Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 6. November 1942

den 6.11.42

Liebster Mann!

Aus dem Brief, den ich Dir heute nachmittag schreiben wollte, ist ein Abendbrief geworden. Die Freitagsbaderei der Gören habe ich hinter mir. Mein lieber Klaus und die ebenso liebe Ursel gewöhnen sich an: "Wenn Du das und das nicht tust, dann…, " und dann drohen sie mit allen möglichen erschütternden Dingen: Bettnassmachen oder Schuhe wegschmeißen oder nicht in den Kindergarten gehen oder so. Bei derartigen Diskussionen spricht dann aber Muttis Hand das letzte Wort. Was wohl meine Große jetzt in Düsseldorf macht? Ob sie so ganz alleine nicht Heimweh bekommt?

Und was wohl mein Mann jetzt macht? Im nächsten Urlaub müssen uns recht viele Stunden allein gehören, und wenn wir ganz früh ins Bett kriechen. Denn das allabendliche Zusammensein mit den beiden Omis unter der einen Lampe geht mir manchmal reichlich auf die Nerven. Manchmal. Und wenn ich daran denke, dass jeder der kostbaren Urlaubstage hier unter den ewigen gleichen und nichtssagenden Gesprächen vergehen soll, kriege ich jetzt schon Angst um die schöne verlorene Zeit. Und das kann ich Dir sagen, ich will mir recht viele Abendstunden mit Dir allein retten (der Tag ist ohnehin mit Pflichten gefüllt).

Das ist auch das, worunter ich jetzt oft leide, dass mir abends auch nicht eine halbe Stunde gehört. Ich habe es wirklich oft nötig, abends, und wenn es nur eine Stunde ist, für mich ganz allein im Zimmer zu sein, um innerlich frei zu werden und aus dem Alleinsein Kraft zu holen. Aber ich muss schon ins Bett kriechen, denn vor halb zwölf erheben sich die Mütter unter keinen Umständen aus dem Zimmer. Könnten sie nicht einmal etwas früher ins Bett gehen und mich dort sitzen lassen? Aber nein, wenn schon, dann heißt es: 'Na, mach, dass Du ins Bett kommst und verbrenne das kostbare Licht nicht, und außerdem hast Du morgen Deine Pflichten, also hopp!' Genau, wie man mit einem Blag umgeht. Das Zusammensein mit den Müttern ist ja hübsch, aber schlimm ist das ewige Aufeinanderhocken, und manchmal möchte ich geradewegs weglaufen und ein Leben für mich allein beginnen. Dabei hat Omi Endemann ihr hübsches Wohnzimmer, in dem sie auch mal mit der anderen Omi sitzen könnte.

den 7.11. 42

Es ist aber auch schrecklich. Nun geht dieser Brief genau einen Tag später fort, als ich wollte. Und ich

wollte Dich doch nicht warten lassen. Du bist aber auch nicht böse, dassich vorhin nach Tisch im Film war. Mit Frau Hillenbrand ´Fronttheater´. Es hat mich gefreut, dass so allerlei drin war, was mich an Dich erinnerte: Eure Uniformen und die Theaterabende mit den vielen Soldaten und der Abschiedsabend der beiden mit Abendkleid und einer Flasche Sekt. Mein lieber, liebster Mann....

Lass uns wenigstens dafür sorgen, dass wenigstens die Hälfte der Urlaubsabende uns ge-hören, das sind dann immer noch eine ganze Menge. Ich freue mich auf den Urlaub, weil er jetzt schon irgendwie handgreiflich wird, wenn es auch wenigstens noch sechs Wochen bis dahin dauert. Aber auf das Weihnachtsfest selber musst Du Dich nicht so freuen, oder vielmehr, Du darfst Dir nicht zu viel Illusionen haben. Wir haben das vierte Kriegsweihnachten, und das wird eben nicht so strahlend werden, was die äusseren Vorbereitungen betrifft. Die Kinder werden ja nichts vermissen, dafür sorge ich nach Kräften. -

Ich lese augenblicklich ein paar glänzende Bücher, an die ich mich nicht gewagt habe: Alja Rachmanowa: Studenten, Liebe, Techeka und Tod, Ehen im Roten Sturm, als Milchfrau in Ottakring und Jurka. Alles hintereinander. Es sind alles Tagebücher, die ursprünglich gar nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren.

Ach, Liebster, dieser Stoßseufzer heißt Schlussmachen mit dem Brief. Ich freue mich so auf Deinen Urlaub und werde ganz sentimental in Gedanken daran. Ich küsse Dich schon im Voraus ganz lieb,

Deine Lotti