baum. Der Völzgen, der sein Grundstück auf der Beethovenstraße hat, verkaufte sie dort. Nun stehen über 70 Gläser in Reih und Glied im Keller. Schön, was? Aber damit ist auch der Gläservorrat bis auf ein paar kleine, für die ich keine richtige Verwendung habe, erschöpft. Hüllen will uns auch dieses Jahr die Kartoffeln bestimmt liefern. Er macht sie aber erst im Oktober aus. Und zwei Zentner Möhren bringt er auch. Möhren sind übrigens Mangelware.

Ach, Harald, ich meine, wir müssten wieder mal zusammensein. Das ewige Getrenntsein ist nichts und ich brauchte Dich manchmal so sehr als den, bei dem mir Rat und Hilfe wird und zu dem ich mit meinen krausen Sorgenkommen kann. Briefe sind doch ein schwacher Ersatz, besonders, wenn Du vor lauter Arbeit gar nicht auf meine eingehen kannst.

Unsere Tage hier verlaufen sehr betriebsam. Sie sind eigentlich doch sehr viel zu kurz. Jeden Abend, wenn ich mich zu Bett lege, habe ich wieder das dumme Gefühl, dass ein Tag vom Leben unwiderruflich weg ist und ich ein Stück näher am Tod bin. Es ist ein ganz scheussliches Gefühl, diese Unabwendbarkeit zu spüren. Abends sitzen die Mu und ich und flicken und nähen bis gegen zehn Uhr, denn zum Ausgehen ist es schon wieder zu dunkel, und am Tag, na, da weißt Du ja Bescheid.

Vorgestern nachmittag war ich zum Kaffee bei Frau Hillenbrand eingeladen, dem ersten nach langer Zeit, und mit mir waren da Frau Sprock, Frau Foegen, Frau Schwinger und Frau Stein. Und so was Nettes hat man früher öfter gehabt. Man sollte es auch jetzt noch tun, denn bei gutem Willen kann man eine allerbescheidenste Gastfreundschaft wohl ausüben, aber nicht nur ich, die anderen finden den Dreh aus der Hausarbeit zu so etwas nicht mehr. Man ist zu überlastet mit Haushalt und Kindern gegen früher, als dass man sich die Zeit nimmt, einen Nachmittag für Gäste zu opfern. Das soll nun nicht heissen, dass die Hausarbeit nicht schön ist,

im Gegenteil, aber das Andere, was auch schön war, vergisst man einfach.

Wie denkst Du Dir den Krieg weiter? Oder kommt er mal wieder zu einem gewissen Stillstand, um dann im nächsten Jahr, wenn es warm wird, wieder weiterzugehen? In der nächsten Woche sind es schon zwei Jahre, dass Du weg bist, und beinahe ist es einem auch wieder, als sei es erst ganz kurze Zeit gewesen, als ich Dich nach Bonn brachte. Ob Du im Oktober 43 immer noch die Uniform anhast oder ob Du schon Deine ersten Schritte in der Firma Fritzen tust oder wer weiss, was sonst los ist?

Denkst Du auch daran, dass Heidi am 18. Oktober Geburtstag hat? Sie ist so lieb. Sie wartet jetzt auf eine Antwort auf ihren ersten, selbständigen Brief. Ursel müsste auch mal wieder den Pappi sehen, aber mit dem Stock. Das Blag ist nicht zu bändigen.

Und Jürgen wird mir zu selbständig. Weißt Du, dass er über das Lattentörchen am Vorgarten mit einem Wuppdich klettert und weg ist? Mit drei Sätzen ist er drüber, immerhin eine Leistung für zwei Jahre. Und immer ist er weg. Milchfrau, Briefträgerin und andere Leute bringen ihn dann immer wieder, von der Stadt oder vom Rhein oder der Ubierstraße. Heute morgen, als ich ihn vor die Türe ließ, sagte ich noch zu ihm: "Dass Du mir nicht wegläufst", worauf er "doch" sagte und sich in Marsch setzte. Ich achtete nicht sehr darauf und weißt Du, wo wir ihn wiederfanden? An der Neuen Apotheke, dort hatte er Klaus und Ursel eingeholt und wollte mit ihnen in den Kindergarten. Klaus ist der Beste, den merkt man überhaupt nicht. Ich glaube, wenn er mein einziges Kind wäre, ich wüsste überhaupt nicht, dass ich eins hätte.

Mit Helga übe ich jeden Tag. Sie hat schon die hohen Noten und kommt nächste Woche an den Bassschlüssel. Nun hat sie sehr viel vierhändige Stücke auf. Das macht ihr aber Spaß, und ich wundere mich, wie schnell sie ein neues Stück erfasst.

Es ist gut, dass ich die Mu habe. Bei der sitze ich auch in der Kreide. Diesen Monat haben wir wieder mehr gebraucht, als ich durfte, weil viel eingemacht worden ist, und nächsten Monat werde ich sie wieder anpumpen müssen, denn dann kommen die Kartoffeln. 36 Zentner dürfen wir einkellern. Der Zentner wird wohl 4 Mk. kosten, dazu zwei Zentner Möhren, Zentner zu 6,-Mk. Und 50.- Mk. An Kassel, dann kannst Du Dir denken, was von meinen 295. Mk. übrigbleibt. Aber Wintervorrat muss geschafft werden, das ist ja auch Deine Meinung. Nur für Kohlen muss ich noch sorgen. Wir haben erst für 80,- Mk. im Keller, und das ist noch nicht viel. Bestellt sind sie, aber wann sie kommen, weiß niemand. Weder Düren noch Glitsch kann in absehbarer Zeit Eierbriketts liefern. Vorläufig habe ich nur Briketts und Anthrazith.

Ich lege Dir ein paar Zigaretten ein. Schreibe bitte, ob sie angekommen sind und die Fleischmarken. Heute gibt's Sauerkraut mit Blutwurst, das markensparende Essen

Viele liebe Küsse
Deine Lotti