Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 21. Dezember 1942

den 21.12.42

Mein lieber, liebster Mann!

Das wird nun der Brief, den Du höchstwahrscheinlich am Weihnachtsabend haben wirst. Darum bekommst Du zuallererst einen langen Weihnachtskuss auf den Mund, zwei auf die Augen und noch ein paar durchs ganze Gesicht, und dann setze ich mich auf Deinen Schoß, und wir beide denken an unsere vielen schönen Weihnachtsfeste, die wir zusammen verlebten, mit dem Teewagen mit den Bocksbeutelflaschen, an das erste, wie wir uns vor der Bescherung zurechtmachten, Du im Smoking und ich im Abendkleid, und Helga im Körbchen schlief. War es nicht immer schön?

Ich kann Dir ja von diesem Weihnachten noch nichts erzählen, weil es immerhin erst der 21. ist, nur dass ich hier im Wohnzimmer sitze, das Lisbeth und ich heute geputzt haben. Ich sitze im Sessel am Ofen und erschrick bitte nicht, ich habe die Schreibmaschine auf den Knien, ich kann nun mal so am bequemsten schreiben.

Jetzt habe ich fast zehn Minuten gedöst aus Müdigkeit und zwischendurch an den Stollen gedacht, der noch gebacken werden muss, und an den Kaufmannsladen, der noch gerichtet werden muss, und so allerlei. Außerdem muss ich gleich zu Biederbicks. So die richtige besinnliche Weihnachtsstimmung zum schreiben habe ich noch nicht, wohl die zum Arbeiten.

Gestern war ich mit den Kindern in den beiden Weihnachtsfeiern. Die vom Kindergarten war übervoll, und Klaus und Ursel mussten jedes ein Gedicht aufsagen. Das hatten sie mir vorher verschwiegen. Die Bescherung hinterher hatte durchaus noch nichts Kriegsmäßiges an sich: eine große Tüte mit Plätzchen, nur selbstgebackenen, tadellosen, und Bonbons und Quittenbrot und dazu für Klaus ein Bilderbuch, für Ursel ein Knetkasten und für Jürgen ein Holzdorf zum bauen. Hinterher mussten wir dann in die Weihnachtsfeier vom Kindergottesdienst, die wirklich weihnachtlich war.

Wie ist diesmal übrigens Eure? Und wo verbringst du den Heiligen Abend? Auf Deiner Bude oder irgendwo anders? Wenn dann die Festtage sind, lohnt es sich beinahe nicht mehr Dir zu schreiben und das ist ein sehr schöner Gedanke. Vielleicht bist Du in acht Tagen schon hier.

Liebster, was soll ich noch schreiben? Wie es am Heiligen Abend hier zugeht, weißt Du auch so, und ich denke, dass Du in Gedanken bei uns bist, nachmittags beim Kaffeetrinken, dann um sechs bei der Bescherung und hinterher beim Abendessen. Wenn Du dann im Radio dieselbe Musik hörst wie ich hier, sind wir darin wenigstens zusammen. Esist ja überhaupt nur eine körperliche Trennung.

Mein lieber, lieber, lieber Mann, ich freue mich so auf den Urlaub und in Gedanken bin ich eigentlich immer mit Dir zusammen. Besseres kann ich Dir nicht sagen.

Viele liebe Küsse
Din Lött

Mein lieber Mann, ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht, aber es ist schön.

Eben wurde im Wehrmachtsbericht Duisburg erwähnt. Dr. Reinke sagte, dass besonders das Gebiet um die Oper und das Wasserviertel getroffen ist. Ich hatte Ilse vorige Woche getroffen. Sie wollte nach Duisburg, um die Wohnung zu Theos Urlaub zu richten. Nun denkt man, ob sie wohl heil davongekommen ist.