Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 21. Januar 1943

Bad Godesberg, den 21.1.43

Liebster Mann!

Zwei Tage sind nun doch vorbei, ehe ich zu dem versprochenen Brief kam. Gestern abend habe ich einen langen Brief an Hansi geschrieben, und da war mein Bedarf nach dieser Richtung gedeckt, vorgestern war Mus und Klausens Geburtstag und Lisbeth krank dazu. Ich habe der Mu ein Lorgnon geschenkt, Quatsch in meinen Augen, weil sie zwei Brillen hat, aber des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Nachmittags, nicht vormittags, kamen dann sämtliche Kränzchenschwestern zwischen halb vier und halb fünf zum Gratulieren. Komische Zeit, aber ich glaube, die Witterung, es könnte vielleicht Kuchen geben, bringt auch alte, in guten Formen erzogene Damen von ebendiesen ab. Der zumindest war eine Enttäuschung für sie. Weil ich nämlich keine Eier bekommen hatte, hatte die Mu mittags zwei Hefeplatten angesetzt, und die waren nicht gegangen. Aber die Kinder im Spielzimmer und die Damen im Esszimmer haben sich gleicherweise darauf gestürzt, und es ist nichts übriggeblieben. Klaus war auch zufrieden mit seinem Tisch, er hatte noch ein paar Soldaten bekommen und Bücher, die ich noch hatte, und die Omi Endemann hat ihm Band l Jahrgang 1901 der Marinezeitschrift "Überall" aus Opas Beständen geschenkt, aber ihm macht es Spaß. Jürgen stürzte sich natürlich auf den Geburtstagstisch und betrachtete ihn als seinen, und es gab fürchterliches Gebrüll auf beiden Seiten.

Und sonst vergehen die Tage im üblichen Gleichmaß und immer denselben Unterbrechungen: Krieg, Krieg, Essen und Alarm. Es ist wie bei einem Rundlauf, und man kann

beinahe schon geistig nicht mehr aus diesem Karussell ausbrechen. Nur abends, wenn ich wieder früh ins Bett gehe (ich liege meistens schon kurz nach neun drin) lese ich mich in andere Gedanken rein. Und dann habe ich auch Zeit, an Dich zu denken. Ich warte schon wieder förmlich auf den nächsten Urlaub und will dabei gar nicht viel anderes als Dich haben und fühlen und bei Dir sein. Das ist wahrhaftig heute schon Glück genug, und dabei fing es früher überhaupt erst an.

Heute abend hätte ich Lust auf eine Zigarette, aber Biederbick ist wie verhext. Seit dem Tage Deiner Abfahrt, an dem ich das lächerliche und angeblich letzte Päckchen Zigaretten kaufte, hat es keine mehr gegeben. Wer's glaubt, zahlt nen Taler!

Gestern war ich auf einen Sprung zu Frau Hillenbrand rüber und bin, weil Frau Von dem Borne und Frau Krug da waren, auch hängen geblieben. Die Wohnung ist nun eingerichtet, und irgendwie gab einem das und die Unterhaltung, die nicht vom Krieg sprach oder ihn nur streifte, einen Schwung zu weiterer Arbeit.

Die Pantöffelchen für die Kinder sind nun auch gekauft, was sie aber nicht hindert, dass sie morgens, ehe man unten ist, doch ohne rumlaufen. (Bin ich übrigens als Kind immer, das weiß ich noch, weil es mir zu langweilig war, erst in die Pantoffeln zu schlupfen, und das mache ich heute noch manchmal.)

den 22.1.43

Heute morgen ist es regnerisch, aber mild. Überhaupt hat man in dieses Jahr den Eindruck, dass der Frühling früh kommt. Gestern morgen, als ich aufwachte, probierte sogar ein Vogel schon ganz schüchtern ein paar Töne, und die Schneeglöckchen strecken schon ihre Spitzen aus der Erde.

Trotz totalem Krieg regt sich bei mir die Lust zum Schönmachen, und ich habe, soweit es die Karte erlaubt, ein paar Zugeständnisse gemacht, gerade so viel, dass es Lust macht, auch die alten Sachen wieder auf neu herzurichten. Ich habe auch lange geschwankt, ob ich mir einen Hut leisten soll, aber ich habe dann einen Punkt gemacht und nein gesagt, denn im Sommer trägt man ja doch wenig Hüte. Und dann will ich nächsten Monat noch rasch mal zum Friseur, ehe die Dauerwellapparate plombiert werden wegen Kohlenklau.

Nun ist die Unterbrechung wieder durch den Nachrichtendienst gekommen. Es ist heute wie verhext. Ich glaube, ich gehe jetzt ins Bett und gebe Dir heute abend nur noch viele Bünsis.

Hatte ich Dir erzählt, dass ich, als ich Thea in Köln abholte, Klaus mitgenommen habe? Es kam für ihn völlig unerwartet und war deshalb doppelt schön. Er hatte auch viel zu gucken, viel mehr als die Mädels. Kurz hinter Bonn fragte er schon, ob nun nicht die kaputten Häuser kämen. Aber dass wir nun noch bei Eisenmenger Kuchen und Eis (nebenbei sehr gut) aßen, war so toll, dass er, als wir nach Godesberg kamen, auf Ursel und die anderen zustürzte und ihnen diese tolle Überraschung ins Ohr flüsterte, was Ursel natürlich zu starkem Protest erregte.

Sonntag, als Thea abfuhr, durften Klaus und Ursel sie zum Bahnhof begleiten, hatten aber gedacht, es ginge wieder nach Köln, und benahmen sich nun auf dem Rückweg wie kleine Teufel.

Gute Nacht und viel liebe Küsse. Diese alarmlose Zeit ist direkt beunruhigend.

Deine Lotti